Anna Netrebko triumphiert als packende "La Gioconda" bei den Osterfestspielen Salzburg

02. April 2024

Rubrik Oper

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

Anna Netrebkos triumphaler Erfolg: Die Osterfestspiele Salzburg trumpfen diesjährig höchst gewaltig auf. Anna Netrebko, Jonas Kaufmann und Luca Salsi sind nur drei der großen Sängergiganten im Opernolymp, die sich am heutigen Abend in einem selten gespielten Werk von Ponchiellis "La Gioconda" die virtuose Klinke in die Hand drücken.

 

Dabei kann das Sängerfest der gepriesenen Opernstars immer auch eine fatale Gratwanderung der viel zu hochgeschraubten Publikumsansprüche sein. Werden Jonas Kaufmann, Anna Netrebko und Co. künstlerisch  halten, was sie als A-Liga Stars versprechen?

 

Von Nicole Hacke

 

Sie werden, absolut, obgleich das stimmliche Feuerwerk und die vokale Lust am Drama sich erst nach der Pause im letzten Akt explosionsartig in andere Sphären verselbstständigen. Wie eine Billardkugel, die langsam und dann immer schneller werdend unaufhaltsam ins Rollen kommt.

 

Den Anstoß dafür gibt der szenische Prolog: Ein noch minderjähriges, unschuldiges Mädchen drückt ihr tränenverhangenes Gesicht an den schützenden Körper ihrer Mutter.

 

Diese aber stößt das Kind von sich und zwingt es, sich auf einer abgenutzten Matratze einem widerlichen Freier hinzugeben. Potenziert wird der Effekt der Abscheulichkeit nur noch durch die pinkfarbene Zuckerwatte, die Unschuld vermitteln soll, aber die Perversität des Freiers nur noch eindrücklicher werden lässt, zumal dieser total enthemmt seinen sexuellen Fantasien nun völlig freien Lauf lässt.

 

Erst entkleidet er das Mädchen bis auf die Unterwäsche, dann zieht er ihr ein funkelndes Glitzerkleid über, das so gerade ihren kindlichen Po bedeckt und dann? 

 

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

Man kann es sich wohl denken, was danach passiert.

 

Oliver Mears lässt diese Szene auf subtile Weise  ausfransen, aber er lässt auf jeden Fall keinen Zweifel an der für das Publikum erahnbaren Vergewaltigung der Minderjährigen. 

 

Erhöht durch die geballte  Intensität der  orchestralen Erzählsprache, die sich harmonisch mit dem schauspielerischen Vermögen der Bühnendarsteller zu einem Faszinosum des Bösen vereint, zieht  sich der rote Handlungsfaden elektrisierend über die gesamte Länge der Oper.

 

Dabei bleibt handlungstechnisch kein Stein auf dem anderen. Komplett aus den Angeln gehoben, hat der Regisseur die Geschichte inszenatorisch völlig auf den Kopf gestellt und aus Gioconda eine gepeinigte und gedemütigte Frau gemacht - ein Vergewaltigungsopfer, das fortan mit einem Trauma kämpfen muss und zwischen der unerfüllten Liebe zu Enzo Grimaldo und ihrem Peiniger Barnaba psychisch auseinandergerissen wird.

 

Psychologisch beleuchtet, durchleuchtet und in den tiefsten, düstersten Winkel der menschlichen Abgründe vordringend, hat Mears eine Frauenpersönlichkeit porträtiert, die sich im Verlauf der Handlung immer weniger in die Opferrolle drängen lässt, sondern am Ende sogar Rache an ihrem Peiniger nimmt und ihn kaltblütig ermordet.

 

Was dazwischen passiert, greift die gesamte Palette der Menschlichkeit in all ihren vollkommenen und unvollkommenen Facetten ab. 

 

Warum der Arzt kommt und Gioconda Elektroschocks verpasst? Und warum Barnaba immer wieder aus den Nichts oder einer dunklen Ecke im neuzeitlichen Venedig auftaucht und Gioconda damit zu Tode erschreckt? Nun, es scheint lediglich eine Allegorie ihres immer wiederkehrenden Traumas zu sein.

 

Barnaba ist solange Giocondas Alptraum, bis sie sich von ihm befreit - und zwar endgültig, letal!

 

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

Und das Barnaba zu Giocondas fleischgewordenem Alptraum wird, dafür sorgt an diesem Abend der italienische Bariton Luca Salsi. Böse, widerlich und so abstoßend, dass man diesen Mann auf der Bühne von der ersten Sekunde an einfach nur hassen möchte, rammt man ihm gedanklich bereits das Messer in den Bauch, lange bevor man weiß, dass genau diese Szene das große Finale der Oper einläuten wird.

 

Diese schmierige Figur mit diesem ebenso unappetitlichem Grinsen im Gesicht. Man kommt nicht umhin, sich dieser Figur hinzugeben, sich fasziniert in ihr zu versenken und ihr auf Schritt und Tritt in die üblen Machenschaften und Intrigen zu folgen.

 

Eigentlich will man das gar nicht, nicht Voyeur spielen und sich auch nicht auf dieses abgrundtief böse Spiel einlassen.

 

Und dennoch bei Luca Salsi lässt man alle Hemmungen fallen und gibt sich gespannt dem fiesen Charakter hin. Gesanglich ist der Mann ebenfalls grandios. Sehr differenziert und mit spannungsgeladener Dynamik ersingt sich der Bariton kraftvoll und zugleich ausdrucksstark den Status des formvollendeten Schurken.

 

Beabsichtigt dreckig klingt sein Gesang, stellenweise. Natürlich! Schließlich ist das die hohe Kunst, dem Gesang Kontur, Character und emotionale Temperatur zu verleihen. Nur so kann die Geschichte musikalisch überhaupt erzählt werden.

 

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

Das wiederum gelingt der russischen Sopranistin Anna Netrebko erst im dritten Anlauf, um genau zu sein, erst nach der Pause im dritten Akt. Davor passiert schauspielerisch und gesanglich nicht weltbewegend viel bei der stark gehypten Sängerin.

 

Fast enttäuscht es mich, höre ich Anna Netrebko an diesem Abend zum allerersten Mal live und empfinde ihre Stimme leider viel zu Vibrato-lastig, unausgewogen schrill in der Kopfstimme, was auch nicht durch ihre gurrende Tiefe wett gemacht werden kann, die beeindruckende Qualitäten eines Kontra-Alt an den Tag legt. 

 

Doch dann die plötzliche Wende zum absolut Herausragenden mit der Arie "Suicido". Muss es bei der Netrebko arios immer erst zum dramatisch Äußersten kommen, damit sämtliche künstlerische Quliäten dieser großen Stimme erst so richtig aufblühen können?

 

So scheint es jedenfalls, denn auf einmal klingt die Stimme rund, warmgolden timbriert, herrlich satt und von bernsteinfarbener Leuchtkraft, dass man beinahe anfängt, in ihrem fluiden Klang zu schwimmen, sich in ihm treiben zu lassen und mit ihm in andere Sphären zu entschweben.

 

Von lupenreiner Brillanz gestaltet die Sängerin ihre exponierten, uferlosen Höhen, die sich Cabochon-rund und samtweich im Auditorium auflösen.

 

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

Und auch das Drama packt sie endlich, zu guter Letzt.  All die Fesseln ihrer Zurückhaltung reißen bereits, als sie mit Jonas Kaufmann (Enzo Grimaldo) das letzte Duett anstimmt. Nun wird ihr Gesang ekstatisch, entgleitet ihr mit überquellender Leidenschaft.

 

Kontrollierte Ekstase war in den ersten beiden Akten. Aber jetzt wird Netrebkos Emotionalität groß und läuft schier über. 

 

Jonas Kaufmann, der die weniger interessante Charakterrolle bekleidet, wirkt stimmlich an diesem Abend leicht indisponiert. So nimmt man seinen Gesang fast durchgängig wie durch einen Schleier wahr - wenig kraftvoll - hin und wieder heroisch aufbegehrend - aber leider viel zu wenig präsent.

 

Dabei transportieren die normalerweise vokalsatten Höhen samt betörendem Glanz lediglich matt und leicht gedämpft in das Auditorium. Frei und warmgolden gesättigt changieren die Klangfarben jedoch in Kaufmanns unverwechselbar schöner Mittellage.

 

Genau dort, wo sein Stimmsitz sich immer mehr verfestigt und weiter ausprägt, hört man das vokale Alleinstellungsmerkmal des Tenors mehr als deutlich heraus. Jonas Kaufmann wird baritonaler und prächtiger in seiner verführerischen Mitte.

 

Ob das einem Tenor geziemt, wenn doch die hohen Töne sein Qualitätsmerkmal sein sollten? Unbedingt! Mehr Saturation und Farbenreichtum lassen die Bruststimme aufblühen, stimmlich ausgeprägter und gehaltvoller erscheinen. Sogar emotionale Temperaturen lassen sich mit ihr so viel besser gestalten.

 

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

©Bernd Uhlig / Osterfestspiele Salzburg

Und das Kaufmann große Emotionen kann und sie auch immer noch über den Gesang strömen und fließen lässt, wird spätestens in "Cielo e mar" überdeutlich. 

 

Tareq Nazim und Eve Maud Hubeaux geben in ihren jeweiligen Charakteren ebenfalls ein eindrucksvolles darstellerisches und gesangliches Bild ab und komplementieren den Reigen der großen Sängergarde perfekt.

 

Doch das absolute Sahnestück kommt erst zum Schluss. Wenn Sir Antonio Pappano nicht wäre, was würde dann die Musik in ihrer Bedeutung ausdrücken können? Was würde sie uns zu erzählen haben, wenn dieses leidenschaftliche Dirigat nicht alles dafür gäbe, um das Werk Ponchiellis zu erhöhen und den Sängerdarstellern eine ganz große Bühne zu bereiten?

 

Antonio Pappano trägt sie wie durch Zauberhand auf einem irisierend pastellfarbenen Klangteppich. Auch ich bin verzaubert durch und durch, obgleich die Tragik dieses Stückes gleichermaßen erschütternd, mitreißend und soggewaltig ist.

 

Was für ein erinnerungswürdiger Abend einer einmaligen Aufführung, die großen Beifallsturm verursacht hat. Kein Kollateralschaden der Sängergiganten? Nein, ganz im Gegenteil: Ein Fest der wahrhaft großen Stimmen.

 

Amilcare Ponchielli: La Gioconda

 

La Gioconda: Anna Netrebko

La Cieca (Die Blinde), ihre Mutter: Agnieszka Rehlis

Enzo Grimaldo: Jonas Kaufmann

Alvise Badoero: Tareq Nazmi

Laura: Eve-Maud  Hubeaux

Barnaba: Luca Salsi

Zuane: Nicolò Donini

Isepo: Didier Pieri

 

Musikalische Leitung: Antonio Pappano

 

Inszenierung: Oliver Mears

 

Bühne: Philipp Fürhofer

Kostüme: Annemarie Woods

Choreografie: Lucy Burge

Licht: Fabiana Piccioli

 

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia

Coro dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia

 

(Einstudierung: Andrea Secchi)

Bachchor Salzburg (Einstudierung: Michael Schneider)


Kommentare: 2
  • #2

    Herausgeberin Nicole Hacke (Mittwoch, 03 April 2024 12:13)

    Liebe Frau Becker,

    sehr gerne! Viele Hörer haben das so empfunden. Aber es hat Wirkung gezeigt. Der 4. Akt war überaus beeindruckend und intensiv. Meinem Verständnis nach ist dieses Werk auch überhaupt nicht leicht zu singen und erfordert eine ganz gehörige Portion Stamina. Es wäre durchaus nicht verwerflich, wenn man sich als Sänger seine Energie so gut aufteilt, dass sie dem Höhepunkt im letzten Akt noch gerecht werden kann. Insgesamt hat mich die Aufführung stark beeindruckt. Alles, was daran qualitativ auszusetzen war und was auch ich ehrlicherweise bemängelt habe, ist de facto ein "Klagen" auf ganz hohem Niveau.

    Herzliche Grüße
    Nicole Hacke

  • #1

    Waltraud Becker (Dienstag, 02 April 2024 08:37)

    Vielen Dank für die Beschreibung der Spranistin. Auch am Mittwoch war einzig der 4. Akt überzeugend, gesanglich wie darstellerisch.