Elbenita Kajtazi umwerfend in Eugen Onegin, eine OPer die nicht vom Hocker reißt.

21. April 2024

Rubrik Oper

©Hans Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

Tatsächlich zieht sich Tschaikowskys Oper Eugen Onegin ganz furchtbar in die Länge. An den Solisten auf der Bühne liegt es nicht, denn die trumpfen an der Staatsoper Hamburg mit schauspielerischer Raffinesse und gesanglicher Exzellenz vortrefflich auf.

 

Es scheint vielmehr an der drögen Geschichte zu liegen, von der, wenn überhaupt, nur ein minimal invasives Drama ausgeht. Große emotionale Tragödien, Rache, Vergeltung und dergleichen kommen, wenn überhaupt, in abgespeckter Form bis gar nicht im Handlungsstrang vor.

 

Von Nicole Hacke

 

Eine Mischung aus Effi Briest und Anna Karenina, so in etwa könnte man die Geschichte um die verliebte Tatjana und ihre hoffnungslose Liebe zu Eugen Onegin beschreiben.

 

Eine kindliche Schwärmerei, gespickt mit Romantik und ein langer Brief, den Tatjana in einer lauen Sommernacht auf dem Land irgendwo in Russland in fiebrigem Eifer an ihren Nachbarn, den von ihr umschwärmten Junggesellen, schreibt.

 

Doch der scheint es zu präferieren, lieber vogelfrei und ungebunden zu bleiben, als sich auf das unerfahrene und ungestüme "Landei" Tatjana einzulassen. 

 

Kalt und ohne jedwede Gefühlsregung wehrt er das Werben der verliebten junge Frau ab.  Onegin hat besseres mit seinem Leben vor, als es durch einen Ehebund in Ketten legen zu lassen.

 

Soweit so gut. Oder besser gesagt, was für ein schrecklicher Anti-Held, ein Mann, der sich nicht binden will oder kann, unfähig, sich auf eine Beziehung zu einer Frau einzulassen.

 

Na, da hat sich Tschaikowsky aber ein herrliches Libretto für ein Opernwerk auserwählt, das auch musikalisch äußerst schwermütig daherkommt.

 

©Hans Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

©Hans Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

Während sich ein Bild nach dem anderen, langatmiger als das andere zähflüssig in die Länge zieht, wartet man in den jeweiligen Umbauphasen eine gefühlte Ewigkeit auf die Fortsetzung der Handlung. Das hat zur Folge, dass im Auditorium immer wieder vereinzelte Besucher zu den Ausgängen drängen, um die willkommene Pause  zum "Austreten" zu nutzen.

 

Doch Fehlanzeige: Wer geht, muss für die Dauer des Folgebildes im Foyer bleiben. Und das wollen die meisten dann doch lieber nicht. Also Kommando zurück!

 

Durch die Reihen vor- und zurückdrängend, bis endlich alle wieder auf ihren Sitzplätzen angekommen sind, hat sich derweil ein mittlerer Lärmpegel entwickelt, der störend auf die eigene Konzentration einzahlt.

 

Nach jedem Bild grüßt das Murmeltier erneut, so wie auch gehäufter bei Liederabenden der Fall, wo unerwünscht frenetischer Applaus ganze Zyklen zerstört, ohne Hoffnung auf Schadensbegrenzung.

 

Damit ist einfach alles dahin! Die Atmosphäre, die Spannung, die Aufmerksamkeit. Und nun! Nun geht es weiter mit der Duell-Szene zwischen Eugen Onegin und seinem besten Ex-Freund, ergo Erzfeind Wladimir Lenski. Doch bis da endlich einer zu Potte kommt und auf den jeweils anderen schießt - bis dahin wird die Zeit zum Universum. 

 

Es geht einfach nicht voran, auch wenn die Sänger auf der Bühne umwerfend grandios singen und schauspielernd alles aus ihren jeweiligen Rollencharakteren herausholen.

 

©Hans Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

©Hans Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

Auch im letzten Akt plätschert die Handlung wie ein lauschiges Bächlein ruhig strömend vor sich hin. Tatjana ist mittlerweile von der ehemaligen Landpomeranze zu einer stolzen reifen Frau herangewachsen und hat zudem gesellschaftlichen Aufstieg erfahren.

 

Verheiratet mit dem älteren Fürsten Gremin, gibt die brünette Schönheit einen Empfang, auf dem ausgelassen getanzt und gefeiert wird. 

 

Auch Eugen Onegin, der nach Jahren rastloser Suche nach Glück und Beständigkeit endlich wieder in seiner Heimat Russland aufschlägt, ist auf dem Ball seines Gastgebers Fürst Gremin zugegen. Dort trifft er zu seiner Überraschung auf Tatjana, die in ihm unerwartet die Flamme der Liebe entfacht.

 

Effi Briest meets Anna Karenina: Jedoch endet die halbwegs unschuldige Geschichte der Effi Briest dort, wo das spannende Drama der Ehebrecherin Anna Karenina anfängt.

 

Tatjana jedoch will ihren Ehemann nicht verlassen und lässt, so wie sich das für eine anständige und ergebene Frau gehört, den in Liebe entbrannten Onegin im Regen stehen. Ende unspektakulär , Oper so lala!

 

Elbenita Kajtazi, die eine bezaubernde Tatjana darbietet, versteht es über alle Maßen, der unbedarften jungen Frau eine Stimme von absoluter Schönheit zu verleihen. Zart, betörend und von reiner Eleganz strahlt ihr Gesang lupenrein in schillernde, kristallklare Höhen.

 

In der saturierten Mittellage in warmgoldenen Facetten changierend und mit emotionalen Temperaturen ausgestattet, versteht es Elbenita Kajtazi, ihre Rolle konturiert, ausdrucksstark und  mit absoluter Strahlkraft auszukleiden. Dabei fühlt sich ihre Stimme wie ein edler Cabochon an, glatt und sehr geschmeidig.

 

Sofort ist man wie verzaubert von dieser unbedarften Frauengestalt, die sich im Laufe der Handlung zu einer charakterstarken Persönlichkeit entwickelt, obgleich das Augenmerk der Inszenierung stark auf den historischen  Gehalt der Geschichte liegt.

 

©Hans Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

Viel Interpretationsvielfalt wird den Darstellern auf der Bühne nicht gestattet. Und so wirkt auch Alexey Bogdanchikovs Charakter des Eugen Onegin eher blass und farblos. Ein schneidiger Aufreißer oder vielleicht ein interessanter, begehrenswerter Bonvivant ist er jedenfalls nicht.

 

Auch sein Freund Wladimir Lenski, der von Dovlet Nurgeldiyev interpretiert wird,  hat charakterlich wenig Facetten und kaum Kontur. Dafür aber singt der Tenor aus Turkmenistan mit göttlicher Stimme und überzeugt in der Duellszene mit emotionaler Tiefe und melancholischer Stimmfärbung.

 

In die Stimme der Protagonisten kann man sich an diesem Abend wahrlich verlieben. Ganz besonders edel klingt auch der dunkelhölzerne Mezzosopran von Kristina Stanek, der man, ob ihrer zarten Gestalt, so viel voluminöse Strahlkraft kaum zugetraut hätte. Herrlich klingt es in den abgedunkelten Registern, warm und bernsteinfarben. 

 

Orchestral gibt es gleichermaßen wenig auszusetzen. Die Musik spricht für sich und schlägt doch einen sehr schwermütigen "slavischen" Ton an, den man einfach mögen muss oder eben nicht.  Auch die sehr folkloristisch anmutenden Klänge, die sich engmaschig durch das Opernwerk Tschaikowskys ziehen,  haben eine eigentümliche Wirkung auf das musikalische Gesamtgemälde.

 

Wer italienische Opern liebt, mag eventuell mit dem Lokalkolorit von Tschaikowskys Musik nicht gut übereinkommen. Meinen Geschmack hat das Werk des russischen Genies jedenfalls nicht getroffen, auch wenn die Ensemble-Mitglieder der Staatsoper Hamburg ihrem Publikum einen künstlerisch hoch gehaltvollen Abend beschert haben.


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