Vittorio Grigolo beeindruckend rabiat in Pagliacci an der Staatsoper Hamburg

12. April 2024

Rubrik Oper

©Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

Zwei kurze Opern, zwei packende Eifersuchtsdramen in geballter Intensität: Cavalleria Rusticana und Pagliacci sind genau die Verismo-Opern, die man, ob ihrer würzigen Kürze und ihres Herzrasen verursachenden Plots unbedingt einmal gesehen haben muss.

 

Noch dazu mit einem Staraufgebot, das sich wie ein gelungenes Rezept aus einer Gourmet-Küche liest: Ekaterina Gubanova, George Petean und Vittorio Grigolo zieren an diesem Abend die Bühne der Staatsoper Hamburg und machen aus der Verismo-Doppelkombination zweier immens packender Bühnenthriller ein unvergessliches Spektakel der ariosen Superlative.

 

Von Nicole Hacke

 

In einer traumhaften Inszenierung des Opernregisseurs Giancarlo del Monaco, Sohn der tenoralen Legende Mario del Monaco, der bereits vor 20 Jahren ein zauberhaftes Bühnenbild für beide Opern kreiert hat, spürt man den Lokalkolorit einer kleinen Gemeinde, die inmitten eines sonnenverwöhnten sizilianischen Dorfes ein beschaulich einfaches und übersichtliches Leben führt.

 

Auf der Stelle taucht man ein in das dörfliche Leben einer eingeschworenen Gemeinschaft, aus der die Flucht in ein unkonventionelles Dasein nur schwerstens gelingen kann, wenn überhaupt. Ehebruch wird hart bestraft. Es gelten die Gesetze der Dorfbewohner, in deren Leben die Religion ein traditioneller Bestandteil, Gradmesser für Moral und Ordnung sowie feste Struktur zugleich ist.

 

Wer diesen Rahmen sprengt, Ehebruch begeht oder anderweitig amoralisch über die Grenzen weit hinausschießt, wird die Rechnung dafür zahlen müssen, wenn nicht anders, sogar mit seinem Leben, denn Ehre, Anstand und Sitte sind Teil dieser festgezurrten moralapostolischen Gemeinde.

 

©Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

Genau diese tradierten Werte bekommt Turridu am eigenen Leib zu spüren, nachdem er seiner ehemaligen Geliebten Lola nachstellt und ihren Ehemann Alfio damit zu einem Ehrenduell nötigt, das schlussendlich für Turridu tödlich endet. Und alles nur, weil Santuzza, die Freundin Turridus das heimliche Techtelmechtel der verflossenen Turteltauben aufdeckt.

 

Was für ein authentisches, aus dem Leben gegriffenes Beziehungsdrama!

 

In einer herrlichen Besetzung, die Qualität auf höchstem Niveau verspricht, spielen und singen sich Ekaterina Gubanova (Santuzza), George Petean (Alfio) und Turridu (Marcelo Puente) in einen leidenschaftlichen Rausch der Gefühle.

 

Obgleich der Auftakt gesangstechnisch etwas holprig Fahrt aufnimmt, so wärmen sich die Sängerdarsteller im Verlauf der spannungsgeladenen Handlung tonal immer mehr auf und überzeugen alsbald mit Verve, Leidenschaft und explosiv wutschäumender Ekstase.

 

Ekaterina Gubanova, die anfänglich noch mit Intonationsproblemen zu kämpfen hat und wenig geschmeidig in die vokalen Vollen geht, ereifert sich tonal extensiv kämpferisch im Streit mit Turridu und lässt ihr Vokalinstrument mit überschwappendem Esprit immer intensiver und leidenschaftlicher aus sich herausströmen. Impulsiv, explosiv und äußerst ausdrucksstark trumpft die betrogene Freundin Turridus mal zeternd, mal flehend, mal streitsüchtig und immer wieder gespickt mit emotional temperiertem Nuancenreichtum auf.

 

Diese Mezzosopranistin ist eine Charakterschauspielerin par excellence, die es ausgezeichnet versteht, wie man gesanglich dem Leid, der Qual und der Resignation formvollendet Ausdruck verleiht. Irgendwie muss man mit ihr mitleiden, sich ihrer Schmach hingeben und zugleich ein paar Tränen mit ihr über den Verlust ihrer großen Liebe vergießen.

 

©Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

©Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

Und auch Marcelo Puente versteht sein Spiel perfekt. Als fleischgewordener Macho, der sich nimmt, was er will ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer, verkörpert er einen Schwerenöter, der kaum Erbarmen mit der Frau kennt, die ihn liebt und bereit ist, um ihn zu kämpfen. Kaltschnäuzig und völlig empathielos stößt er Santuzza brüsk von sich weg. 

 

Beinahe lästig kommt ihm ihr Flehen und Betteln vor. Ja, Marcelo Puente wirkt nicht nur optisch wie ein absolut lodernder menschlicher Feuerball, er glüht auch vokal sehr temperamentvoll und vulkanisch explosiv.

 

In den exponierten Höhen klingt sein nobler Tenor jugendlich leicht und elegant. Etwas störend umfängt das Gehör Puentes offensichtlich sehr ausgeprägtes Vibrato. Doch insgesamt ist die Leistung des argentinischen Tenors eindrucksvoll.

 

Strahlend präsentiert sich auch der Bariton George Petean, der in der wahrhaft oberen Liga der Opernstars mitspielt. Sein Gesang ist kraftvoll, ausdrucksstark und dennoch schmeichelnd fein in der Mittellage, saturiert und sehr konturiert in der satten Tiefen.

 

Was er auf der Bühne gesanglich darbietet, ist absolute Kür. Im Schauspiel allerdings ist er im Vergleich zu Ekaterina Gubanova und Marcelo Puente deutlich schwächer unterwegs. Fühlt er seine Rolle und versteht er die Botschaft des gehörnten Mannes?

 

©Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

Transportiert wird davon jedenfalls nicht sehr viel. Sehr schade ist ebenfalls, dass man das Männerduell am Ende nur als Andeutung serviert bekommt.

 

Sicher weiß man genau, was passiert, nachdem sich Turridu von seiner Mutter mit  "Mama, quel vino è generoso" ins "Off"  verabschiedet.

 

Der inszenatorische Spannungsbogen flacht allerdings just nach der Arie ab. Erst mit dem Aufschrei Santuzzas und der orchestral drastischen Dynamik, die sich in einem fulminant donnernden Crescendo aufbäumt, wird klar, wie fatal die Geschichte für Turridu ausgegangen ist.

 

Gleichermaßen tödlich, aber noch viel intensiver und dramaturgisch elektrisierender gestaltet sich nach der Pause der Opern-Thriller "Pagliacci" von Ruggero Leoncavallo.

 

In der Titelrolle diesmal der italienische Tenor Vittorio Grigolo, der als Canio an diesem Abend absolut Furore um seine Person macht. Zu Recht, denn das Eifersuchtsdrama, das sich um einen Wanderzirkus rankt, wird im Großen und Ganzen von der herausragenden Präsenz des Italieners gestaltet. 

 

Mörderisch gut und in allen schauspielerischen Facetten dermaßen überzeugend, scheint Grigolo seine Rolle bis ins kleinste Detail zu Leben.

 

Seine Eifersucht blüht von der ersten Sekunde an auf, steigert sich in eine wahrhaft unkontrollierte Ekstase hinein, die einen fast schon körperlich packt und so unter Strom setzt, dass man nur noch gebannt auf die Bühne starrt, um diesen in Rage befindlichen Mann bei seinen Gewaltausbrüchen zuzusehen.

 

Voller Jähzorn fegt er mit nur einer Handbewegung einen Tisch über die Bühne, es kracht und dann verbleiben nur noch wenige Momente, bis er mit hasserfülltem Gesichtsausdruck seine Geliebte Nedda und deren Liebhaber Silvio mit einem Messer niederstreckt.

 

Danach verkündet er mit Eiseskälte: " La commedia e finita"

 

©Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

Kaum kann man es fassen, denn Vittorio Grigolo hatte immer etwas überzogen Theatralisches an sich, das irgendwie aufgesetzt und übertrieben artifiziell wirkte. Doch in dieser Rolle ist er einfach grandios. Der gesamte Spannungsaufbau, die Brutalität, die Galle giftige Eiseskälte, die diesen Charakter umgibt, strahlt erschauernd auf das Publikum ab und entwickelt eine so starke Eigendynamik, dass man bereits bei Canios Arie "Vesti la giubba" das absolute Grauen im Nacken spüren kann.

 

Was für eine irre Leistung. Der Tenor ist unaufhaltsam, eine Urgewalt an diesem Abend, auch wenn mich sein Timbre nicht verführen kann. Trotzdem schafft er es, diese Partie stimmlich eindrücklich, auf den Punkt und mit emotionaler Strahlkraft so zu gestalten, dass die menschlichen Abgründe des Canio konturiert hervorstechen. 

 

Auffallend schön gestaltet auch die Sopranistin Ana Princeva ihren Rollencharakter. Warm timbriert und in den Höhen von silberfeinem Glanz, leuchtet ihr Sopran hellstrahlend. Im gemeinsamen Duett mit dem Bariton Nicholas Mogg schafft sie es, mit leidenschaftlicher Verve, Brillanz und Farbenreichtum, herrliche Klangposien in das Auditorium zu zaubern. Ana Princevas Stimme ist berauschend, rund und warmgolden schimmernd. Herrlich.

 

Ähnliches kann man von Nicholas Mogg behauten, der mit seinem jugendlichen Bariton nuanciert feine Klangfarben produziert.  

 

Und George Petean, der gleich zu Beginn in seiner Prolog-Arie traumhaft schöne Tonperlen in den Saal absetzt, wird vom Publikum begeistert beklatscht.

 

Überhaupt schließt man während der instrumentalen Intermezzi oft genug die Augen, um sich in die veristischen Klangwelten zu versenken. Es sind leidenschaftliche Wogen, perlend fein und von überschäumender Eleganz, angereichert mit einem großen Schuss Romantik und mit berührender Melancholie versehen. 

 

Das Dirigat von Daniele Callegari macht in jedem Fall gewaltig was her. Es ist schlichtweg zauberhaft, so wie alles an diesem Abend und mit nur ganz wenigen musikalischen Abstrichen. 

 

Besetzung:

 

Musikalische Leitung

Daniele Callegari

 

Chorleitung 

Eberhard Friedrich

 

Santuzza

Ekaterina Gubanova

 

Turridu

Marcelo Puente

 

Alfio

George Petean

 

Lola

Ida Aldrian

 

Lucia 

Renate Spingler

 

Canio

Vittorio Grigolo

 

Nedda

Ana Princeva

 

Tonio

George Petean

 

Silvio

Nicholas Mogg


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