Selig süße Walzerlaune mit Jonas Kaufmann und Rachel Willis-Sørensen beim Rheingau Festival in Wiesbaden

23. August 2022

Rubrik Konzert

©Ansgar Klostermann

Laue Sommernächte eignen sich perfekt für die leichtere Muse und ebenso für ohrwurmlastige Opernarien, die mit einer gewissen musikalischen Leichtigkeit genommen, beschwingt und romantisch satt durch einen perfekt zusammengestellten Potpourri Abend aus Opern- und Operettenklassikern tragen.

 

Dass sich die eigentlich eher konträren Musikgenres so geschmeidig glatt und wie geschmiert zu einer besonders gehörgängigen und eleganten Melange vereinen, ist vor allem dem Tenor aller Tenöre zu verdanken, der an der Seite seiner kongenialen Gesangspartnerin Rachel Willis-Sørensen ein musikalisches Programm auf die Beine stellt, das einem vor Dreivierteltaktvergnügen spätestens im zweiten Programmteil gehörig in die Beine schießt.

 

Vom wem die Rede ist? Natürlich von Jonas Kaufmann, dem tenoralen Tausendsassa, der sich unzählig vieler Musikstile bedienen kann und sie aus Freude am musikalischen Generalistentum auch immer wieder gerne durchmischt, denn Abwechslung macht Spaß - ganz besonders an diesem sommernachtstraumverdächtigen Abend. Und so beweist der Mann mit dem baritonal klangfarblichen Schmelz auch gleich zu Beginn des auftaktigen Konzertabends im Wiesbadener Kurpark, dass er nicht nur in den tenoralen Gewässern beheimatet ist, sondern auch in echte baritonale Tonalwelten abtauchen kann.

 

Und so höre und staune man, denn gleich zu Beginn des vielversprechenden Konzertabends setzt der König der Tenöre in der Prologarie des Bajazzo aus Leoncavallos Verismo-Oper "Pagliacci" mit betörend tiefenwirksamer Treffsicherheit seiner ambitusreichen Bandbreite die absolute Krone auf.

 

Warmgolden, vollmundig, rund und von einer durchdringenden klangfarblichen Sonorität, verliebt man sich auf der Stelle in die ruhig fließende Stimme, die gerade in den Registertiefen ungemein ästhetisch, gaumenrund,  kraftvoll und erotisch magnetisierend wirkt.

 

©Ansgar Klostermann

Doch der dicht verwobene, irisierend weiche Kokon aus baritonalem Dunst lichtet sich just in dem Moment, als Jonas Kaufmann sich bei "Vesti la giubba" vokal ausdrucksstark in die grellschimmernde, rabiat stentorale Wucht des vor Eifersucht und Wut schäumenden Canio  hineinsteigert.

 

Geballte Emotionen, unkontrolliert erscheinende Ausbrüche, die teils für unmerklich wahrnehmbare stimmtechnische Brüche sorgen, der Gesamtinterpretation dadurch aber keinerlei Abbruch tun, komplementieren den faszinierenden Rollencharakter. Schauspielern kann der Kaufmann eben auch. Und nicht nur das. Spätestens seit Benediktbeuern und dem nicht-existenten Programmheft sei Dank, laviert sich der Charmeur mit der goldenen Kehle auch als äußerst passabler Moderator gut durch den Abend.

 

Gewitzt und geistreich fädelt der um keine Anekdote verlegene Unterhaltungskünstler den roten Faden nach jeder Gesangsdarbietung immer wieder auf, unterhält sein Publikum vereinnahmend charmant und versteht es - ganz showmasterlich - dass das gedruckte Wort ausgesprochen und zu spannenden kleinen Geschichten aneinandergereiht, deutlich mehr Unterhaltungswert hat als die simple Schwarz-auf-Weiß-Druckvorlage.

 

Gesprochen und gesungen: Was Worte alles vermögen. Jonas Kaufmann jedenfalls weiß ganz genau, dass die Zuhörer ihm sowieso an den Lippen hängen, egal in welcher Ausdrucksform sich die Worte des Tenors artikulieren. Dass dies auch für die Sopranistin des Abends gilt, scheint selbstredend zu sein.

 

Beseelt und verklärt romantisch erwachen just zwei strahlende Herzen noch im ersten Programmteil im gemeinsamen Duett zu "O soave fanciulla" aus Puccinis kaleidoskopisch klangfarblichem Meisterwerk "La Bohème".

 

©Ansgar Klostermann

©Ansgar Klostermann

Schockverliebt glaubt man dem brotlosen Künstler Rodolfo auf der Stelle, dass er von seiner Mimi wohl nicht mehr loskommen wird.

 

Und genauso ist es auch. In unschuldiger Zuneigung zarte Bande knüpfend und zu guter Letzt in unerfahrener Leidenschaft vergehend schaukeln sich Mimi und Rodolfo farbensatt in schillernd exponierte, ekstatische Tonalhöhen. Bewegt und verzaubert lauscht man den beiden Stimmen, die wie zu einer samtfeinen Textur miteinander verschmelzen und sich ganz inniglich in den Pianissimi verlieren, die von außerordentlich anmutig zarter und fragiler Schönheit sind.

 

Neckisch, keck, quirlig und beschwingt selig geben sich die beiden Ausnahmeinterpreten dann im zweiten Programmteil. Die leichte Muse gewinnt die Oberhand, verführt das mittlerweile begeisterungsstürmische Publikum, das immer stärker in einen Sog aus walzerseligen Gute-Laune-Arien hineingezogen wird.

 

Wen verwundert es, schaffen es doch zwei Künstler auf der Bühne für temperamentvolle Unterhaltung und überbordend gefühlsintensive Klangexplosionen zu sorgen. Ein Feuerwerk ist wirklich nichts dagegen.

 

Während Jonas Kaufmann sich als Schwerenöter und Bonvivant mit Schmelz und auch ein bisschen belustigendem Schmalz als Graf von Luxemburg verschwenderisch der Liebe hingibt und sich kurz darauf auch im Duett zu "Wiener Blut" als nicht ganz so treuer Ehegatte entpuppt, der wenig später auch schon wieder mit einem blauen Himmelbett liebäugelt, in das er die Geliebte locken will, bleibt nur noch der adrette, ein wenig keusch kokettierende Engel, der mit stimmlich reiner Eleganz und flirtiver Eloquenz die tadelhaften Avancen ihres Sängerkollegen nonchalant wettmachen kann.

 

©Ansgar Klostermann

Dabei verzaubert die US-amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sørensen das Publikum gleich mehrmals. Ob als reizende Mimi oder als flotte Adele, ihr Stimmmaterial schlägt gekonnt die Brücke zwischen opernhafter Grandezza und musenhafter Leichtigkeit - und all das mit einem goldschimmernden verführerischen Klangschmelz, der luxuriös und elegant auch in den exponiertesten Höhen warm und angenehm weich erstrahlt.

 

Ob es wohl an der Operette "Die lustige Witwe" liegt oder aber an der einzigartigen Arie "Es lebt eine Vilja, ein Waldmägdelein"?

 

So tiefenbeseelt, nahezu sphärisch und weltverloren hört man die etwas ernstere Nummer aus Léhars Kassenschlager selten. Gefühlsduselig klingt es dennoch nicht. Vielmehr spürt man eine Innigkeit, die authentisch und absolut persönlich wirkt, berührt und dabei mit jedem Ton mitten ins Herz trifft.

 

Willis-Sørensen versteht es einfach, den vokalen Spannungsbogen bis auf die tonal höchste Spitze zu treiben und sämtliche Nervenenden reizintensivst zu stimulieren. Klangperlen über Klangperlen, glänzend, fein und mit einem pastellfarbenen Schimmer überzogen, der sämtliche Sinne hypnotisch umflort.

 

Genauso fühlt es sich auch an, als die Ausnahmekünstlerin die weltbekannte Arie "Io son l'umile ancella"zum Besten gibt. Verzückt lauscht man dem unverwechselbaren Gesang, der nicht von dieser Welt scheint.

 

Neben einem Zugabenrepertoire, dass man fast schon als dritten Programmteil bewerten könnte, beleben beide Gesangsakrobaten die Bühne plötzlich mit einer ausgelassenen Tanzeinlage.

 

"Tausend kleine Englein singen...": Ob das wirklich nottut, wenn bereits zwei virtuose Engel ausreichen, um dem sommernachtstraumverdächtigen Konzertabend einen überdurchschnittlich beseelten Anstrich zu verpassen?

 

Unvergesslich wird er bleiben, auch wenn der Konzertauftakt in Benediktbeuern wohl nicht mehr zu toppen sein wird.


©arp / Jonas Kaufmann

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©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

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©Wolfram Zöttl / ZDF

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