Jamie Cullum, der klaviertuose Jazzpoet

04. November 2021

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Jamie Cullum / Universal Music Records

Klassik und Jazz - Jazz und Klassik! Irgendwie bekommt man diese beiden doch eigentlich völlig konträren Musikstile nicht auf einen Nenner, denn was hat der eine mit dem anderen überhaupt gemein?

 

Auf den ersten Blick nicht wirklich viel, außer dass sich der Jazz trotz seiner afroamerikanischen Rhythmik aus den Harmonien der europäischen Musik speist.

 

Prinzipiell ist die Jazzmusik rein plakativ gesprochen das Pendant zur klassischen Musik. Tatsächlich ist die "Hottentotten-Musik", wie sie einst mein Vater titulierte, unglaublich schwer zu erlernen.

 

Bestenfalls sollte man die harmonischen Grundlagen der klassischen Musik kennen, eine große Portion Rhythmus im Blut und ein ausgeprägtes, wenn nicht sogar überdurchschnittliches harmonisches Improvisationsvermögen haben, denn auch die komplizierten Akkordfolgen und Sekundärdominanten, die in ihrer akrobatisch anmutenden Modulation für das Gehör schräg und oftmals kaum gehörgängig erscheinen, verlangen dem Zuhörer beim Jazz eine Menge Musikverständnis und Ausdauer ab.

 

Jazz ist also keine leichte Muse - genauso wenig wie die klassische Musik es jemals sein wird.

 

Und voilà, die Brücke zu beiden Welten wäre mit dieser Übereinstimmung wohl geschlagen, hergestellt somit auch die Überleitung zu einem Künstler von Weltformat, der die Jazzmusik über die letzten zwei Dekaden mit seinem inspirativen und außergewöhnlichen Improvisationstalent zu einem klangpoetischen Hörerlebnis gemacht hat - und das so ganz ohne Notenkenntnisse.

 

©Jamie Cullum / Universal Music Records

©Jamie Cullum / Universal Music Records

Die Rede ist hier von Jamie Cullum. Der 41-jährige englische Ausnahmekünstler, der mit populären, sehr eingängigen Musiknummer wie "Edge of Something" oder "Save your Soul" vor 10 Jahren mein klassikaffines Herz langsam, aber sicher wieder für den Jazz zum Entfachen gebracht hat, kann vor allem eines ganz besonders gut: musikalische Oldtimer neu pimpen - und zwar so, dass sie in einem harmonisch neuen Gewand modern und zeitgemäß erklingen und dennoch melodisch identifizierbar bleiben.

 

Mit seiner "Song Society" probiert sich Cullum seit einiger Zeit extrem erfolgreich an solch experimentell innovativen Coverversuchen, die in laborierender "Error & Trial" Manier innerhalb einer knappen Stunde aus alten Jazz- oder Soulklassikern erfrischend neue Einspielungen machen.

 

Dabei werden vorab Tonarten auf Ex durchprobiert. Wie der Song klingen soll, entscheidet am Ende der Geschmack des Künstlers, der sich als Autodidakt mit 13 Jahren das Klavierspielen selbst beigebracht hat.

 

Souverän, überhaupt nicht old-school, ganz lässig und versiert haut er ein paar Mal kraftvoll in die Tasten und los geht es auf eine musikalisch aufregende Exkursion, die sich einzig und allein von der Improvisation leiten lässt und in einer virtuosen, beinahe schon besessenen Klaviaturakrobatik ausartet.

 

©Jamie Cullum / Universal Music Records

Das ist die Magie des Jazz, die ganz große Freiheit, die in dieser Musik steckt, zu tun und zu lassen, was man tonal, atonal, interpretatorisch und überhaupt will. Grenzen sprengen, Musikstrukturen aushebeln, improvisieren, was das Zeug hält, auf die Tasten hauen: " A one, a two..., a one, a two, a three....."

 

Und tatsächlich: "Jazz ist die beste Startbahn, um zu tun, was man will", so der waschechte Cockney und Showman Jamie Cullum.

 

Jüngst gab er für eine Live-Stream-Übertragung auf der Bühne des Espace Richaud unter der Kuppel des königlichen Krankenhauses von Versailles einen Gig, der unter Pandemiebedingungen nicht vor Publikum stattfinden konnte.

 

Doch der Rahmen war so intim, die Auswahl der Songs aus Cullums letzter CD Einspielung "Taller" verzaubernd genug, dass ein frenetisch johlendes Fanaufgebot die Atmosphäre dieser einzigartigen One-Man-Show am Klavier sowieso nur zum Kippen gebracht hätte.

 

©Jamie Cullum / Universal Music Records

Eingetaucht in schummrig atmosphärisches Candle-Light, nur von wenigen Scheinwerfern angestrahlt, saß der kleine Mann am Klavier, der ein wenig an den Hobbit Frodo aus dem Film Herr der Ringe erinnert, und kreierte aus dem minimalistischen Ambiente heraus eines der eindrucksvollsten Konzerte - und das ganz ohne Audienz.

 

Heiße Soul- und Jazz-Nummern, softe Balladen, Cover-Versionen mit einem tiefen Gespür für das musikalisch Essenzielle ließen auch das Bildschirmerlebnis zu einer imaginär raumübergreifenden Erfahrung werden.

 

Mit seiner rauchigen, angerauten und phasenweise gebrochen resonierenden Stimme, die mit allen Ecken und Kanten ganz ohne Feinschliff auch die leisen, zartschmelzenden Töne in petto hat, sorgte Cullum für besondere Gänsehautmomente.

 

Anders als auf seinen CD-Einspielungen, die nett, aber in ihrer Gesamtheit oftmals gefällig daherkommen, unterstreichen Cullums Live-Auftritte umso mehr, was in dem virtuosen Künstler tatsächlich so alles drinsteckt.

 

Perfekt, glattgebügelt und tonstudioreif klingen seine Konzerte sowieso nicht. Schräg, unangepasst, energiegeladen, hingebungsvoll, furchtlos und versiert improvisationsreich bis zum Anschlag und viel öfter weit darüber hinaus, so könnte man seine Live & Unplugged Auftritte schon eher bezeichnen. 

 

©Jamie Cullum / Universal Music Records

Und genau das macht eben auch den Reiz seiner Musik und vor allem seiner spontanen Showeinlagen aus, die immer für besondere Überraschungsmomente beim Publikum sorgen. Cullums Musikstil ist dabei so einzigartig und unverwechselbar, dass man sich auch seinen musikalischen Beimischungen aus Pop, Rock, Hip-Hop, Soul und Bebop mit Begeisterung hingeben kann.

 

Die Hauptessenz von Cullums Musik ist und bleibt aber eindeutig der Jazz, eine Droge, die im Falle des Briten wirklich nicht ganz frei von rauschhaften Nebenwirkungen ist, zumindest nicht dann, wenn ein musikalisches Tête-à-tête mit dem Jazzinterpreten ansteht.

 

Dabei faszinieren seine absoluten Fähigkeiten als Entertainer genauso wie seine höchst unkonventionellen fingerfertigen Eskapaden am Flügel.

 

Denn wenn Cullum die Klaviatur berührt, ist das ein Fest für die Sinne. Oft genug beschränken sich seine spielerischen Ausflüge auch nicht ausschließlich auf die weiß-schwarzen Tasten.

 

©Jamie Cullum / Video über youtube zur Verfügung gestellt

"Edge of Something" ist ein eingängiger Brit-Pop-Sound, der jazzige Anklänge und ausgeprägt rhythmische Akzentuierungen mit soulintensiver Stimmkraft vermischt.


Auch der gekonnt beherzte Griff in die Saiten bei gleichzeitigem Tastenanschlag kann schon mal zu einem prickelnd aufregendem Seh-und Hörerlebnis werden. Ein bisschen Effekthascherei muss sein, auch wenn Cullum es dabei sicherlich mehr auf seine musikalische Experimentierfreude anlegt.

 

So erlebte man in der Live-Übertragung aus dem Versailler Krankenhaus ein Intro zu "Please, don´t stop the music", bei dem Cullum den Flügel synchron als Schlag- und Zupfinstrument zum Klingen brachte.

 

Was für eine Show, was für ein Showeffekt, was für eine Showeinlage!

 

Tja, wer kann, der kann! Jamie Cullums Showmaster-Qualitäten sind jedenfalls von einer 1A Güte, die zusammen mit seiner klaviertuosen Strahlkraft eine explosive Mischung abgeben.

 

Und so ist er nicht nur einfach der Mann am Klavier.

 

Trefflicher formuliert sollte es heißen: Jamie Cullum,  der klaviertuose, vielleicht sogar der klaviertuoseste Jazzpoet unserer Gegenwart.


©Jamie Collum / Video über youtube zur Verfügung gestellt

Mit Cullums "Song Society" werden immer wieder alte Jazzklassiker aufpoliert, neu interpretiert und improvisatorisch moderner und frischer gestaltet. Dabei zeigt sich das höchst individuelle Talent des englischen Musikers in allen Facetten.

 

©Jamie Cullum / Video über youtube zur Verfügung gestellt

Zum 80. Geburtstag des deutschen Entertainers Udo Jürgens spielt Jamie Cullum Jürgens Welthit "If I never sing another song", in seiner eigenen, sehr bewegenden und anrührenden Interpretation.


©Arte Concerts Jamie Cullum Piano Solo / über youtube zur Verfügung gestellt

Die "Arte Concerts Aufzeichnung" aus dem Versailler Krankenhaus ist ein absoluter musikalischer Hochgenuss und steht in der Mediathek abrufbar bis einschließlich 25. Oktober 2022 zur Verfügung.


Kommentare: 2
  • #2

    Nicole (Freitag, 26 November 2021 10:43)

    Absolut. Der Mann ist großartig. Und diese autodidaktischen Fähigkeiten. Ich wüsste nicht, wie ich ohne Noten irgendetwas auf dem Klavier produzieren könnte. Die Musik geht tief und hat dennoch diesen Rhythmus, diesen Swing. Unverkennbar Jamie Cullum.

  • #1

    Miss Ca-Dei (Freitag, 26 November 2021 10:37)

    Seit langem Riesenfan dieses unglaublichen Jamie Cullum! Alles was er macht hat Klasse, immer neue Highlights..z.B. auch "Gran Torino", Song zum Clint Eastwod Film!!