Im Gespräch mit Maria Nazarova:"Man muss bereit sein, sich dem Publikum emotional, schauspielerisch und gesanglich öffnen zu können."

01. Mai 2023

Rubrik Interviews

©Maria Nazarova

Im letzten Jahr durfte ich die russische Sopranistin Maria Nazarova erstmals für mich entdecken. Bei der "Licht ins Dunkel" Gala, die in der Wiener Staatsoper stattfand und im ORF übertragen wurde, traf ihr perlend feiner Schöngesang auf eine zutiefst beseelte Interpretation des Liedes "Morgen" von Richard Strauss.

 

Mit viel Disziplin, Leidenschaft und einem unumstößlichen Glauben an sich selbst hat sich die junge Opernsängerin eine Karriere aufgebaut, die sie letztendlich nicht nur an die Wiener Staatsoper geführt, sondern ihr ebenfalls viele Auftritte an renommierten Opernhäusern der Welt ermöglicht hat.

 

Ob an der Mailänder Scala, der Wiener Staatsoper oder bei den Salzburger Festspielen, Maria Nazarova lebt ihre Rollen authentisch und sie lebt auch förmlich in ihnen auf. Was der charismatischen Opernsängerin wichtig ist, basiert auf einer ausgereiften Stimmtechnik und greift dennoch weit darüber hinaus.

 

Denn, wie Maria sagt, sollen sich die Emotionen im Gesang auflösen dürfen. Nur dann kann ihrer Meinung nach eine geistig-göttliche Verbindung hergestellt werden, die man so ins Publikum transportieren kann.

 

Aber dafür muss man auch bereit sein, sich dem Publikum emotional, schauspielerisch und gesanglich zu öffnen - authentisch und natürlich!

 

Und wenn Maria Nazarova nicht auf der Bühne steht, dann bilden Mann und Tochter ihren Lebensmittelpunkt. Vielleicht erleben wir Maria irgendwann einmal als Casting Direktorin eines Festivals, denn Nachwuchskünstler auf eine Opernkarriere vorzubereiten, das würde der Sopranistin tatsächlich gefallen.

 

Hoffen wir aber, dass uns Maria Nazarova vorerst selbst noch lange mit ihrer herrlichen Stimme auf den großen Bühnen der Opernwelt beglückt.

 

Operaversum: Liebe Maria, erzähle mir über Deinen Werdegang. Welches Schlüsselerlebnis hat Dich zum Gesang gebracht und warum hast Du Dich für die klassische Musik entschieden? 

 

Maria Nazarova: Mir war von Anfang an klar, da war ich gerade Mal vier Jahre alt, dass ich mich später als Erwachsene dem klassischen Gesang verschreiben würde. Den Anstoß dazu hat eindeutig meine Mutter gegeben. Sie war diejenige, die meinen Werdegang fokussiert in diese Richtung beeinflusst hat. 

 

Ganz oft sind es nämlich die unerfüllten Träume, die Eltern für ihre Kinder hegen und realisiert wissen wollen. Und wenn sie dann noch merken, dass speziell ihr Kind Talent für ein bestimmtes Fach oder eine besondere Gabe hat, die sie selbst besonders lieben, fördern sie das im Idealfall natürlich. Und das ist bei mir passiert. 

 

Deshalb hatte ich auch schon sehr früh eine Gesangslehrerin, die zu uns nach Hause kam, damit ich sowohl das Singen als aus auch das Klavierspielen erlernen konnte. Tatsächlich war ich von der ersten Sekunde an vom Singen extrem fasziniert. Es war so inspirierend und gleichzeitig berauschend, mit der eigenen Stimme Klänge produzieren zu können und andere Menschen damit zu erfreuen. 

 

Als ich dann Jahre später mein Gesangsstudium aufgenommen habe, wurde mir dann ganz plötzlich klar, dass ich nicht einfach nur die Träume meiner Eltern leben will und Erfolg nicht die alleinige ausschlaggebende Komponente für mein Tun sein kann. Vielmehr wurde mir bewusst, dass mir das Singen tatsächlich den Zugang zu einem tieferen Empfinden ermöglicht und das ich meine Leidenschaft und die damit verknüpften Emotionen und Energien über die reine Gesangstechnik hinaus in mir ausleben und dadurch eine Verbindung zum Geistig-Göttlichen herstellen und es ins Publikum transportieren kann. Von dem Moment an lag mir mein Ziel ganz glasklar vor Augen.  

 

Und dann kam eins zum anderen: Zuerst habe ich mich an der Akademie für Musik- und Theaterkunst eingeschrieben, um in allen Genres, angefangen von der Operette, über das Drama bis hin zum Musical und Tanz, meine ersten Erfahrungen zu sammeln. Fokussiert habe ich mich dabei schwerpunktmäßig auf das klassische Repertoire und sehr viel an meinem Schauspiel und meinem Gesang gearbeitet. 

 

Mein Credo war immer kontinuierlich an mir zu arbeiten, noch besser, perfekter und fein geschliffener zu werden. Dafür habe ich sogar sehr viele Schauspielstunden in Kauf genommen, um auch die Rollenperfektion zu erlangen.

 

Mit meinem unbändigen Willen und einem absolut klaren Fokus habe ich es geschafft, meinen künstlerischen Weg zu finden und ihn auch unbeirrt zu gehen. Besonders dankbar bin ich meinen Eltern, die mich immer kompromisslos in all meinem Tun unterstützt und vor allem immer an mich und mein Talent geglaubt haben. 

 

Operaversum: In einem Deiner Instagram-Posts berichtest Du, dass es Dir aufgrund Deiner Statur von 1,50 Metern nicht leicht gemacht wurde, im Opernbusiness Fuß zu fassen.  

 

Wie hast Du es dennoch geschafft, Dich darin zu behaupten? 

 

Maria Nazarova: Tatsächlich ist es mir als junge Sängerin mit 15 Jahren so ergangen, dass mir ein Lehrer direkt ins Gesicht gesagt hat, ich wäre für eine Karriere als Opernsängerin definitiv zu klein, nicht so wahnsinnig hübsch und überhaupt hätte ich kein Vibrato in der Stimme und somit auch keine Chance, den Sprung in dieses Business zu schaffen.  

 

Damals war ich sehr schüchtern und noch verschlossen, denn meine Stimme war technisch, insbesondere was mein Vibrato betraf, noch nicht so weit ausgereift, dass ich mich mit ihr hätte vollends öffnen und zeigen können. Bis zu dem Zeitpunkt hat es tatsächlich noch viele Jahre intensives Training gebraucht. 

 

Und natürlich war ich nach dieser Ansage so demoralisiert, dass ich erst mal drei Monate vom Gesang pausiert habe und mir währenddessen ernsthaft überlegen musste, was ich alternativ mit meinem Leben anstellen könnte. Doch ich habe keine befriedigende Antwort gefunden. Nichts hat mich so inspiriert wie das Singen. Also bin ich einfach zu meiner alten Gesangslehrerin zurückgekehrt und habe meine Gesangsstunden bei ihr fortgesetzt und am Ende dann auch die Aufnahmeprüfungen in die Russische Akademie für Theaterkunst im Fach Musiktheater bestanden. Letztendlich hat mich der unerschütterliche Glaube an mich selbst dort hingebracht, wo ich bin, nämlich auf die großen Opernbühnen der Welt. 

 

Tatsächlich habe ich mir bis heute häufig die Frage gestellt, woher ich damals diesen unbeirrbaren Glauben und das Selbstbewusstsein hergenommen habe, zumal es bei mir mit der Karriere nicht sofort geklappt hat.  

 

10 Jahre habe ich gebraucht, bis ich dort angekommen bin, wo ich heute stehe. Und ständig musste ich mir selbst beweisen, dass mein Talent und meine Stimme wirklich für eine Opernkarriere ausreichen würden. Ich habe mich in all der Zeit so dermaßen unter Druck gesetzt, weil ich es wohl all denjenigen beweisen wollte, die nicht an mich und meine Fähigkeiten geglaubt haben. 

 

Im Umkehrschluss war diese Verbohrtheit, die mich innerlich hat verkrampfen lassen, meiner Stimme nicht besonders zuträglich. Es gab Phasen, da hatte ich ernsthafte Stimmkrisen und habe noch dazu mit den falschen Lehrern geübt. Heute denke ich, dass es phasenweise deutlich leichter für mich hätte laufen können, wäre ich einfach nur entspannter und gelassener geblieben. 

 

In Summe habe ich somit 5 Jahre Gesang in Moskau studiert, dann 3 Jahre in Salzburg und die letzten 2 Jahre am Konservatorium in Wien. Und dann ist endlich meine Sternstunde gekommen. 

 

Operaversum: Was war denn Deine Sternstunde, liebe Maria? 

 

Maria Nazarova: Im letzten Semester wurde am Konservatorium für den Intendanten der Wiener Staatsoper, Dominique Meyer, ein Vorsingen mit den besten Studenten organisiert. Und dabei bin ich entdeckt worden. Von wirklich allen Sänger:innen war ich die Einzige, die Dominique Meyer für das Ensemble der Wiener Staatsoper ausgewählt hat. Ich habe ihm einfach gefallen, gerade wegen meiner Statur und weil er mich süß, frech und energetisch fand. Bis heute nennt er mich immer noch "Mein Taschensopran".  

 

Operaversum: Oh, wie schön! 

 

Maria Nazarova: Und von dem Moment an hat sich alle Anspannung von mir ganz plötzlich gelöst, denn da war nun ein Mensch, der an mich geglaubt und mir eine Chance eingeräumt hat. So erst konnte sich mein Traum, an der Wiener Staatsoper singen zu dürfen, erfüllen. Und ich wollte seit jeher an diesem Haus singen. 

 

©Maria Nazarova

Operaversum: Welche fachlichen und persönlichen Attribute braucht es denn überhaupt, um den Herausforderungen im Studium und später als Opernsängerin gewachsen zu sein? 

 

Maria Nazarova: Definitiv braucht man sehr viel Durchhaltevermögen und man muss an den Weg, den man eingeschlagen hat, felsenfest glauben. Unabdingbar ist auch, dass man viel und ausdauernd an sich arbeitet, um sein gestecktes Ziel zu erreichen. Dabei ist es wichtig, dass man nicht nur seine Stärken kennt und fördert, sondern auch seine Schwächen im Blick hat. 

 

Eine meiner Stärken ist beispielsweise das Schauspiel. Dabei ist es mir besonders wichtig, dass ich die Rolle, die ich gerade spiele, lebe und in ihr aufgehe, wenn ich auf der Bühne stehe. 

 

Bei Wiederaufnahmen musst Du es nämlich schaffen, der Figur, die Du interpretierst, innerhalb kürzester Zeit, manchmal nur innerhalb einer knappen Woche Leben einzuhauchen, ihr Facetten zu geben, da meistens die Vorbereitungszeit bei solchen Produktionen fehlt, um jede Rolle intensiv einstudieren zu können. 

 

Insofern bin ich dann immer ein großes Stück weit meine eigene Regisseurin. Und dabei hilft mir eben ganz besonders mein schauspielerisches Vermögen, gepaart mit meiner Spontanität, meiner Fantasie, meinem Improvisationsgeschick und der Fähigkeit, mein kreatives Kind aus mir heraus zu kitzeln. So kann ich meiner Kunst einen wahrhaft lebendigen Ausdruck verleihen. 

 

Operaversum: Du hast in der "Licht ins Dunkel" Gala im November 2022 Richard Strauss´ Lied "Morgen" mit ausgesprochen tiefer Beseeltheit interpretiert. Wie bereitest Du Dich auf ein emotional anspruchsvolles Repertoire vor? Und was bedeutet Dir die Musik von Richard Strauss? 

 

Maria Nazarova: Ich glaube, vor 10 Jahren hätte ich so ein Lied von Richard Strauss in der Art und Weise nicht darbieten können. Ehrlicherweise habe ich mir vor meinem Auftritt keine tieferen Gedanken über die Interpretation machen können, da ich krank war und Schmerzmittel eingenommen hatte. Das hat mich nervös gemacht und meine Beine haben unter meinem blauen Abendkleid gezittert. Aber scheinbar bin ich mittlerweile gesanglich auf einem so hohen Niveau angekommen, dass ich kaum noch darüber nachdenken muss, wie ich ein Stück zu präsentieren habe. Ich kann, während ich auf der Bühne stehe, meine Interpretation relativ frei gestalten und mich dann auch ganz spontan auf den Moment einlassen. 

 

Und genau so ist es mir an dem Abend wahrscheinlich ergangen. Hinzu kommt, dass ich während meiner Interpretation von “Morgen” just in dem Moment an das aktuelle Kriegsgeschehen in der Welt denken musste und mir plötzlich klar wurde, dass es nie wieder wie früher sein wird.  Meine Gefühle haben mich dann regelrecht übermannt, was zu der besonderen Liedinterpretation geführt hat, die Du als Zuschauerin wahrgenommen hast. 

 

Ganz sicher haben aber auch das gedimmte Licht und die Atmosphäre im Saal ihr Übriges dazu beigetragen, um mich ein wenig in eine entrückte Stimmung zu versetzten. Tatsächlich hatte ich zuweilen das Gefühl, meine Seele würde fliegen. Und solche Momente, die fast schon magisch sind, kann man nicht wirklich vorbereiten. Darauf ist man selbst auch nie wirklich vorbereitet. 

 

Operaversum: Demnach spricht die Musik von Richard Strauss zu Dir? 

 

Maria Nazarova: Ja, das tut sie, absolut. Besonders liebe ich die Lieder von Richard Strauss, die bereits Teil meines Repertoires sind. Und ich träume davon, irgendwann auch einmal die Sophie im Rosenkavalier singen zu dürfen.  

 

Die Musik von Richard Strauss ist wirklich unglaublich, weil sie so ein einzigartiger schwebender Kosmos in sich ist, in dem man sich total verlieren kann und sich dabei fast schon in Trance ähnliche Zustände begibt. 

 

©Maria Nazarova

Operaversum: Dein Opernrepertoire liest sich wie die Crème de la Crème: Von Donizetti, Puccini, Wagner bis hin zu Strauss und Mozart ist fast alles dabei.  

 

Welche Faktoren begünstigen Deine Rollenauswahl? An welchen Kriterien machst Du Deine Entscheidung für oder gegen eine Rolle fest?

 

Maria Nazarova: Das ist einfach zu beantworten. Dadurch, dass ich so viele Jahre schon fest im Ensemble der Wiener Staatsoper gesungen habe, bin nicht ich es, die sich die Rollen aussucht, sondern die musikalischen Entscheider an der Wiener Staatsoper. Nur wenn die Rollen wirklich stimmlich zu anstrengend sein sollten oder überhaupt nicht zu mir passen, dann lehne ich auch mal ein Angebot ab.  

 

Vielleicht passiert es ja in ein paar Jahren, dass ich in den Genuss komme, mir meine Partien selbst aussuchen zu dürfen. 

 

Operaversum: Was denkst Du? Braucht es heutzutage schnell fein geschliffene Opernstars oder lieber Sänger mit Ecken und Kanten, die ihren Werdegang relativ autonom bestimmen, dafür aber in ihrer Karriere deutlich länger brauchen, um erfolgreich zu werden? 

 

Maria Nazarova: Dafür gibt es kein allgemeingültiges Patentrezept, denn jeder beschreitet seinen eigenen, höchst individuellen Weg. Und man muss je nach Talent abwägen, wohin die Reise einen tatsächlich führt.

 

Wenn man sehr begabt ist, kann man natürlich recht früh in eine vielversprechende Karriere starten und seine gesanglichen Qualitäten sehr lange auf einem stabilen Niveau halten. Allerdings gibt es auch Karrieren, die sehr früh mit Anfang 20 begonnen haben und schon mit Anfang 30 am Ende waren.

 

Meines Erachtens ist es sehr gefährlich, bereits in ganz jungen Jahren gesanglich alles aus sich herauszuholen, nur weil man vielleicht denkt, dass man so ein Pensum als junger und unverbrauchter Sänger ohne technische Stütze durchhalten kann. Das macht die stimmliche Physis aber auf lange Sicht nicht mit. Daher ist es essenziell, dass man sich nicht einfach auf seine Naturstimme verlässt, sondern die Studienjahre zum kontinuierlichen Aufbau der Stimme nutzt und dort auch lernt, mit Erfolgen und Rückschlägen umzugehen. 

 

Natürlich kann man in jungen Jahren noch sehr viel mit seiner Naturstimme ausloten, wenn die Nerven mitspielen und man angstfrei ist. Wer aber bis ungefähr zu seinem 30. Lebensjahr mit seiner Naturstimme technisch ungestützt gesungen hat, kann plötzlich wider Erwarten in eine ernste Stimmkrise hineinschlittern. 

 

Mit zunehmendem Alter büßt die Stimme nämlich peu à peu an Spannung, Strahlkraft Flexibilität und manchmal auch Höhe ein. Die Stimmbändern sind ja Muskeln, die man trainieren muss. Und ohne eine fundierte Gesangstechnik, ohne die körperliche Stütze und das kontinuierliche Training der Stimmmuskulatur, die sich erst über Jahre aufbaut, was vergleichbar mit dem Muskelaufbau eines Hochleistungssportlers ist, wird es einem Sänger ab einem gewissen Zeitpunkt unmöglich sein, seine gesangliche Spitzenleistung auf einem gleichbleibenden Niveau abzurufen, geschweige denn diese überhaupt zu halten.  

 

Deshalb ist es wirklich essenziell, eine ausgereifte Stimmtechnik zu kultivieren und diese auch im Laufe einer Karriere zu kontrollieren und je nach Bedarf auch entsprechend zu justieren. Dafür ist es ebenfalls unabdingbar, einen sehr guten Gesangslehrer zu haben, der auf die stimmliche Entwicklung eines Sängers achten, ein sehr gutes Gehör hat und die erforderlichen korrektiven Maßnahmen, falls erforderlich, einleiten kann. Außerdem bin ich der Ansicht, dass man mehrere Gesangslehrer haben sollte, um eine optimale, allumfassende Ausbildung zu erhalten. 

 

Operaversum: Hat man denn als Sänger:in überhaupt die Zeit, um sich so reflektiert zu beobachten und diesen Weg bewusst wahrzunehmen? 

 

Maria Nazarova: Das wird tatsächlich mit den Anforderungen, die heutzutage an junge Sänger:innen gestellt werden, immer schwieriger. Denn der Markt hat sich doch extrem verjüngt. In den Opernstudios der Opernhäuser beispielsweise werden junge Sänger:innen ausgebildet, die manchmal noch nicht mal das 25. Lebensjahr vollendet haben. 

 

Und die Tendenz, möglichst sehr junge Talente zügig für eine steile Karriere zu formen, geht in eine klare Richtung. Sich als junger Mensch diesem Tempo zu widersetzen, würde bedeuten, den Anschluss zu verpassen, und das wäre wahrscheinlich genauso falsch, wie sich zu schnell verheizen zu lassen. 

 

Eine Balance für sich zu finden, Dinge auszuprobieren, ein bisschen was zu riskieren, dabei bewusst zu reflektieren, sich dem Tempo des Markes nicht komplett zu widersetzen und dennoch seinen eigenen authentischen Weg darin zu finden, das ist die wahre Kunst dieser Tage, als Sänger auf dem hart umkämpften Markt zu bestehen. 

 

Ob diese Entwicklung allerdings so vorteilhaft ist und langfristig qualitativ nachhaltig für die Branche, steht vielleicht auf einem anderen Blatt geschrieben, denn faktisch spielen die persönlichen Erfahrungen, der gesamte Reifeprozess eines Sängers eine immens große Rolle. Und zwar in der Art und Weise, wie wahrhaftig Gesang und Schauspiel auf die Bühne gebracht werden. Und diese Qualitäten hat man natürlich noch nicht mit Mitte 20 entwickelt. 

 

Hinzu kommt, dass Sänger leider auch immer häufiger in Schubladen gesteckt werden, was bedeutet, dass die Branche nach einem ganz bestimmten Typ sucht, der optisch, gesanglich und charakterlich bestimmte Auswahlkriterien erfüllt. Das macht es wiederum für extrem individuelle Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten, die zudem noch schubladenresistent sind, enorm schwer, sich in der Opernbranche zu etablieren. 

 

©Maria Nazarova

Operaversum: Als Adele hast Du in der Operette "Die Fledermaus" von Johann Strauß an der Wiener Staatsoper geglänzt - nicht nur gesanglich, sondern auch mit einem hohen Maß an schauspielerischem Können. 

 

Ist die Operette im Vergleich zur Oper das eigentlich schwierigere Genre? 

 

Maria Nazarova: Ja, die Operette ist das schwierigere Genre, weil man als Sängerin wirklich sehr gut schauspielern können muss und die Textverständlichkeit nicht übertrieben, gekünstelt oder gar lächerlich wirken darf. Jedes Wort muss natürlich und gleichermaßen deutlich artikuliert sein, sodass es das Publikum gut verstehen kann.  

 

Das bringt andererseits die Problematik mit sich, dass der Wechsel zwischen Gesang und Sprache anstrengend für die Stimme werden kann, insbesondere, wenn man sehr laut sprechen muss und der Gesang dabei elegant, leicht und duftig wirken soll. 

 

Tatsächlich muss man bei der Adele mit seiner Stimme, insbesondere, was den gesprochenen Text anbelangt, klug umgehen, seine Energien gut bündeln, damit man nach den vielen gesprochenen Phrasen die koloraturreichen Passagen in beiden Arien gut meistern kann. Und ganz wichtig ist es, den gesprochenen Text immer gut zu stützen, genauso wie man es beim Gesang macht. Leider kommt es nur viel zu häufig vor, dass man beim Gesang sehr auf die körperliche Stütze achtet und dies beim gesprochenen Wort unbeabsichtigterweise schnell vernachlässigt. Mir passiert das leider auch schon mal, dass ich beim Sprechen nicht unbedingt daran denke, meine Stimme gut zu stützen. 

 

Operaversum: Erzähle mir von einem Deiner schönsten Momente auf der Opernbühne, bei dem Du gedacht hast, dafür hat sich alle Arbeit Mühe wirklich gelohnt! 

 

Maria Nazarova: Oh Nicole, da gibt es ganz viele schöne Momente, die ich auf der Opernbühne erlebt habe. Aber ein Erlebnis, das unvergesslich bleibt, war mein Debüt an der Wiener Staatsoper - und zwar als Barbarina. Da habe ich von der Bühne ins Auditorium geblickt und das Gefühl gehabt, dass so viele Augenpaare auf mich blicken und gespannt darauf warten, wie meine Stimme wohl klingen wird.  

 

Und dieser Moment war sehr aufregend für mich und einfach ganz besonders. Ich war damals 27 und die Aufführung fand im November 2015 statt. Ich habe an jenem Abend nicht erwartet, dass von der Bühne aus der Zuschauerraum so schön aussehen und durch das gedimmte Licht so atmosphärisch wirken würde. Und dann erst dieser Orchesterklang, der mich ebenfalls total mitgerissen hat, genauso wie die Akustik, mit der meine Stimme so klangvoll ins Auditorium getragen wurde. Das war einfach umwerfend. 

 

Ein ähnlich schönes Erlebnis hatte ich, als ich im Februar 2018 an der Mailänder Scala die Adele als Einspringerin debütiert habe.

 

Operaversum: Technik oder Emotion? Schöngesang oder Expressivität? Was muss eine Sängerin mit ihrer Stimme machen können, um das Publikum zu faszinieren? 

 

Maria Nazarova: Wichtig ist meiner Ansicht nach, was man als Sängerin zu sagen hat, welche Energie man ins Publikum bringen will - alles natürlich unter der Voraussetzung einer exzellenten Gesangstechnik. Letztere sollte man sein Leben lang perfektionieren und ausfeilen, so als würde man mit feinsten Pinselstrichen ein detailgenaues, facettenreiches und lebensechtes Gemälde malen wollen. 

 

Darüber hinaus ist es ebenfalls sehr wichtig, sich als Mensch zu entwickeln, als Persönlichkeit zu reifen, um so der Kunst Substanz und Tiefe zu verleihen, damit die Geschichte auf der Bühne mit Emotionen interpretiert werden kann, sozusagen aus der Seele heraus, unterfüttert mit der eigenen höchst individuellen Lebenserfahrung. Dafür ist es aber unabdingbar, sich dem Publikum emotional, schauspielerisch und gesanglich zu öffnen - authentisch und natürlich. 

 

Genau aus dem Grund finde ich es für Opernsänger:innen gleichermaßen wichtig, Schauspiel zu studieren.

 

Operaversum: Also braucht man von allem etwas? Man muss eine solide Technik haben, von der aus man seine Gefühle transportieren kann? 

 

Maria Nazarova: Sicher, aber wenn Du nur eine schöne Technik und als Mensch nichts zu sagen hast, was bringt Dir das dann? Ein schöner Klang reicht mir persönlich nicht. Ich lausche lieber einer Sängerin, die mit etwas weniger Hals singt, aber die Emotionen und die Geschichte ins Publikum transportieren kann und sich dabei emotional öffnet. 

 

Schließlich stehen wir als Sänger am Ende nicht auf der Bühne, um allen zu gefallen. Es geht vielmehr um die eigene Wahrhaftigkeit, um das, was wir mit unseren Emotionen ausdrücken wollen. Und da habe ich keine Angst, mich vor meinem Publikum zu öffnen und alles zu geben, was in mir drinsteckt, auch auf die Gefahr hin, nicht von jedem gemocht zu werden. 

 

©Maria Nazarova

Operaversum: Was ich bislang aus unserem Gespräch herausgehört habe, ist, dass Du immer Deinem eigenen selbstbestimmten Weg gefolgt bist und Dich auch nie hast beirren lassen. 

 

Gab es denn überhaupt Vorbilder, die Dich in Deiner gesanglichen Entwicklung beeinflusst haben? 

 

Maria Nazarova: Natalie Dessay hat mich als Jugendliche sehr beeindruckt. Sie war viele Jahre ein großes Vorbild für mich, weil sie wirklich nicht nur eine grandiose Sängerin, sondern eine ebenso fabelhafte Schauspielerin war, die große Emotionen auf die Bühne gebracht hat. 

 

Ihre Rolleninterpretationen, die sie immer sehr authentisch auf der Bühne ausgelebt hat, haben mich tief berührt. Und als ganz junge Frau hat sie auch einfach wie ein Engel gesungen. 

 

Operaversum: Liebe Maria, Du hast bereits an großen Häusern wie beispielsweise an der Mailänder Scala oder bei den Salzburger Festspielen gesungen, bist zusammen mit großen Künstlern wie Plácido Domingo, Piotr Bezcala und Juan Diego Flórez aufgetreten: 

 

Welcher berufliche Traum ist noch unerfüllt geblieben? Was fehlt noch auf Deiner Wunschliste? 

 

Maria Nazarova: Tatsächlich sind viele meiner Träume schon wahr geworden. Ich habe einen tollen Mann, eine tolle Tochter, singe an der Wiener Staatsoper und an anderen großen Opernhäusern der Welt. Was ich mir aber zu einem späteren Zeitpunkt wünschen würde, wäre junge Sänger:innen in ihrer künstlerischen Entwicklung zu unterstützen. Ich kann mir tatsächlich auch sehr gut vorstellen, eine gute Casting Direktorin eines Festivals oder eines Opernhauses zu werden. Aber das ist alles noch Zukunftsmusik. Bis dahin werde ich die großen Bühnen mit meinem Gesang weiterhin beehren. 

 

Operaversum: Vielen Dank, liebe Maria, für das tolle und sehr informative und inspirierende Gespräch. Ich wünsche Dir für all Deine zukünftigen Pläne, Aufführungen und Konzerte viel Erfolg und toi, toi, toi. 


©Maria Nazarova

Die russische Sopranistin Maria Nazarova studierte an der Russischen Akademie für Theaterkunst in Moskau, am Salzburger Mozarteum und ander MUK-Privatuniversität der Stadt Wien.

 

Seit 2015 ist die mehrfache Preisträgerin internationaler Gesangswettbewerbe Ensemblemitglied an der Wiener Staatsoper, wo sie unter anderem Adina (L'elisir d'amore), Despina (Così fan tutte), Lisa (La Sonnambula), Musetta (La Bohème), Kitty (Die Weiden), Adele (Die Fledermaus), Fiakermilli (Arabella), Oscar (Un ballo in maschera), Yniold (Pelléas et Mélisande), Clorinda (La Cenerentola) und Sophie (Werther) sang.

 

2016 debütierte sie am Bolschoi-Theater in Moskau als Despina. Als Adele glänzte Maria Nazarova 2018 in ihrem Hausdebüt an der Mailänder Scala, in Vilnius als Despina und bei den Salzburger Festspielen als Papagena.

 

2020/21 sang sie im am Neuen Nationaltheater Tokio Adele, debütierte an der Opéra National de Lyon und beim Festival von Aix-en-Provence als Goldener Hahn in der gleichnamigen Oper von Rimskij-Korsakow, in Stuttgart als Adele, an der Berliner Staatsoper als Najade (Ariadne auf Naxos) und als Najade in Florenz.

 

Maria Nazarova arbeitete mit namhaften Dirigenten wie Valery Gergiev, Christian Thielemann, Jonathan Darlington, Jesus Lopez-Cobos, Adam Fischer, Ingo Metzmacher, Axel Kober, Marco Armiliato, Alain Altinoglu, Tugan Sokhiev, Constantinos Carydis, Cornelius Meister und Giampaolo Bisanti zusammen und sang mit weltbekannten Opernsängern wie Placido Domingo, Piotr Beczała, Juan Diego Flórez, Ramón Vargas, Ludovic Tézier, Thomas Hampson, Jonas Kaufmann, René Pape, Nina Stemme, Sophie Koch, Michael Schade, Albina Shagimuratova gemeinsam auf der Bühne.

 

Erst kürzlich verzauberte Maria Nazarova als Susanna in Mozarts "Le nozze di Figaro" an der Wiener Staatsoper das Publikum und wird im Mai dieses Jahres als Soeur Constance in "Dialogues des Carmélites" erneut im "Ersten Haus am Ring" zu erleben sein.

 


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