Musik im freien fall!

20. MAI 2020

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Nicole Hacke / Blick auf die Elbphilarmonie in Hamburg

Alljährlich zog es die politischen Vertreter des elitären Bildungswesens, die Kulturminister und die privilegierte Oberschicht zu den begehrten musikalischen Festspielen in Bayreuth, Salzburg oder auch München. Wer etwas auf sich hielt, bediente sich nur zu gerne der Kultur als Statussymbol geistiger und gesellschaftlicher Überlegenheit. Doch nun ist alles anders.


Jetzt spielt die Musik woanders - im Internet, per Livestream jederzeit abrufbar über die online Plattformen der jeweiligen Konzerthäuser der Nation. Musikgenuss ganz unmittelbar im direkten Dialog mit der Kunst ist derzeit leider nicht mehr möglich.


Aber muss es das schließlich auch im Zeitalter der digitalen Vernetzung?

 

Viele namhafte Künstler sowie selektierte, einflussreiche Vorzeigehäuser des Landes und der Welt haben es doch möglich gemacht, dass Montagskonzerte und dergleichen vor leeren Sälen salonfähig wurden.


Was braucht es da noch finanzielle Rettungspakete für die freischaffende Kunst, wenn Livestreams, Video-on-Demand-Angebote geradezu die Internetforen und das Fernsehprogramm fluten und das Angebot an musikalischem Entertainment nicht umfangreicher und ausgewählter sein könnte.


Wirft man aber einen genaueren Blick auf die Programmauswahl der Deutschen öffentlichen und privaten Sender, wird schnell augenscheinlich, dass nichts wirklich davon der Fall ist.


Neben Krimis und geistig abstumpfenden Entertainment-Shows, gibt es kaum eine musikalische Unterhaltungssendung, die eine überladende Auswahl an vielschichtigen Musikgenres anbietet.

 

©Nicole Hacke / Blick auf die Elbphilharmonie in Hamburg

Während wir uns mittlerweile wieder maskenlos und beinahe sorgenfrei in den Restaurants tummeln dürfen und uns dabei leise Zweifel beschleichen, ob denn wohl das Coronavirus immer noch auf uns lauert und ob es denn tatsächlich noch unter uns weilt, steht für die Interessenvertretung der Gesundheitskrise außer Frage, dass es uns in den Museen, Konzert- und Opernhäuser weiterhin in den gesundheitlichen Abgrund stoßen würde, wagten wir auch nur einen Schritt über die Schwelle der erlauchten Musentempel.


Social-Distancing ist leider nur eine Seite der glanzlosen Medaille, die andere nennt sich Musik im freien Fall. Hoffnungslos verloren, stürzt die Kultur gerade in ein tiefes Loch und mit ihr die Gesellschaft.

 

Hat es so einen Zustand jemals in der Geschichte des Landes gegeben?


Egal ob Kriege, Krisen oder andere gesellschaftspolitische Ausnahmezustände, Musik, Theater, Film, schlicht kulturelle Anreize dienten grundsätzlich als probates Mittel, um die Bevölkerung bei Laune zu halten und aufzumuntern.


Stand die Wirtschaft am Abgrund, tanzten sich die Menschen in den Bars ihren Kummer aus der Seele, lenkten sie sich im Kino oder Theater von den Alltagssorgen ab. Und irgendwie boomte die Kulturbranche, Filme wurden am Fließband produziert, Schlager über Nacht einer nach dem anderen aus dem Boden gestampft. Die Kultur hatte Hochkonjunktur!

 

Und jetzt, was machen bitte wir, wenn uns weder ein normales soziales Miteinander vergönnt ist, noch Musik unsere sorgenvollen Gemüter erheitern darf?


Wir verkümmern langsam aber sicher geistig und seelisch, denn Ablenkung in den beengenden vier Wänden, ohne positive geistige und ästhetische Reize, reizt sich irgendwann gewaltig aus. Persönliche Freiheit ist ein Grundrecht, geistige und kulturelle Entfaltung mindestens ebenso. Während der Friseurbesuch als notwendiges Grundbedürfnis deklariert wird, so sollte ein kulturelles Miteinander genauso priorisiert und hoch angesiedelt sein. Doch nichts dergleichen erlangt Priorität und Gewichtung.

 

©Nicole Hacke / Elbphilharmonie in Hamburg

Die große Mehrzahl der Konzerthäuser muss sich selber finanzieren und auf ausreichende Spenden hoffen, denn alle Veranstaltungen, die über den Sommer anberaumt waren, wurden mittlerweile abgesagt. Mindestens bis einschließlich Ende August 2020 werden keine konzertanten Veranstaltungen stattfinden dürfen. Vorschrift ist Vorschrift.

 

Und ein „Mindestens“ impliziert oftmals, dass es mit der Konzertsperre in die Verlängerung geht, kommen doch der nächste Winter und die damit eng verknüpfte Grippewelle ganz bestimmt mit großen, lauten Schritten daher, womöglich gleich schon im September!


Auch wenn die Konzerthäuser händeringend nach Lösungen suchen, Ideen hochwerfen, wie sie zumindest einen Teil der Konzertbesucher zu ihrem Recht auf Saalveranstaltungen verhelfen können, so ist es schlichtweg die Aufgabe der Staatsoberhäupter, sich dieses Problems anzunehmen und es schnellstmöglich zu beheben.


Denn was ist eine Gesellschaft ohne Kultur, ohne Bildungsanreize und ohne intellektuelle, feingeistige Zerstreuung?


Eine missglückte Metamorphose, die am Ende aus dem Schmetterling wieder eine Raupe macht.


Wie steht Ihr diesem Thema gegenüber? Wenn wir keine Kulturnation mehr sind, wenn Konzerthäuser vielleicht nur noch zu 50 % ausgelastet sein dürfen, ergo die Preise für einen Opernbesuch ins Unermessliche ausufern, um den finanziellen Verlust der unverkauften Sitzplätze abzufedern, die Schere zwischen privilegierten und minder privilegierten Klassikliebhabern somit weiter aufklafft, dann wird der Zugang zu klassischen Musikerlebnissen zukünftig einer breiten Masse verwehrt bleiben.


Wird letztere Gruppe sich dann weiterhin nur über die Live-Streaming-Angebote nähren können, während die gut betuchten Bürger unter uns weiterhin in die Oper, ins Konzert und zu den Festspielen gehen dürfen?


Kunst sollte kein Privileg einer elitären Schicht sein, sondern für alle zugänglich und erlebbar gemacht werden, auch und gerade in Krisenzeiten. Verlieren wir den Bezug zu unserer Kultur, zu den Künsten, die uns bereichern und uns als Gesellschaft intellektuell wachsen und prosperieren lassen, uns als Nation definieren, prägen und durch ästhetisch feingeistige Erfahrungen und Erlebnisse menschlich reifer und reicher machen, wir es uns aber nicht mehr leisten können, Kultur hautnah und aus nächster Nähe zu erleben, dann wird unsere Gesellschaft um ein hohes Gut ärmer, dann dümpeln wir irgendwann nur noch in einer unfertigen Zweckgemeinschaft vor uns hin, die dem Leben selbst entsagt und sich gegen geistige Entfaltung, intellektuellen Reichtum und kulturelle Vielfalt entscheidet - zwangsweise!

 

©Nicole Hacke / Speicherstadt in Hamburg

Es wird ein Leben ohne Selbstrespekt und Würde sein. Es wird ein Leben ohne Identität und Menschlichkeit sein. Ohne Kultur kann eine Nation nicht atmen, nicht mitmenschlich agieren und wirken. Sie ist lebensnotwendig, damit Menschen in ihrem Leben Sinn, persönliche Bereicherung und Entfaltung finden können.


Daher sollte es essenziell sein, dass die kulturellen Einrichtungen schnellstmöglich wieder ihre Pforten öffnen und Licht in diese deprimierende, farb- und klanglose Zeit bringen.


Musik darf sich nicht im freien Fall befinden, sondern sie sollte immer über allem schweben! Zu jeder und zu allen Zeiten, auch um der geglückten Metamorphose willen!

 

Eure

 


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