Mehr Zeit für Schöngesang - wenn die Stimme am Anschlag ist

07. Februar 2022

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Nicole Hacke / Operaversum

Opernsänger am Limit ihrer gesanglichen Kräfte

Vor der Pandemie schien so manche Stimme überfordert. In der Hektik des permanenten Termindrucks, einen Opernmarathon nach dem anderen bewältigen zu müssen, blieb nur der verbissene Fokus auf die Haltbarkeitsdauer des menschlichen Stimmorgans. Es musste funktionieren, heute, morgen, übermorgen und an allen Tagen gleich gut, ausnahmslos.

 

Erkranken war nie eine Option. Sofort stand man dann im Verdacht, es nicht mehr leisten zu können, seine Stimme überbeansprucht, vergewaltigt, geknödelt und sonst irgendetwas zu haben.

 

Die Kritiken wurden harsch, sie wurden erbarmungslos, gerade dann, wenn man stimmlich einfach nicht mehr konnte und die Erkältung, die Kehlkopfentzündung oder gar die Reizung der Stimmbänder zu einem skandalträchtigen Aufschrei medienwirksam eskalierten.

 

Plötzlich stand es in der Presse, in allen großen Blättern der Feuilletons, dass man schon wieder an einer stimmlichen Indisposition litt. Wiederholt! Zum wievielten Mal überhaupt? Herrgott noch Mal!

 

Nun sagten die Sängergötter des Opernolymps schon wieder eine Vorstellung ab. Na, das war ja schließlich nichts Neues. Ein verärgertes Publikum, Fans, die von weit über den großen Ozean angereist kamen, konnten über Nacht mal wieder auf dem Absatz kehrtmachen, weil ihr Star am Opernhimmel stimmlich gerade auf unbestimmte Zeit verglühte.

 

Die teuren Karten waren also mal wieder für die Tonne.

 

gesangliche Höchstleistung im Akkord auf Kosten der Stimmbänder

Es ist nichts Neues, dass den heutigen Opernsänger:innen ein großes Pensum an ausdauernder Perfektion abverlangt wird. Schlechte Tage gibt es im Kalender eines professionellen Sängerkünstlers deshalb nicht, krankheitsbedingte Ausfälle ebenso wenig, selbst dann nicht, wenn die Stimme vielleicht sogar mal eine kleine Verschnaufpause bräuchte.

 

Das menschliche Stimmorgan ist keine Maschine, die im Akkord arbeiten kann. Und dennoch tut sie es. Immer höher, immer schneller, immer weiter. Und so lange, bis sie vielleicht total ausgebrannt ist und wirklich keinen Pieps mehr von sich geben kann.

 

Niemand denkt daran, dass die Stimmbänder ein Teil des menschlichen Körpers sind, die genauso wie jedes andere Organ schlapp machen können. Auch Batterien werden mal leer.

 

Hält ein Sänger aber nicht permanent, was er noch als "Frischling" der Oper und aufsteigender Komet am Opernhimmel zu versprechen gab, wird die Luft am Gipfelkreuz des Sängerolymps ziemlich schnell gefährlich dünn.

 

Und so entsteht ein Teufelskreis, der zu exorbitanten Höchstleistungen bei maximaler Terminauslastung zwingt und den Druck auf den Kessel des sich immer schneller drehenden Hamsterrades der Opernmanege bis zum Anschlag erhöht.

 

©Nicole Hacke / Operaversum

Die Stressoren des Stimmorgans

Die Belastung, auf der Bühne zu versagen, einen Ton nicht punktgenau zu treffen, die Angst vor dem stimmlichen Gesichtsverlust, der Lächerlichkeit sowie den Lachern oder Buhrufern gnadenlos ausgesetzt zu sein, ist enorm groß und kann so dermaßen stressen, dass auch das gefürchtete Lampenfieber sein übriges dazu beiträgt, um das Adrenalin in ungesundem Maße durch den Körper jagen zu lassen.

 

Aber Belohnung und Entlohnung sind doch schließlich groß, wenn man es ganz weit nach oben geschafft hat. Erfolg verlangt eben auch gewisse Entbehrungen und Anstrengungen als Gegenleistung für den Ruhm, das viele Geld und den Bekanntheitsgrad, sagt die Geschäftswelt.

 

Und auch das Musikbusiness haut, so der Kommerz es nun mal will, prompt in dieselbe Kerbe, bis dass der Burn-out diese ungesunde Liaison brutal scheidet.

 

Ein gegenwärtiges Phänomen, das sich über die letzten Jahrzehnte immer stärker, beinahe schon viral verselbstständigte und so manch nervenschwaches Kostüm in die Knie gezwungen hat.

 

Only the fittest survives, wusste schon Charles Darwin. Nur hat das noch etwas mit dem Schöngesang eines gesunden, lyrischen oder dramatischen Sängers zu tun?

 

Eine entspannte Stimme ist eine gesunde Stimme

Vielleicht sollte es doch besser heißen: Only the most relaxed survives!

 

Entspannung soll das Zauberwort sein, der Schlüssel zu einem sphärischen Schöngesang, der so frisch, jugendlich, unverbraucht und strahlend wie am jüngsten Tag erklingt?

 

Es liegt auf der Hand, dass Stress, der so häufig von erheblichem Zeitdruck und anderen externen Faktoren beeinflußt wird, der menschlichen Psyche und dem Körper nicht guttut. Das wiederum schlägt sich auch auf die Strahlkraft des menschlichen Stimmorgans nieder.

 

Eine Stimme hat so viele Facetten wie Gefühlslagen. Bin ich traurig, klingt meine Stimme melancholisch. Bin ich fröhlich, sprudelt sie leicht und duftig in kristalline Höhen.

 

Bin ich wütend, klingt mein Vokalinstrument höchstwahrscheinlich metallisch, rau und brutal.

 

Geht es mir schlecht, so richtig schlecht, weil ich nicht ausgeschlafen bin, mir Sorgen mache, alle meine Gedanken in einer Negativspirale versackt sind, dann kann es sogar sein, dass meine Stimme regelrecht hässlich klingt, obwohl sie grundsätzlich einen sehr schönen Klang hat.

 

Im schlimmsten Fall bin ich psychisch so ausgewrungen, dass meine Stimme vor Heiserkeit kaum noch sprechen kann.

 

©Nicole Hacke / Operaversum

vom Einfluss der Psyche auf den Gesang

Das Gefühlsbarometer unserer Psyche spiegelt sich leider Gottes in der Ausdruckskraft und der Stimmfarbe unseres Gesanges wieder.

 

Und wir können diese relevanten Faktoren nur positiv beeinflussen, wenn wir auf unser körperliches und mentales Wohlbefinden achten, ausgeglichen in uns ruhen, zufrieden und hoffentlich auch glücklich sind.

 

All das führt zu einer Grundentspannung, die für einen gesunden und ästhetischen Stimmklang entscheidend ist.

 

Stress hingegen provoziert Kurzatmigkeit, einen erhöhten Puls und eine angespannte Muskulatur, die besonders in letzterem Fall den Kiefer fest macht und so für den stimmlichen Todesstoß sorgt.

 

So kann kein Mensch gut, ausdauernd und im Fluss singen. Auch Profis können das nicht, selbst wenn sie alle Register ihres stimmtechnischen Vermögens ziehen und weitestgehend stresserprobt sind.

 

Die Pandemie war daher vielen Künstler:innen ganz offensichtlich nicht nur eine willkommene Pause, um in der Langeweile des Alltags endlich Zeit für Muße und Entspannung zu finden, sondern auch ein Mittel, das den Zweck heiligte, um daraus wieder neue gesangliche Kraft zu schöpfen.

 

Auszeiten, Bewegung und kreative Ablenkung für eine optimale Stimmgesundheit

Yoga, Meditation, Waldspaziergänge an sauerstoffsatter Luft, ausgiebige Wanderungen, abwechslungsreiche Hobbys, die nicht stressen, sondern inspirieren und die Kreativität bewusst entfachen, sowie Zeit mit der Familie sind allesamt positive Energiespender, die eine ausgelaugte Stimme regenerieren, ihr zu neuer Vitalität verhelfen und den Stimmbändern wieder "Sprungkraft" und Flexibilität verleihen, sofern diese nicht ernsthaft geschädigt sind.

 

Zumindest behaupteten viele Sängerinterpreten noch während der ersten Phase des Lockdowns, dass ihnen die Auszeit geholfen und sich ihre Stimme erholt und sogar verjüngt hätte.

 

Viele nutzten die Zeit sogar, um sich der klassischen Musik so hingeben zu können, wie es der Zirkus des kommerziellen Jahrmarktes normalerweise nicht erlaubt.

 

So kam der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis auf die Idee, Opernszenen neu einzuspielen und sie in ihrer jungfräulichen Essenz zu erfassen, so als würde man sie zum ersten Mal spielen und hören. Daraus entstanden ist das Album "Fragments", eine Hommage an die Zeitlosigkeit einer entschleunigt schönen und unverstellten Musik.

 

Die Langeweile hielt plötzlich in allen musikalischen Bereichen Einzug.

 

©Nicole Hacke / Operaversum

Mentale Entspannung lässt die Stimme Fließen

Sänger:innen entspannten und kehrten dananch erstaunlich verändert wieder auf die Bretter der Opernbühne zurück.

 

Andere wiederum signalisierten sogar, weniger solle das künftige "Mehr" ihres perspektivischen Musikalltags bestimmen und die Qualität über die Quantität erheben. Auch gab es Sänger, die sich hochoffiziell, wenn auch nur für eine kurze Auszeit, vom Opernbetrieb verabschiedeten und den entschleunigten Rückzug in die Natur antraten.

 

Gut getan haben die jeweiligen Maßnahmen an vielerlei gesanglichen Stellschrauben deutlich hörbar.

 

Natürlich kann jeder Sänger in seinem vorbestimmten Karrieretrott weiter vokal vor sich hin rödeln, solange die technische Stütze, die körperliche und mentale Kraft das hergeben können.

 

Doch irgendwann entbehrt Masse leider immer Klasse!

 

Schöngesang, wie ihn nur eine Qualität von hoher Güte auszeichnen kann, entspringt nie und nimmer aus der Hektik, etwas in drei Tagen produzieren zu müssen, sondern speist sich aus einer fest verwurzelten inneren Ruhe heraus, singen zu wollen und es nicht zu müssen - vor allem nicht unter nervenaufreibendem Druck.

 

Wer seine Stimme nicht aus sich herausquälen muss, wer sich nicht an ihr erschöpft, sondern sie mit energiegeladener Leichtigkeit einfach nur loslassen kann, der schwimmt ganz offensichtlich in seiner gesunden vokalen Mitte.

 

Und um diesen vitalen Idealzustand auch auf der Bühne abrufen zu können, braucht es regelmäßige Auszeiten, regenerative Phasen der Entschleunigung und Defokussierung vom hamsterradangetriebenen Musikbusiness.

 

Nur so kann die Hürde des athletischen Schöngesangs mühelos und mit sphärischer Leichtigkeit genommen werden, ohne dass man sich stimmlich gleich wieder verausgaben muss.


©Till Kind / ZDF Dokumentation Die Oper - das knallharte Geschäft

Die Oper - das harte Brot der brotlosen Kunst

Was willst du denn beruflich mit der Musik machen? Du studierst dich dumm und dämlich, strengst dich wahnsinnig an, um nach sechs Jahren harter, verbissener Arbeit bitte was zu verdienen?

 



©Nicole Hacke / Operaversum

Wenn nichts mehr hilft, hilft nur noch singen

Ich habe schon so vieles ausprobiert, wenn es darum ging, Stress abzubauen, entspannter und gelassener zu werden, meine innere Balance...

 



©Nicole Hacke / Operaversum

Die Zukunftsmusik der Oper im multimedialen Zeitalter

Als sich die Oper noch in ihrer Blütezeit befand, einige Jahrhunderte ist es her, scherte sich niemand darum, ob nicht irgendwann einmal der Zenit ihrer Daseinsberechtigung überschritten sein würde. Schließlich zählten Dramen...

 



©Nicole Hacke / Operaversum

Treppenhauskonzerte

Bereits morgens, direkt nach dem Aufstehen, gleich unter der Dusche, trällere ich die ersten Lieder vor mich hin. Ich liebe es, zu singen, könnte stundenlang singend meinen Tag ausfüllen...

 



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