brennpunkt oper

VOM KINEMATOGRAFISCHEN WANDEL AUF DER OPERNBÜHNE

17. Juli 2021

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

© Nicole Hacke

Nicht erst seit sich das Coronavirus in unsere Gesellschaft eingeschlichen hat, gibt es den populären Ansatz, das Operngeschehen auf den Brettern dieser Welt in einem kinematografischen Kontext zu verhaften.

 

Bereits im Jahr 2020 wohnte ich der Don Carlos Inszenierung des Regisseurs Peter Konwitschny bei, die bereits 2004 neuinszeniert mit ihrem kontroversen Ansatz, belebte Bilder zu verarbeiten, für einigen Wirbel und ausufernde Empörungstiraden in der Opernwelt gesorgt hatte.

 

Grundsätzlich kann ich die Idee, immer mehr filmische Sequenzen als erweiteres stilistisches Ausdrucksmittel in Opernproduktionen einzusetzen, nachvollziehen, zumal ein oftmals starres, recht unbelebtes Bühnenbild gerade während langatmiger Orchesterpassagen zu passiven darstellerischen Pausen führt.

 

Meistens passiert dann tatsächlich nichts, außer dass man als Zuhörer mit geschlossenen Augen ganz bewusst der ätherisch-transzendenten Musik lauschen kann. Auf der Bühne selbst erlebt man die Akteure dann oftmals wie angewurzelt an Ort und Stelle verweilen, so als ob sie auf den nächsten Bus warteten.

 

Im Zeitalter der sozialen Medien, in dem man sich scheinbar auf die Flagge geschrieben hat, immer neuen Content sofort verfügbar in den globalen Kosmos zu kippen, um so für ausufernde Diversion zu sorgen, hat auch die Oper unlängst verstanden, dass sich zeitgemäßes soziales Miteinander in eine digitale Form hat pressen lassen, die sich vorwiegend in Reels, Stories, Blog Posts und dergleichen abspielt.

 

Aber irgendwie nicht im realen Leben.

 

©Nicole Hacke

© Nicole Hacke

Fluchs auf den Zug aufgesprungen, werden wir mittlerweile  in Neuinszenierungen vermehrt in einen dreidimensionalen Erlebnisraum katapultiert, indem Bühnenspektakel und hochprofessionelle Fimsequenzen, fast schon kinoreif, oftmals aber auch gewollt amateurhaft miteinander verquickt werden.

 

Gut gemacht ist, wenn es passt. So dachte ich mir das Ganze auch bei der aktuellen Neuinszenierung des Parsifal an der Wiener Staatsoper. Von einem klaren Leitmotiv getragen, wohl dosiert eingebaut in die orchestralen Passagen, gekonnt als Akzent gesetzt, um so dem Werk mehr Lebendigkeit, mehr Bewegung und künstlerischen Ausdruck zu verleihen, erlebte ich eine Inszenierung der Güteklasse A, die sich nicht nur gut hören, sondern besonders aktionsreich, tiefgründig und durchdacht sehen ließ.

 

Meine Aufmerksamkeitsspanne riss nicht ein einziges Mal während der gesamten viereinhalb Stunden ab. In einem Ratsch konsumierte ich den grandiosesten „Wagner-Reel“, den ich ansonsten in drei gut verdaubare Teile hätte stückeln müssen.

 

Sicherlich ist es ein streitbarer Punkt und immer wieder kontrovers diskutabel, ob man historisch gewachsene, mystisch verklärte Opernepik aus dem eng geschnürten Korsett einer konventionellen Opernregie befreien sollte.

 

© Nicole Hacke

© Nicole Hacke

Doch darf man dabei nicht vergessen, dass zuweilen neue interpretatorische Ansätze sowohl für die Musik als auch für die Handlung eine Auffrischungskur sind und somit dem  Zeitgeist entsprechend nachvollziehbarer werden, insbesondere für jüngere Generationen.

 

Wir kommen nicht umhin, diese transformativen Grenzüberschreitungen zu akzeptieren.

 

Jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt.

 

Der nämlich gilt als maßlos überreizt, wenn, wie in der gestrigen Neuinszenierung des Faust an der Wiener Staatsoper, "Weniger" eindeutig "Mehr" gewesen wäre.

 

© Nicole Hacke

© Nicole Hacke

Detailreich, kostümopulent und mit einem Bühnenbild ausstaffiert, das nur ein historienverliebter Enthusiast erschaffen konnte, hätte bereits das  alles ausgereicht, um den temporeichen, walzergetränkten "Bon-Vivant" Melodien einen reizvollen, lebendig prickelnden Anstrich zu verleihen.

 

Allein durch die über die Bühne hin und her wuselnden Darsteller, die schillernden Kostüme und das vielschichtig drehbare Panoptikum in Form einer verschachtelten Stadt-in–Stadt Konstruktion, hätte die Magie des Augenblicks locker eingefangen, um das Publikum vom Hocker zu reißen oder es vielmehr daran zu fesseln.

 

Den Bogen weit überspannend, mischten sich zu allem Überfluss Live-Filmmitschnitte in das Bühnengeschehen, sodass man als Zuschauer kaum wusste, wohin man seinen Blick hätte wandern lassen sollen, ganz abgesehen davon, dass das am Bildschirm schier unmöglich war.

 

Immer wieder wurden die darstellenden Szenen auf der Bühne von filmischen Parallelsequenzen unterbrochen. Es entstand eine Gleichzeitigkeit, die nicht den eigentlichen Handlungsfluss auf der Bühne steuerte, sondern das komplette Werk bedauerlicherweise in all seine Einzelteile zerlegte, es quasi auseinanderriss.

 

© Nicole Hacke

Reizüberflutet, permanent abgelenkt und nicht wissend, was ich eigentlich damit anfangen sollte, griff ich spätestens zu Beginn des 4. Aktes zu meinem Smartphone, um mir die aktuellen Geschehnisse auf meinem Instagram-Account anzusehen, und war gleich noch gesättigter von all den bunten Bildern, die sich auf dem Bildschirm vor mir, auf meinem IPhone und in meinem Kopf abspulten.

 

So ein geistiges Phänomen des „Überall-und-Nirgendwo-Seins“ kennt man ansonsten wirklich nur von den Kanälen der sozialen Medien.

 

Soll Oper jetzt und zukünftig genauso erlebt werden? Ist das die Neue Welt der Oper? Responsive wie ein Blogpost? Im Sekundentakt ein Bild nach dem anderen gepostet, bis man nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht und man sich kaum noch konzentrieren kann auf...ja, auf was eigentlich? Auf seine geistige Entleertheit.

 

© Nicole Hacke

Lieber warte ich dann doch zusammen mit den Darstellern auf der Bühne gemeinsam auf den Bus, entspannt und dabei den immer noch ätherisch-transzendenten Klängen des Orchesters hoch konzentriert, aufmerksam und achtsam lauschend, als mich von flimmernden Videos vom eigentlichen Bühnengenuss ablenken, zerstreuen und völlig aus dem Konzept bringen zu lassen.

 

Die sozialen Medien oder überhaupt eine medial inszenierte Bühnenlandschaft, die mehr und mehr auf das Medium Film mit knackig coolen Reels setzt und meint, damit das Operngeschehen auf der Bühne zu bereichern, ist eine hypothetische Modeerscheinung, die hoffentlich schnell wieder aus der Mode kommt, damit das Erlebnis Bühne nicht komplett durch die überdigitalisierte Welt abgelöst wird.

 

© Nicole Hacke

© Nicole Hacke

Oder zehren wir nicht etwa im substanziellen Maße von den Menschen, die uns im direkten Dialog mit ihrer Musik bereichern.

 

Film ist Film, die sozialen Medien sind, was sie nun einmal sind. Aber die Oper ist ein interaktiver Austausch zwischen Darstellern und Publikum.

 

Wohl dosiert und passgenau mit dem jeweiligen Werk vereinbar, kann der Film und können kinematografische Einflüsse die Oper grundsätzlich bereichern.

 

Doch die Gratwanderung für ein solches Unterfangen ist ein schwindelerregender Akt, der zwischen bereichernder Kunst und sinnentleertem Kommerz haarscharf auf den Abgrund zusteuern kann.

 

Lassen wir dann der trittsicheren Bühne doch lieber wieder den Vorrang.


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