und die musik bleibt stumm!

17. MÄRZ 2020

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

 

Dieser Tage bleibt es stumm in den Theatern, Konzert- und Opernhäusern Europas und der Welt. Eine Pandemie bedroht den Globus: Ohne das Corona-Virus wäre jetzt alles anders.


Seit gestern sind nun auch die Schulen und Kindertagesstätten gesperrt. Viele Großkonzerne und mittelständische Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter nach Hause und verordnen eine Bürosperre bis auf ungewisse Zeit.


Keiner weiß, wie es mit dem Virus weitergehen soll, was noch kommt, worauf die Bevölkerung sich zunehmend gefasst machen muss, wann vielleicht sogar die Gastronomie schließen wird, wie lange es noch dauert, bis Deutschland aufgrund der viralen Zeitbombe komplett lahmgelegt ist.


In den sozialen Netzwerken folgt eine Hiobsbotschaft auf die andere. Alle sind sie besorgt, fühlen sich bedroht, nicht nur gesundheitlich, sondern auch in ihrer Existenz.

 

©Nicole Hacke

Wenn alle öffentlichen Einrichtungen schließen und bis auf ungewisse Zeit keine Veranstaltungen stattfinden, die Sitzplätze in den Musikhäusern der Welt gähnend leer bleiben, wer spielt, musiziert und singt dann noch auf der Bühne.
Wie verdienen die darstellenden Künstler dann noch ihr Geld. Es entsteht ein erheblicher Schaden, der nicht nur die Musiker, Interpreten und Instrumentalisten schmerzt, sondern auch das Publikum, das nun auf Musikgenuss komplett verzichten muss, im schlimmsten Fall auf seinen Konzertkarten und Reisekosten sitzen bleiben wird. Schließlich sprechen wir hier von einer Notsituation, von einer gesundheitlichen Krise, die das Land befällt und immer weiter durchdringt.


Da kann auf Einzelschicksale wohl kaum Rücksicht genommen werden. Wie auch? Doch einen Funken Hoffnung in dieser schwierigen Lage gibt es dennoch. Viele Künstler, die sich nicht nur Sorgen um ihre finanziellen Einbußen machen, sondern der Kunst verpflichtet, leidenschaftlich in Aktion treten, machen weiterhin Musik. Jetzt erst recht.


So denkt auch der Pianist Igor Levit, der sich keineswegs durch die aktuelle Situation entmutigen lässt, auch wenn er selbst von Konzertabsagen betroffen ist. Stattdessen bietet er nun jeden Abend seiner treuen Anhängerschaft per Livestream ein Hauskonzert, das auf Twitter viral geht - viral im besten Sinne!


Eine große Geste, die Mut machen und zeigen soll, wie wichtig es ist, gerade im Ausnahmezustand zusammenzuhalten. Kein besserer Botschafter, als eben die Musik kann da so hervorragend vermitteln und Menschen zumindest mit dem Herzen einander näherbringen.

 

©VEVO / Pianist Igor Levit

Auch an der Oper „Unter den Linden“ in Berlin hat man sich nicht vom Corona-Virus abhalten lassen, die Inszenierung der Carmen aufzuführen, zwar ohne Publikum vor leeren Stühlen, dafür aber per Liveübertragung mit Unterstützung des Bayerischen Rundfunks. 160.000 Zuschauer konnten so, an ihren Bildschirmen sitzend, eine einzigartige Aufführung erleben, die hoffentlich in Zukunft nie wieder vor einem leeren Saal stattfinden muss.


Es hätte Sie geschmerzt und sehr traurig gestimmt, eine Opernvorstellung ohne die direkte Resonanz der Zuhörer erleben zu müssen, so die Mezzosopranistin Anita Raschvelishvili.
Doch solange die Hoffnung von solch engagierten und leidenschaftlichen musikschaffenden Künstlern weiter genährt wird, ist die Welt noch nicht verloren, kann dem Coronavirus hoffentlich bald der Garaus bereitet werde.


Mittlerweile bieten auch die Bayerische Staatsoper, die Wiener Staatsoper und die Metropolitan Opera Ersatzangebote in Form von Live Streams an, um das große Loch, das durch die Absagen sämtlicher Opernaufführungen in den kommenden Wochen noch gerissen wird, zumindest halbwegs ordentlich zu stopfen. Ob das gelingen mag, scheint mir zweifelhaft. Dennoch ist es ein verträglicher Kompromiss, der in der aktuellen Situation der schmerzenden Wunde schon ein bisschen Linderung verschafft.

 

©Nicole Hacke

Auf die Notwendigkeiten reduziert, merken wir schon jetzt, dass die oberen zwei Drittel der Pyramide unserer Grundbedürfnisse vehement gekappt wurden. Wir dürfen unsere sozialen Kontakte nicht mehr pflegen, sollen uns möglichst von großen Menschenmassen fern halten, Zwischenmenschlichkeiten bestenfalls unterbinden, insbesondere auf Nähe und Körperkontakt verzichten, können weder Zerstreuung in den Konzerthäusern, Museen und anderweitigen kulturellen Einrichtungen dieser Welt finden, noch unseren beruflichen Verpflichtungen ausreichend professionell nachgehen.


Was uns jetzt noch bleibt, sind tatsächlich nur die eigenen vier Wände, in denen wir leben und die lebensnotwendigen Nahrungsmittel, die für die nächsten Wochen oder vielleicht sogar für längere Zeit unsere einzigen, hoffentlich verlässlichsten Konstanten sein werden. Das ist nicht viel mehr, als was der Mensch zum Überleben dringend benötigt.


Wir erleben alle gerade ein Reset, eine Neusortierung unserer Bedarfswünsche, erfahren auf radikale Weise, was jetzt noch wichtig ist, was zählt und was wir für eine gewisse Zeit gut und gerne entbehren können. Vielleicht hilft es uns sogar, die unabdingbaren Werte, wie Liebe, Freundschaft und Verantwortung gegenüber uns selbst und unseren Mitmenschen wieder mehr in den Fokus zu rücken, zu verstehen, dass unsere zügellose, egoistische Konsumgier nur abhängig macht und langfristig frustriert.


Selbst die Musik, die süchtig nach immer mehr macht, erfährt gerade eine große Welle der Entsagung. Der Run auf die unzähligen Konzertveranstaltungen wird zwangsweise aufgrund der höheren Gewalt ausgebremst. Alles, was es jetzt und in nächster Zeit zu verpassen gibt, wird verpasst werden müssen. Auch wenn das nicht schön ist und uns die letzte Freude in einer Situation nimmt, die sich nur schwer aushalten lässt, so kann auch diese indoktrinierte Enthaltsamkeit eine Detox-Kur für den musikkonsumierenden überquellenden Geist sein.

 

©VEVO / Pianist Igor Levit

Es ist aktuell die Phase der gesunden Enthaltsamkeit von zu viel musikalischem Über-Konsum, von zu vielen hochgeschraubten Erwartungen an die Leistung der Künstler, die sich leider nicht von Konzert zu Konzert in unerreichbare Superlativen steigern können. Es ist just die Phase des gesunden Abstands von den Empörungswellen, die uns ungefiltert überkommen, wenn unser Lieblingsinterpret krankheitsbedingt ausfällt und die Vorstellung absagen muss.


Und es wird auch wieder die Phase der großen Freude und Euphorie geben - und zwar dann, wenn wir nach diesem Ausnahmezustand wie ausgehungert nach dem ersten Konzert lechzen und es nach langer Zeit so erleben, als wäre es die allererste Veranstaltung überhaupt, der wir fasziniert und mit leuchtenden Augen beiwohnen.


Wie schön sich das anfühlen wird. Wie neu sich das anfühlen wird. Wie besonders das sein wird. Und mit ein bisschen Demut und Dankbarkeit verstehen wir dann auch, warum wir gerade ein paar Schritte in unserer aller Leben zurückgehen müssen?


Damit sich das Leben und die Musik wieder besser um und in uns entfalten können.

 

Eure

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