Eine Reise durch Gefühle – Eröffnungskonzert des Kammermusikfestivals Intonations im Kühlhaus Berlin

08. Juni 2024

Rubrik Konzert

©Andrea Wenzler

Ein bisschen etwas von Brooklyn hat Berlin an diesem Sommerabend in Kreuzberg als wir im Hinterhof des Kühlhaus Berlin im (Strand-)Sand stehen, einen Roséwein trinken, auf den Backstein-Fabrik-Altbau-Charme schauen und über uns auf der Hochtrasse eine U-Bahn entlang donnert.

 

Vor uns liegt der Auftakt zum diesjährigen Intonations, einem Kammermusikfestival, das Elena Bashkirova 2012 gegründet hat und das das Jerusalem Chamber Music Festival in Europa repräsentiert. Und in diesem Moment weiß ich noch nicht, was für eine Reise durch mein Innerstes die nächsten Stunden bringen werden.

 

Aber von Anfang an...

 

Von Heike Franke

 

Das Kühlhaus. Ein ungeschminkter Ort, den man für einen der berüchtigten «Lost Places» halten könnte, derer es einige in und um Berlin gibt. Beton, Stahl, nackte Rohre, fahles Licht. Kühl, verlassen, und irgendwie fühlt es sich während ich die schmale Treppe hinaufsteige und dann diesen hohen Raum betrete an, als sei der gesamte Bau nur für diesen Abend aus seinem Dornröschenschlaf kurz erwacht.

 

Ein Flügel, einige nackte Glühbirnen, die von der Decke hängen und mit ihrem Kegel warmen Lichts einen Kontrapunkt zu Beton und Stahl setzen. Stühle in Reihen, dreiseitig, ein paar auch oben auf dem ersten Rundgang.

 

 

©Andrea Wenzler

©Andrea Wenzler

Nackt wirkt alles hier, und mich beschleicht das Gefühl, genau das könnte es brauchen, genau das wird alle Sinne einzig auf die Musik lenken.

 

Elena Bashkirovas an das Publikum gerichtete Begrüßungsworte schließlich geben Gewissheit über das, was ich längst ahne: Dieser Raum, das Kühlhaus Berlin, empfängt mit einer Akustik, die es der menschlichen Stimme schwer macht, die sie schluckt und nicht mehr hergeben will.

 

Der Abend beginnt mit Dvořáks Slawischen Tänzen für vier Hände. Was noch im Programm wie eine «wilde Mischung» aussah, mehr Dvořák, ein wenig Kraša und viel Schönberg ,wird zu einer phantastischen Reise durch unterschiedlichste Kammermusik höchster Qualität und Güte.

 

Gerade bei den Schönberg Stücken Ode an Napoleon und Verklärte Nacht, wunderbar umgesetzt und mit viel Gefühl dargeboten, werde ich entführt. Gedanken kommen und gehen in einem konstanten Flow.

 

Ich kann ihnen nachsehen, sie ziehen lassen, als wären sie nicht die meinen und einfach nur fühlen, während nichts und niemand verlangt, diese komplizierte Musik zu verstehen, die an diesem Abend so unfassbar leicht daherkommt. Und das tut einfach nur gut.

 

©Andrea Wenzler

©Lower East

Das Highlight ist René Pape mit den Biblischen Liedern von Dvořák. Ein Herzensprojekt des Sängers, das sieht man ihm an, das spürt man in jedem seiner Töne.

 

Unfassbar souverän meistert Pape diese schwierige Akustik, die Tschechische Sprache und auch das vermutlich nicht einfache Gefühl, so dicht vor seinem Publikum zu stehen, derart Emotionales in einem Seelenstriptease so unmittelbar nah vor fremden Menschen zu singen.

 

Er macht sie sich zu eigen, diese Biblischen Lieder, verlieht der ihnen von vornherein schon innewohnenden unglaublichen Dynamik, dem Kaleidoskop an Gefühlen, mehr Macht, Wucht, Fragilität und vor allem Tiefe.

 

Kaum zu glauben, wie zart der Bass sein kann, wie viele Obertöne er zum Schwingen bringt in diesem sängerisch undankbaren Bau, den er mit seiner einzigartigen Stimme füllt, ohne ihn je zu sprengen.

 

Und wie Pape brilliert in hohen Lagen, einem einzigen auf endlosem Atem gehaltenen hohen Ton, der wohl in der Partitur mit einem vier p Pianissimo notiert sein muss.

 

Eine Ausnahmesänger, keine Frage. Die einzigartige Kombination aus unendlichem Talent, perfektioniertem Handwerk, harter Arbeit und dem Mut, sich zu zeigen, alles von sich zu geben.

 

Nie hat mich jemand mehr berührt.

 

Überwältigt, sprachlos, tief bewegt und auch glückstrunken kann ich mich von diesem Abend, diesem Ort kaum trennen. Und es fühlt sich wie ein Traum an, als ich in die kühle Kreuzberger Nacht hinaustrete.

 

Was bleibt als Fazit?

 

Dieses Intonations Eröffnungskonzert war einer der besten, wenn nicht der beste Konzertabend, den ich bisher erlebt habe. All die Eindrücke werde ich noch lange mit mir in meinem Herzen tragen.

 

Programm:

 

„Intonations Eröffnungskonzert“

Dvořák – Slawische Tänze für vier Hände

Elena Bashkirova, Denis Kozhukhin

 

Kraša – Tanz

Mihaela Martin, Sara Ferrández, Tim Park

 

Schönberg – Ode an Napoleon

Larry Foster (dir.), Dietrich Henschel, Yulianna Avdeeva, Katrin Rabus, Madeleine Carruzzo, Gérard Caussé, Astrig Siranossian

 

PAUSE

 

Dvořák – Biblical Songs

Rene Papé, Elena Bashkirova

 

Schönberg – Verklärte Nacht

Michael Barenboim, David Strongin, Sindy Mohamed, Sara Ferrández, Astrig Siranossian, Tim Park


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