Jonas kaufmann singt in Polling

EIN GELUNGENER AUFTAKT ZUR MET KONZERTREIHE  IM LIVE-STREAM-FORMAT

05. AUGUST 2020

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Metropolitan Opera

Ein abgeschiedener, in der hügeligen Voralpenlandschaft versteckter Ort, der so viel Idylle versprüht, dass man meinen möchte, die Welt sei dort, trotz der aktuellen Gesundheitskrise, noch völlig in Ordnung, liegt malerisch eingebettet in die 3539 Seelengemeinde Polling im bayerischen Oberland.


Das gleichnamige Kloster, von dem hier die Rede ist, wirkt auf den ersten flüchtigen Blick unbedeutend und relativ nichts-sagend. Gut möglich, dass man bei einem zufälligen Besuch der Ortschaft ungeachtet geradewegs an ihm vorbei schlendern würde.


Das aber dieses historische Gotteshaus am 18. Juli 2020 seine Pforten für einen intimen Arienabend zu öffnen gedenkt, durch die kein Geringerer als der Münchner Tenor Jonas Kaufmann in die Stille des abgeschiedenen Bibliothekensaals verschwindet, ist in Anbetracht der seit Monaten geltenden Veranstaltungsrestriktionen nicht wirklich vorauszusehen gewesen.


Für eine Serie konzertanter Live Stream-Übertragungen der Met Opera in New York bildet der Münchner Tenor Jonas Kaufmann die Speerspitze dieser digitalen Auftaktveranstaltung, nur um in den kommenden Wochen von weiteren zahlreichen, namhaften Operngrößen auf dem gesamten Globus viral gefolgt zu werden.

 

©Metropolitan Opera

Eine Vielzahl konzertanter Aufführungen werden es sein, für die jeweils ein zu entrichtenden Obolus von 20 US Dollar den Videoabruf per Direktschaltung ermöglicht. Für alle „Ticketinhaber“ bleiben die jeweiligen Konzertmitschnitte als Video-on-Demand für eine großzügige Dauer von 12 Tagen online verfügbar.


Und auch der Preis gibt keinesfalls Grund zur Beanstandung, schließlich müssen sich die entstandenen Produktionskosten, der Aufwand und die musikalische Leistung der Interpreten, auch in Anbetracht des Erhalts der freien Kunst und des kulturellen Schaffens irgendwie rechnen, wenn das im Ansatz überhaupt der Fall sein wird.


Als der deutsche Tenor Punkt 20.00 Uhr zusammen mit seinem Liedbegleiter Helmut Deutsch den ersten Ton der Arie „E lucevan El stelle“ anstimmt, braucht es im menschenleeren Saal nicht erst noch mucksmäuschenstill zu werden.


Das altehrwürdige Gemäuer des Kloster Polling ist leer gefegt, eine offene, freie und luftig leichte Atmosphäre, die in dem hohen Deckengewölbe und der Weite des Raumes zum Ausdruck kommt, macht sich breit und lenkt ganz klar den Fokus auf das sich in der Mitte des Saales abspielende Geschehen.

 

©Live-Stream der Met Opera Konzertreihe mit Jonas Kaufmann

Dabei wird die stimmgewaltige Präsenz Kaufmanns nur noch von der tragenden, extrem resonanzstarken Akustik des Saales potenziert und vom wohl temperierten, klangvoll weich und ausgewogen dynamischen Klavierspiel unaufdringlich untermalt.


Die pure Reinheit und Kraft der Stimme Kaufmanns erheben sich besonders klangschön und exponiert in einer intimen Musikform, wie sie ansonsten nur bei Liederabenden in dieser sehr persönlichen, unretuschierten Ästhetik zur Geltung kommt.


Sollten Arien in dieser Art und Weise bereits in der Vergangenheit vom Klavier begleitet worden sein, dann habe ich grundsätzlich etwas verpasst, denn dieser Genuss, der die Stimme so weit über die instrumentale Untermalung hebt, ihr einen interpretatorisch frischen Ansatz und grundsätzlich neuen Schliff verpasst, ist ein echtes, wie auf Händen getragenes pures und emotionsgeladenes Musikerlebnis.


Und all das bei einer italienischen und französischen Arienauswahl, die normalerweise eines groß angelegten orchestralen Arrangements bedarf. Doch scheinbar gerade wegen der musikalischen Reduziertheit, die zudem noch mit der gähnenden Leere und bedächtigen Stille im Kloster Polling auskommen muss, entfaltet sich der Dialog aus Klavier und Gesang erstaunlicherweise zu einer raumfüllend satten Euphonie, die kaum nach mehr verlangt.


Dabei besticht die Exklusivität der Stimme Kaufmanns mit Wohl timbrierter Präzision, Klarheit und einer messerscharfen Brillanz, die insbesondere den leisen Tönen eine zart schimmernde Leuchtkraft verleiht und dabei die reifer und vollmundiger klingende Mittellage der baritonal kräftig eingefärbten Stimme deutlich markanter kontrastiert und herausstellt.

 

©Metropolitan Opera

Gelöst, frei und schwebend trägt das Vokalinstrument Kaufmanns durch den Abend, erfasst jede emotionale Regung mit einer stimmlich reichen Facettierung, lamentiert dabei mal tieftraurig, mal impulsiv leidenschaftlich, um sich dann bei „O Souverain „ heroisch in die Kopfstimme hineinzusteigern.


Ganz eindeutig wird an diesem Abend der Charakter Kaufmanns Stimme durch den Liedbegleiter schmeichlerisch herausgearbeitet, der es ohne jeglichen Zweifel versteht, dem Gesang nicht nur eine Bühne zu bereiten, sondern ihm auch Flügel zu verleihen.


So überrascht es auch kaum, dass man sich bei dem Intermezzo aus Puccinis Manon Lescaut in andere, beinahe himmlische Spähren katapultiert fühlt.


Helmut Deutsch entführt mit seinem Klavierspiel in eine Welt der irisierenden Klangfarben. Dabei kommen fließende Legati zum Einsatz, die von dominant kraftvollen Akzenten abgelöst, sich über weit ausufernde Spannungsbögen bis hin zur musikalischen Klimax verdichten, um schlussendlich mit zartem Anschlag sanft abebbend in einem pianissimo hauchfein zu verklingen.


Am Flügel erlebe ich zu hundert Prozent einen Virtuosen, der mit absoluter Leidenschaft, bedingungsloser Hingabe und geschmeidiger Fingerfertigkeit auf der Klaviatur unterwegs ist, um im Auftrag der Musik einen bunten Strauß tonaler Bilder in die emotional aufgeladene Atmosphäre zu werfen.


Da verwundert es auch kaum, dass Jonas Kaufmann bei Leoncavallos Intermezzo tief versunken und hoch konzentriert lauschend Ton für Ton und Note für Note förmlich in sich aufsaugt und in Gedanken scheinbar jede einzelne davon reproduziert.

 

Das Finale des Abends wird, wie hätte es anders zu erwarten sein können, von der weltbekannten Arie Nessun Dorma aus Puccinis Oper Turandot gekrönt.

 

Etwas verhalten in der Stimmführung will Kaufmann in den exponierten Höhen nicht so recht in Form kommen. Im Vergleich zur gesanglichen Darstellung auf der Waldbühne in Berlin fehlt mir in dieser musikalischen Interpretation die schmetternde Energie, die strahlende, ausufernde Vokalbrillanz, die irgendwie auf sich warten lässt und leider nicht wirklich zum Zug kommt.

 

Schade. Dennoch wird mir dieses besondere ariöse Bonbon lange noch in Erinnerung bleiben, obgleich ein digitales Erlebnis schwer mit einem echten Konzertbesuch zu vergleichen ist.

 

Es fehlt das absolute Gefühl, in einem wechselseitigen Resonanzverhältnis mit der Musik eins zu werden.

 

Bravissimo dennoch für einen rundum gelungenen Abend.


Weitere Live-Stream Konzerte sind über die Website der Met Opera in New York for 20 US Dollar zu erwerben.

 

Website: www.metstarslive.brightcove-services.com

 

©Jonas Kaufmann / Videoauschnitt des Konzerts in Polling über Youtube zur Verfügungn gestellt


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