Jonas Kaufmanns unvergessliche Premiere in der Arena di Verona

18. August 2021

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©arenadiverona

Strahlend leuchtet der Halbmond am dunkelblauen Nachthimmel über der Arena di Verona, so als ob man ihn mit einer Lampenschnur extra für das bevorstehende Musikereignis angeknipst hätte.


Unzählige Auftritte, etliche Opernaufführungen und viele renommierte Künstler von Rang und Namen hat er dabei in den letzten Wochen auf der Bühne schon souverän ausgeleuchtet, hat allen eine romantische Lichtquelle geliefert. Nur dem Münchner Tenor Jonas Kaufmann assistiert der bleiche Himmelskörper heute zum allerersten Mal.


Ersterer nämlich fiebert voller Vorfreude seiner absoluten Premiere im Veroneser Musiktempel entgegen.

 

Während die Temperaturen an diesem Abend angenehm mediterran bleiben, säuselt ein erfrischender Wind sanft durch die ausgedünnten Reihen des Amphitheaters, das mit seinen 6000 Gästen aufgrund der aktuellen Corona-Auflagen exakt auf die Hälfte seiner maximalen Besucherzahl reduziert wurde.

 

©arenadiverona

Doch das tut der heiteren Stimmung im Publikum keinen Abbruch, obgleich das Einlassprozedere an den Torbögen des römischen Theaters so manch einem enthusiasmierten Klassikfan gleich vor Beginn der Veranstaltung die Schweißperlen vor Stress und Zeitnot auf die Stirn treibt.


Was der gemeine Besucher dieses Mal so alles über sich ergehen lassen muss, um überhaupt in den musikalischen Genuss des Gala Events zu kommen, schlägt dem Fass beinahe den Boden aus. Und das bereits 90 Minuten vor Vorstellungsbeginn.


Doch Sicherheit geht in der coronageplagten Zeit einfach vor.


Und so werden Eintrittskarten, Personalausweise sowie EU konforme COVID Zertifikate gezückt, ohne die der Einlass zur Veranstaltung nicht gewährt wird. Auch um das Fiebermessen kommt keiner drumherum.


Ohne die drei G´s und ein ausgeklügeltes Corona konformes Veranstaltungskonzept geht auch in Italien nichts mehr.

 

©arenadiverona

Nachdem die schwierige und zeitintensive Hürde an den Eingängen endlich genommen ist, bleibt nur ein letzter Wermutstropfen: der Maskenplicht für die gesamte Dauer der Open-Air Vorstellung nachzukommen.


Aber was tut das Publikum nicht alles für das Gelingen eines rauschenden Konzertabends. Und das er rauschend, unvergesslich und einzigartig wird, dafür sorgt schon der Tenor der Tenöre höchstpersönlich, allerdings nicht gleich zu Beginn des Konzerts und auch nicht vollends überzeugend.


So gestaltet sich der erste Programmteil mit Wagners 1. Akt der Walküre daher leicht zähflüssig, holprig und ohne die musikalische Leichtigkeit, mit der Jonas Kaufmann sein Publikum noch vor wenigen Jahren auf der Berliner Waldbühne bei seiner italienischen Nacht bezirzt und im Sturm erobert hatte.


Mal klingt das Orchester agogisch schlecht austariert, mal wollen die Töne nicht so, wie Herr Kaufmann gerne möchte.

 

Etwas teigig, angestrengt und gedrungen resoniert die Stimme gedämpft und noch nicht ganz wach ins Auditorium.

 

©arenadiverona

©arenadiverona

Erst mit den Wälserufen erwacht Kaufmanns Vokalinstrument, wird elastisch, dynamisch, klar und trägt ausgewogen kraftvoll in die Atmosphäre, ohne aufgesetzt oder gar forciert zu klingen.


Obgleich die Winterstürme dem Konzept eines italienischen Gala-Events nicht wirklich gerecht werden, erobert sich Kaufmann im Verlauf der ersten Konzerthälfte langsam aber sicher sein stimmliches Potenzial zurück und begeistert, wenn auch noch etwas verhalten, seine unvoreingenommene Zuhörerschaft.

 

Doch die vokalathletische Form, zu der er medaillenverdächtig meistens relativ schnell aufläuft, entfaltet sich erst in der 2. Konzerthälfte vollumfänglich, nämlich mit den süffig ariosen Schmonzetten aus den bekannten Verdi, Puccini und Giordano Opernklassikern.


Glatt träumt man sich zurück in die französische Revolutionsoper Andrea Chénier, erfreut sich an dem italienischen Lokalkolorit der unverwechselbaren Kompositionen Verdis und Puccinis und erlebt einen deutschen Interpreten, der die italienische Seele stimmlich und auch emotional verkörpert wie kaum ein anderer Tenor seines Fachs.


Bei Kaufmann spürt man ganz genau, dass er das Lebensgefühl dieser leidenschaftlichen Musik nicht nur interpretiert, sondern eben auch bewusst nachfühlt, was seiner Duettpartnerin, der Sopranistin Martina Serafin, an diesem Abend nicht annähernd so gut gelingt.

 

©arenadiverona

Obgleich die leisen, sanften Töne von perlend reinem Schliff sind, so aufgekratzt und nervös flackernd ist Serafins Vibrato in den exponierten Tonlagen. Dabei könnte man meinen, ihre Töne rutschten immer wieder in eine leichte Schieflage ab.

 
Ganz besonders angestrengt wirkt der tonale Kraftakt in der dramatischen Nummer der "La Mama morta" aus Umberto Giordanos Andrea Chénier.


Wenn auch die lyrische Strahlkraft der Stimme Serafins anfänglich noch überzeugt, die Mittellage hält, was sie technisch absolut verspricht, so extremer treten die gesanglichen Defizite in den exponierten Tonlagen zum Vorschein. Vom Passagio und der Leichtigkeit, übergangslos in die hohen Register zu entgleiten, fehlt jede Spur.

 

©arenadiverona

©arenadiverona

Dafür steigert sich ein immer tollkühner werdender Kaufmann in tonale Höhenflüge. Nunmehr gelöst, locker und frei schmettert der Ausnahmekünstler eine klangvolle Arie nach der anderen.


Und mit der Gelöstheit bahnt sich eine scheinbar unbändige sichtbare Freude ihren Weg ins Auditorium. Der Knoten scheint endlich geplatzt zu sein.


Als der Hauptakt des Konzertabends sich gegen Mitternacht begeisterungsstürmisch gen Ende neigt, will das Publikum mehr, viel mehr. Ein donnernder Applaushagel prasselt ohne Unterlass auf den Tenor ein.

 

Und der lässt sich nicht zwei Mal bitten.


Sogleich hastet er flotten Schrittes auf die Bühne zurück, gibt den Allzeitklassiker "Nessun dorma" zum Besten, punktet mit "E lucevan le stelle" und wechselt so nonchalant zu den italienischen Gassenhauern über, dass man sich sofort in das Berliner Waldbühnenkonzert zurückversetzt fühlt.

 

©arenadiverona

Zusammen mit Frau Serafin schweigen nach der sechsten Zugabe schlussendlich seine Lippen. Nur noch ein frecher, spontaner Luftsprung, der Jonas Kaufmann in Hans-Rosenthal-Manier freudig impulsiv aus den Sprunggelenken schießt, und dann ist er auch schon vorbei, der besondere musikalische Hochgenuss, der wohl zu den Superlativen der klassischen Events zählen wird.


Was noch zu sagen bleibt?


Das war Spitze! Einsame Spitze.


©Apemusicale / über Youtube zur Verfügung gestellt

Eine kleiner Ausschnitt des Gala Events in der Arena di Verona und ein Interview mit dem weltbekannten Tenor Jonas Kaufmann geben Einblicke in ein konzertantes Ereignis der Superlative.

 

©Marcia M. / über Youtube zur Verfügung gestellt


Kommentare: 0