Juan Diego Flórez reißt sein PUblikum in der Laeiszhalle schier vom Hocker

23. Mai 2022

Rubrik Konzert

©Juan Diego Flórez

Wenn an diesem Abend des 21. Mai 2022 irgendjemand auch nur irgendetwas reißt, dann der peruanische Tenor Juan Diego Flórez, der in der Laeiszhalle in Hamburg sein gesanglich Weltbestes gibt.

 

Mit seinem belcantistisch stimmungsvollen Unterhaltungsprogramm erhellt er so prompt das trübselige Bild der leer gefegten Sitzreihen im kaum ausgebuchten Auditorium.

 

Wenige sind gekommen. Das halbe Parkett ist gähnend leer und auch in den Rängen wirkt es so ausgedünnt wie noch nie zuvor bei einem Konzert mit Staraufgebot.

 

Pandemiestress, Angst oder einfach nur Entwöhnung von der viel zu langen Konzertabstinenz?

 

Schockiert und selten so ungläubig wie an diesem Abend sitze ich zu Beginn des ersten Programmteils noch weit oben im Rang und ärgere mich im Stillen über den stark eingeschränkten Blick nach unten auf die Bühne.

 

Doch sobald der Startenor aus Peru die Bühne betritt, wird es johlend laut, frenetischer Applaus bricht aus und will, so scheint es, erst mal gar nicht abflauen.

 

Jetzt klingt der Saal ganz plötzlich proppenvoll. Wie laut würde der leidenschaftliche Jubel wohl bei vollem Haus ausfallen?

 

Juan Diego Flórez begeistert, magnetisiert und stimmt die Menge im Saal bereits vor der ersten Gesangseinlage so fröhlich und heiter, dass sich all der Unmut über das auf ein Minimum geschrumpfte Publikum im Nu verflüchtigt.

 

Mit einem ariosen Liederprogramm, das sich von Bellini über Rossini, Donizetti bis hin zu Verdi und Puccini erstreckt, bietet Flórez ein außergewöhnlich vielseitiges Repertoire, das den Belcanto ehrt und seine Zuhörer musikalisch auf das Allerfeinste einstimmt.

 

Dass Flórez das alles auch singen kann, steht außer Frage. Der Mann ist Weltspitzenklasse auf genau diesem Gebiet, denn Schöngesang ist quasi der zweite Vorname der charismatischen Frohnatur.

 

Und so gestalten sich die klavieruntermalten Arien eine schöner als die andere. Flórez beweist ein Gespür für ausgewogene Nuancierungen.

 

Die Stimme schwingt sich unbemüht, duftig, elastisch und von brillant kristallklarer Strahlkraft in exponiert koloraturreiche Höhenlagen, um just im nächsten Moment über ein ausgewogen nussiges Mezzovoce in angenehm samtfeine Registertiefen zu verfallen.

 

Äußerst biegsam, jugendlich, frisch und überraschend unverbraucht klingt das Vokalinstrument des knapp 50-jährigen Interpreten und durchdringt elegant den akustischen Raum der Laeiszhalle.

 

Beeindruckt, um nicht zu sagen, fasziniert erlebe ich einen Opernsänger, der auch im intimsten musikalischen Rahmen eines Liederabends so präsent und ausdrucksstark auf der Bühne agiert und mit einer emotionalen Temperatur gesegnet ist, die vereinnahmt, elektrisiert und die Freude im Herzen förmlich zum Rasen bringt.

 

©Juan Diego Flórez

Kurz bevor die Pause eingeläutet wird, mache ich mich schnurstracks auf den Weg nach unten ins Parkett. In der ersten Reihe sind noch einige Plätze frei und ich sehe nicht ein, dass diese unbesetzt bleiben.

 

Jetzt werde ich den "Belcantilenen" einmal direkt und aus unmittelbarer Nähe erleben. Was für ein Hörgenuss das wohl sein mag?

 

Bombastisch möchte ich sagen, denn die volle Ladung geballter Stentorkraft aus dieser hell timbrierten Stimme erwischt mich gleich mit Tostis "Sogno".

 

Oh ja, diese Stimme, obgleich mir baritonal dunkler gestimmte Tenöre besser liegen, ist ein absoluter Traum.

 

Kraftvoll fließt die farbsatte Klangpalette wie aus einem formschönen Guss und verliert sich duftig trällernd im luftigen Saal.

 

Kaum zu glauben, dass die Stimme den anspruchsvollen Arien bis zum Schluss vor erfrischender Virilität standhält. Ermüdet oder gar erschöpft klingt Flórez jedenfalls kein bisschen.

 

Beseelt und vielleicht ein wenig erleichtert beschließt der Peruaner den Abend mit Puccinis "Torna ai felici dì" und erntet kurz nach Verstummen des letzten Tons überwältigend überschwänglichen Applaus.

 

Das Publikum ist aus dem Häuschen. Immer stärker werdende Beifallsbekundungen, enthusiasmierte Bravi Rufe und donnerndes Getrampel lassen Señor Florez nicht umhinkommen, auf seiner Gitarre den zugabenerprobten Barden zu geben. Das wird sogar von ihm erwartet.

 

Volkstümliche Weisen, peruanische Heimatklänge, ein volles Gedeck an i-tüpfelchenlastigen Melodienbonbons stacheln die freudig erregte Menge erst recht zu noch mehr Applausregen an.

 

Und Flórez lässt alles gelassen, entspannt und beglückt auf sich herniederprasseln.

 

Zwischenrufe fordern zuweilen, er solle doch bitte "Ave Maria" oder "Cucurrucucu" singen.

 

"Oder wie wär´s mit einer Pizza?" kontert der gewitzte Tenor augenzwinkernd von der Bühne ins amüsierte Publikum zurück.

 

Voll und ganz in seinem Element zupft der Mann mit der kristallklaren Stimme weltverloren ein beseeltes "Core N´ grato" auf der Gitarre, animiert seine Zuhörer bei "Guantanamera" unisono in den Refrain einzustimmen und lässt damit die emotional ausgelassene Stimmung bis zum Siedepunkt hochköcheln.

 

Fantastisch, wie vereinnahmend, ausgelassen und unbeschwert sich so ein klassischer Abend doch gestalten kann, insbesondere dann, wenn auch das gesanglich untermalende Beiwerk so klaviertuos zum Besten gegeben wird wie durch den Maestro Vincenzo Scalera selbst.

 

Der nämlich lässt seine Finger so agil und flugs über die Klaviatur gleiten, dass es beiläufig und unangestrengt wirkt. Spaß hat der Mann am Klavier. Kongenial erscheint das Duo auf der Bühne.

 

Mit "Ach, wie so trügerisch" aus Verdis Rigoletto kehrt der Meister des Belcanto bei seiner vorletzten Zugabe noch mal seine schauspielerisch versierte Seite gekonnt heraus.

 

Effekthaschend und mit dem Publikum kokettierend, haut er den finalen Spitzenton erst nach einer bewusst hinausgezögerten Pause provokant und mit Schmackes nahezu brustsprengend ins Parkett heraus.

 

Nach der 7. Zugabe folgt dann schlussendlich der Rausschmeißer: Mit "Nessun Dorma" aus Puccinis epischer Oper Turandot glänzt Flórez noch einmal vokal heroisch, bevor er sich mit etlichen Luftküssen und pathosreich verbeugend strahlend vom mittlerweile tobenden Hamburger Publikum verabschiedet.

 

Ein Abend der Superlative geht zu Ende. Und Juan Diego Flórez singt hoffentlich bald, schon recht bald wieder vor ausverkauften Hallen.


©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

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©Nicole Hacke / Operaversum

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