Bombastischer Arienabend mit Jonas Kaufmann in der Laeiszhalle- und das PUblikum tobt vor Begeisterung

13. Mai 2023

Rubrik Konzert

©Sören Lukas Schirmer / Laeizhalle Hamburg - Jonas Kaufmann

Noch vor ein paar Jahren wienerte der Startenor Jonas Kaufmann mit Operetten-Schmankerln und Heurigenliedern die Laeiszhalle in Hamburg gehörig auf und versprach ein Wiener Blut - so pulsierend und temperamentvoll - dass es den kühlen Norddeutschen plötzlich ganz warm ums Herz wurde und sie dreivierteltaktselig ihren Tenor der Tenöre gar nicht mehr von der Bühne entlassen wollten.

 

Doch das die Begeisterung viele steigerungsfähige Superlativen kennt, das zeigt sich just an diesem unvergesslichen Arienabend, den Jonas Kaufmann zusammen mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Jochen Rieder bestreitet.

 

Mit einem italienischen Repertoire, das klassische Verdi-Arien genauso zelebriert wie den Verismo der Komponisten Leoncavallo, Giordano, Cilea und Mascagni, gestaltet der Tausendsassa ein Potpourri, das wirklich melodiös ins Ohr geht und dabei noch zielgerichtet mitten ins Herz der Zuhörerschaft trifft.

 

Obgleich der Auftakt mit der Arie "Celeste Aida" etwas holprig Fahrt aufnimmt, vielleicht auch deshalb, weil sich die Stimme des Tenors scheinbar noch nicht ganz warmgelaufen hat, gelingen die Folgearien einfach formidabel.

 

Raumgreifend, rund und satt strahlt das Vokalinstrument des Sängerdarstellers stentoral ins Auditorium. Zarte Pianissimi, fluide Legato-Bögen und einwandfreie Registerverblendungen zeigen, warum Jonas Kaufmann nach wie vor und immer noch unangefochten zu den Top-Tenören seiner Branche zählt. 

 

©Sören Lukas Schirmer / Laeizhalle Hamburg - Jonas Kaufmann

©Sören Lukas Schirmer / Laeizhalle Hamburg - Jonas Kaufmann

Gaumenrund mit saturiertem Klangschmelz schimmern sowohl die eingedunkelten Töne als auch die exponierten Höhen kraftvoll, strahlend und von ausgeprägter Virilität in das Publikum.

 

Und dennoch bemerkt man sofort, dass Jonas Kaufmanns Stimme gealtert, aber bemerkenswerterweise an Saturation und Reife dazugewonnen hat. Es ist die Schönheit einer eindeutig nicht mehr jungen Stimme, die unbemüht wirkende Leichtigkeit und Flexibilität vermissen lässt, dafür aber umso mehr Körper in der Mittellage als auch deutlich emotionaleren Tiefgang und somit Charakter vorweisen kann.

 

Allerdings kristallisiert sich an diesem Abend wider Erwarten ein zauberhafter Glanz leuchtend warm in die vokalathetisch duftigen Höhen. Was noch beim Tannhäuser in Salzburg angestrengt und gepresst wirkte, sich matt und dumpf empor quälte, klingt arios frei, wohl austariert und zur herzerwärmenden Überraschung heroisch strahlend.

 

Und während Jonas Kaufmann gerade die letzten Töne der Arie "Dio! mi potevi scagliar" aus Verdis Otello verklingen lässt, bricht sich bereits ungehaltene Begeisterung im Auditorium Bahn. Kaum zu bremsen, macht sich das Hamburger Publikum seiner Freude einfach mal gehörig Luft, indem es immer gehäufter applausstarke Beifallsbekundungen zwischen die einzelnen Arien absetzt.

 

Kaufmanns Interpretation des Otello haut einem aber auch schier um, so eine magische Anziehung übt der Tenor nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch auf sein schier elektrisiertes, gebannt lauschendes Publikum aus. 

 

©Sören Lukas Schirmer / Laeizhalle Hamburg - Jonas Kaufmann

©Sören Lukas Schirmer / Laeizhalle Hamburg - Jonas Kaufmann

Es ist eine Rolle mit Alleinstellungsmerkmal, eine schwierige Rolle, die der Münchner Tenor vielleicht wie kein anderer zu interpretieren weiß, insbesondere weil sein Timbre so reif und extrem abgedunkelt emotionale Temperaturen kreieren kann, die der zerrissenen Persönlichkeit des krankhaft eifersüchtigen, eiskalt mordenden Otello konturierte Vielschichtigkeit und Facettenreichtum verleiht.

 

Dabei ist der Tenor auch mit erzählerischem Genie zu jeder Zeit auf den Punkt präsent. Man spürt die geballte Intensität jeder kleinsten Gefühlsregung resonanzstark ins Publikum überschwappen. 

 

Dieser Arienabend ist geprägt von einer zum Zerreißen starken Emotionalität, die eine schwingende Brücke zwischen Künstler und Publikum schlägt.

 

Schade nur, dass einem bei den orchestralen Intermezzi leider immerfort das untrügliche Gefühl beschleicht, dass die zum Zerbrechen zarten Momente zwischen Sänger und Publikum durch das undifferenzierte Dirigat eines Jochen Rieder zunichte gemacht werden.

 

Ein Klangteppich, der scheinbar nur Schwarz und Weiß kennt und alle anderen agogischen Schattierungen brüsk außen vor lässt. Entweder das Orchester spielt viel zu laut oder einfach viel zu leise. Wo sind die ganzen Zwischentöne abgeblieben? Wo die dynamischen Feinabstufungen in der agogischen Gestaltung. Kontur, Feinschliff, Eleganz - Fehlanzeige.

 

Und mittendrin im Getöse ein um seine Stimmgewalt bangender Jonas Kaufmann, der stellenweise große Mühe hat, gegen das einfach nur "Viel-zu-laut" vokal aufzubegehren.

 

©Sören Lukas Schirmer / Laeizhalle Hamburg - Jonas Kaufmann

Nein, mehr ist wirklich nicht immer mehr, zumindest nicht in qualitativer Hinsicht. Weniger, reduzierter, differenzierter und feinjustierter: Das würde tatsächlich einen absolut künstlerischen wertvollen Mehrwert ergeben.

 

Sei es drum. Zumindest Herr Kaufmann weiß, wie all das geht. Und weil er das mit all seiner technischen Raffinesse, seiner aufrichtig beseelten Art ins Publikum zu transportieren vermag, verzeiht man ihm auch den ein oder anderen stimmlichen Makel, so man denn überhaupt von echten Makeln sprechen darf. 

 

Der Abend scheint für den Sänger jedenfalls rund zu laufen. Doch bei Francesco Cileas vorletzter Arie im zweiten Programmteil ("E la solita storia del pastore) passiert es dann doch. Kaufmanns Stimme bricht an mehreren Stellen dezent, aber dennoch hörbar ein, so als ob sich zähflüssiger Schleim von den Stimmbändern lösen würde. Dies überspielend, nimmt sich der Tenor an exponierten Schlüsselstellen, sofern möglich, kraftreduzierend zurück und dreht nur an den Stellen voll auf, wo es die Dynamik tatsächlich verlangt.

 

Auch die letzte Arie an diesem Abend verspricht nicht zu 100 Prozent, was sie noch vor einigen Jahren Kraft ihrer Stimmpotenz gehalten hat. "Mama! Quel vino è generoso" klingt daher etwas zurückgenommen, nicht so vordergründig prominent, ein wenig verhalten, aber dennoch bildschön. 

 

Jonas Kaufmann hat einfach, was ganz viele Sänger seines Faches entbehren, weil sie vielmehr auf Schöngesang setzten als auf das, worauf es in der Musik unabdingbar ankommt: Große, wahre und tiefe Gefühle - die absolute Stärke von Jonas Kaufmann.

 

©Sören Lukas Schirmer / Laeizhalle Hamburg - Jonas Kaufmann

Und wohl auch der Magnet, der die Motten wie das Licht anzieht, das Publikum hypnotisiert, fasziniert und im besten Wortsinn aus der Fassung bringt. Dagegen können Mann und auch Frau sich absolut nicht erwehren. 

 

Wehrlos ist man gegen so viel Gefühl und ebenso viel Herzenswärme, die sich vokal in die Seelen des Publikums brennen.

 

Genau aus dem Grund ist dieser Abend mehr als nur ein voller Erfolg. Er ist ein bombastischer Erfolg, lärmend laut, nicht weil etwa das Orchester ständig zu laut tönt, sondern weil auch das Publikum zu tosendem Lärm fähig ist. Und das, wo doch die Norddeutschen als tendenziell kühl gelten?

 

Bewegt und sichtlich gerührt verbeugt sich Jonas Kaufmann immer und immer wieder und muss, auch wenn er vielleicht so langsam gerne zum Ende kommen würde, noch ganze fünf Zugaben darbieten.

 

Das Publikum ist außer Rand und Band. Nach jeder einzelnen Zugabe, tobt es vor überschäumender Begeisterung hörbar mehr. Zum Schluss steht plötzlich der ganze Saal, steht fast schon Kopf und applaudiert wie eine Horde trampelnder Elefanten. Es ist einfach berauschend inmitten dieses enthusiasmierten Publikums auf einer haushohen Welle überbordender Gefühle - fast wie ein Surfer - zu reiten.

 

Irgendwann, nach minutenlangen Klatschorgien und nicht abreißendem Applaus winkt Jonas Kaufmann ein letztes Mal dankend ins Publikum und verlässt die Bühne. Was für ein Abend. Welch große Emotionen.

 

Danke, Tenorissimo Kaufmann, für ein unvergessliches, einzigartiges Konzert!


Kommentare: 2
  • #2

    Nicole (Dienstag, 16 Mai 2023 20:05)

    Liebe Frau Foullois,
    da ging es mir genauso wie Ihnen.
    Herzliche Grüße

    Nicole Hacke / Operaversum Magazin

  • #1

    Elfi Foullois (Dienstag, 16 Mai 2023 19:25)

    Der Abend war einfach wunderbar.danke Jonas Kaufmann einfach zauberhaft