Dat ham´se jut jemacht, Herr Tenor! Jonas Kaufmann bringt den Zauber Berlins auf die Waldbühne

09. Juli 2023

Rubrik Konzert

©Agentur DAVIDS / Christina Kratsch

Genau fünf Jahre ist es her, da überstrahlte ein charismatischer Stern am Opernhimmel Berlins dunkelblaues Firmament und erhellte ganz nonchalant mit seinem überbordenden Charme die Gemüter der Dolce Vita verliebten Opernenthusiasten so "nachhalltig", dass der Hauptstadt prächtigstes Amphitheater noch heute von so manch sehnsüchtiger Opernweise leise erbebt.

 

Jonas Kaufmann hieß der Mann mit der glutheißen Stimme, der sämtliche Herzen zum Schmelzen brachte und auch am heutigen Abend ein arioses Feuerwerk lodernder Gefühle in die begeisterten Massen der 30.000 "sitzplatzstarken" Waldbühne abzusetzen vermag. Und diesmal bei strahlendem Sonnenschein und angenehm mediterranen Temperaturen, um die sich mitsamt dem Tenor die südeuropäischen Länder nur so reißen würden:

 

Eine laue, duftschwere Sommernacht eben, die Romantik pur verspricht, denn auch das musikalische Rahmenprogramm besticht nun schon zum zweiten Mal durch eine überbordend süffig satte Repertoirevielfalt, die schon beim Durchforsten des Programmhefts so viel gute Laune versprüht, dass man bereits erahnen kann, wie später wohl die emotionalen Funken fliegen werden.

 

Ob Puccini, Leoncavallo, Giordano, Lehár oder Strauß: Die süßen melodiösen Bonbons, welche die hochwertig gestaltete Broschüre anpreist, sind geradezu überzuckert von den hitverdächtigen Opern- und Operettenarien sowie den unvergesslichen Schlagern der 20er Jahre.

 

©Agentur DAVIDS / Christina Kratsch

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Doch bevor die Stimme des Tenors der Tenöre durch die angenehm warmen Lüfte dringt, heizt ein junger Eisverkäufer mit ariosen Nachahmungsversuchen verschmitzt und bestens gelaunt, dem belustigten Publikum erst mal so richtig ein. Und das potenziert den Jieper nach kalten Genüssen umso mehr.

 

Singen kann der junge Mann zwar nicht wirklich gut. Doch seine linkischen Gehversuche auf vokalem Glatteis lösen wahrhafte Eisgelüste beim Publikum aus. Und so verkauft sich das Eis wie geschnitten Brot, die Zeit verrinnt dabei wie im Flug und die nicht existente Vorband vermisst auch wirklich keiner.

 

Der Auftakt, wenn auch nicht von einem Mann vom Fach, ist gemacht. Die Spannung steigt kontinuierlich. Irgendwann hat der Schlawiner der humoristischen Fraktion sein Behältnis bis auf das letzte Sahnekonfekt ausverkauft. Es kann also losgehen.

 

Und dann kommt er auch schon forschen Schrittes im dunkelblauen Anzug und mit offenem Hemdkragen auf die Bühne spaziert, damit die Stimme genügend Luft und Raum  bekommt: Jonas Kaufmann, der sichtlich verjüngt seinen hocherotisch silbergrauen Schopf gegen einen auf jugendlich getrimmten hellblonden Anstrich eingetauscht hat. Gefärbte Haare! Na, das Thema wollen wir nicht weiter vertiefen. Es tut schließlich auch nichts zur Sache, denn die Qualitäten des Ausnahmekünstlers liegen sowieso nicht im haarsträubenden Bereich. 

 

©Agentur DAVIDS / Christina Kratsch

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Viel wichtiger ist doch, was Jonas Kaufmann gesanglich auf die Beine stellt und damit auf die Bühne bringt. Und das ist, wie könnte es mal wieder anders sein, ein herrliches Potpourri genreübergreifender Musikgenüsse. Doch am beeindruckendsten, obgleich das Stück den tenoralen Rahmen gewaltig sprengt, ist Kaufmanns Interpretation der Prologszene des Canios aus Leoncavallos Verismo-Oper Pagliacci.

 

Rahmensprengend ist die Interpretation aber ganz offensichtlich im positivsten aller Sinne, denn was der Tenor mit seiner langen Stimme gerade auch baritonal ausreizen kann, ist schon erstaunlich, um nicht zu sagen phänomenal.

 

Höchst erotisierend, mit einem saturierten, dunkelgoldenen Timbre, einer fast schon ozeanischen Klangtiefe, die dicht, gaumenrund und monumental sonor das imposante Amphitheater durchdringt, erobert sich der daueramtierende Tenor der Tenöre eine Sparte, die üblicherweise nur von Baritonen bedient wird.

 

Haben wir etwas verpasst? Hat der Tenor das Stimmfach und seine Rollen ganz plötzlich gewechselt? Nun, dass er ein Spinto-Tenor, ein Mann für alle lyrisch-dramatischen Fälle ist, das ist schließlich bekannt. Dass aber seine kräftige Mittellage in diesem italienischen Stück so prägnant zur Geltung kommt, raumübergreifend und ausufernd intensiv, damit hätte man als Zuhörer so nun auch nicht gerechnet.

 

©Agentur DAVIDS / Christina Kratsch

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Hypnotisiert lauscht man, wohl auch um des Seltenheitswertes willen, ganz gebannt der klangfarbenreichen Stimme Kaufmanns, die so satt und rund in die tieferen Sphären der baritonalen Tonpalette vordringt, mühelos, unangestrengt und absolut tiefenentspannt.

 

So lieben wir den deutsch-österreichischen Tenor, der es vermag, nicht nur verschiedenste Rollenfächer und Genres, sondern auch stimmliche Grenzen souverän und versiert zu sprengen.

 

Wer kann, der kann eben - und Kaufmann kann scheinbar wirklich so gut wie fast alles bedienen. So ein Tausendsassa aber auch.

 

Doch nach der klangsatten Nummer, die dem Tenor sichtlich Spaß bereitet hat, wird es dann doch tenoral arios. Das Repertoire ist wohlgefällig, leicht zu verdauen und bringt tatsächlich die absoluten Klassiker aus Oper und Operette an den Start. 

 

Dass Jonas Kaufmann noch vor Kurzem mit offensichtlichen Stimmproblemen zu kämpfen hatte, scheint an diesem Abend kein Thema zu sein. Der Mann mit der goldenen Stimme ist in so fantastischer Form, dass man nicht damit rechnet, dass just bei der vierten Arie stimmliche Aussetzer deutlich hörbar zutage treten.

 

Das dimmt für den Moment die Faszination und irritiert das Gehör. Doch danach läuft es für den Rest des Abends rund - und wie rund!

 

©Agentur DAVIDS / Christina Kratsch

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Mit einem Augenzwinkern und einer wohldosierten Portion Humor interpretiert der talentierte Mr. Kaufmann zu voranschreitender Stunde ein Operettenschmankerl nach den anderen und gibt ganz heiter beschwingt den treulosen Herzog aus Johan Strauß Operette "Eine Nacht in Venedig".

 

Stimmlicher Schmelz, a bisserl "Wiener Schmäh" und die unverwechselbare Charme-Offensive tun ihr Übriges dazu, dass man dem Treulosen gnädigst seine hallodrihaften Schwerenötereien verzeiht und sich schmachtend nach dem unreifen Habitus eines Don Giovanni-Verschnitts sehnt. 

 

Währenddessen umschwirren immer mehr Mücken die Waldbühne und nerven nicht nur die um sich schlagenden Besucher, sondern auch den Tenor, der beim Singen ganz kurzen Prozess mit dem herumsurrenden "Piksern" macht.

 

Das zieht die Lacher auf Kaufmanns Seite, denn die Situation wirkt einfach zu komisch. Doch damit der komischen Situationen noch nicht genug. Denn auch im Doppelpack und einem aufgedrehten Übermut gelingt es Jonas Kaufmann zusammen mit seiner Gesangspartnerin Rachel Willis-Sörensen die Bühne in ein rutschgewaltiges Glatteis zu verwandeln.

 

All das passiert lange, nachdem das Hauptprogramm sein Ende genommen hat: Es muss irgendwann nach der vierten oder fünften Zugabe sein, dass vier Tanzbeine sich für einen kurzen unaufmerksamen Moment ineinander verheddern und gefährlich temporeich auf Mikrofonständer und Orchester zuschlittern.

 

Doch Herr Kaufmann bremst stolpernd aus, rettet, was zu retten geht und schafft es doch glatt, sich und seine Gesangspartnerin vor dem "Beinahe-Sturz" zu bewahren. Und das, na ja, halbwegs mit Haltung.

 

So kommen die tausend kleinen Englein noch auf ihre Kosten, auch noch bis zum letzten ausgehauchten Ton mit herzerwärmender Verve liebevoll besungen zu werden.

 

©Agentur DAVIDS / Christina Kratsch

Auch Rachel Willis-Sörensen, die US-Amerikanische Sopranistin, die schon vor Jahren an der Seite des Tenors mit ihrer saturiert ausgewogenen Sopranstimme geglänzt hat, versprüht an diesem Abend vokalen Charme, aber nicht so überzeugend, wie man es bei vorangegangenen gemeinsamen Auftritten erleben durfte. Verhaltener und in den exponierten Höhen nicht komplett frei klingt die Stimme der junonischen Erscheinung zuweilen extrem gepresst und dumpf klingend.

 

Dennoch schafft auch sie es, das Publikum mit ihren ansonsten sphärischen Klängen zu verzaubern.

 

Aber dann! Dann kommt der Kaufmann nochmals mit aller Wucht und einem "Nessun Dorma", das locker an das Waldbühnenkonzert von 2018 anknüpfen kann.  Die Arie des Calaf, die zwar melodisch eingängig, aber dynamisch und agogisch schwierig zu gestalten und insofern ein Kraftakt höchster Güte darstellt, katapultiert die stimmliche Urgewalt an die Oberfläche, als gäbe es kein Morgen!

 

Was für ein Erlebnis! Kraftvoll, ausdauernd, stentoral und mit einer beseelten Magie vequickt staunt man offenen Mundes über das Wunder, das der Tenor mit dieser einen Arie immer wieder in die Welt bringt.

 

Oh, ja! Dieser Abend ist großartig, zwar nicht vergleichbar mit dem Dolce Vita Konzert aus dem Jahr 2018. Doch all die Vergleiche braucht es auch gar nicht, denn auch dieser Auftritt des charismatischen Künstlers hat ein absolutes Alleinstellungsmerkmal - und das umso mehr, als das sich der sprachentalentierte Pfiffikus zu einem Berliner Gassenhauer hinreißen lässt, der es rhythmisch so was von in sich hat.

 

Das Publikum ist außer Rand und Band. Immer heftiger wird der Applaus, ebbt kaum ab und fordert einfach noch mehr Zugaben. Mit "Das ist der Zauber von Berlin", verlagert Jonas Kaufmann den Zauber eben mal so auf die Waldbühne. 

 

Und weste wat? Dat hat er so richtig jut jemacht. Dufte war det, lieber Herr Kaufmann, richtig dufte!


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Ausschnitte aus dem Waldbühnenkonzert vom 8. Juli 2023 mit Jonas Kaufmann und Rachel Willis-Sörensen


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