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...UND WARUM MUSIK DAS DEMOKRATISCHE GLEITMITTEL DER GESELLSCHAFT IST

29. SEPTEMBER 2020

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Nicole Hacke

Als meine Nachbarin mir gestern den heißesten Tenor der Welt in den Briefkasten warf, wohlgemerkt in Form eines Opernmagazins und auf Hochglanzpapier gedruckt, kam ich nicht umher, mich neugierig durch die einzelnen Seiten der Lektüre zu forsten, um mir auf Seite 8 das Exklusivinterview mit dem Münchner Tenor Jonas Kaufmann genüsslich zu Gemüte zu führen.

 

Doch soweit kam es erst gar nicht, denn ich blieb bereits nach den ersten zwei Seiten an einem Artikel hängen, der mich aufgrund seiner Aktualität und Brisanz vollends in den Bann zog.


Monate sind ins Land gegangen seit meinem letzten Konzertbesuch in Baden-Baden. Wochen, Tage, Minuten und Sekunden warte ich nun schon darauf, dass es wieder losgeht, dass ich endlich wieder irgendwo auf einem plüschigen Stuhl in einem nostalgisch angestaubten Konzerthaus Platz nehmen darf, um Musik zu hören. - und zwar live!


An machen Tagen zweifle ich mittlerweile sogar daran, ob Konzertbesuche für mich überhaupt noch irgendeine Relevanz haben, ob ich nicht grundsätzlich auch ohne sie auskäme. Wenn diese unzurechnungsfähigen Gedanken meine bereits geistig umnachtete Umlaufbahn durchbrechen, weiß ich, dass ich nichts für meine lethargische Verwirrtheit kann, sondern das eigentliche Problem irgendwo tief in den politischen Wirren der Gesundheitskrise schlummert.

 

Daraus resultierend ist eine im Chaos versumpfende Gesellschaft hervorgegangen, die nicht nur wirtschaftlich und gesundheitlich Not leidet, sondern in erheblichem Maße moralisch, seelisch und soziologisch am Hungertuch nagen muss.

 

©Nicole Hacke

Die Pandemie, die uns im Nu in den Ausnahmezustand katapultiert hat, ist mit riesigen Scheuklappen Keule schwingend durch die Welt gezogen und hat vielen Menschen bereits das Leben gekostet. Doch der virale Infekt hat nicht nur das Gesundheitswesen schwer getroffen, sondern zugleich auch Löcher in das Seelenheil der Menschen gebohrt, ihnen gleichermaßen ein soziales Leben auf Abstand abgerungen und als würde das alles nicht schon reichen, dabei noch den absoluten Verzicht auf kulturellen Genuss eingefordert.


Für wie lange aber noch und zu welchem Preis wird diese Abstinenz auszuhalten sein?


In den Krankenhäusern geben die Ärzte Medizin aus, wenn sie ihren Patienten helfen wollen. Lebenserhaltende Maßnahmen stehen in genau diesen Einrichtungen gerade hoch im Kurs. Leben erhalten, Leben retten und im Idealfall den Menschen ihre Schmerzen dabei nehmen, so lautet in etwa der Eid, den jeder Arzt in spe ablegen muss, bevor er praktizieren darf.


Doch wer heilt am Ende unsere Seelen, wer kümmert sich um unser Glücksempfinden und um das Gemeinschaftsgefühl, das uns in einem Konzertsaal wie eine warme herrliche Sommerbrise überkommt, uns innerlich wärmt, stärkt und unsere Herzen zum Leuchten bringt.


Wenn es nicht so wichtig wäre, warum trauerten die vielen Kulturschaffenden und Musikfreunde um ihr höchstes Gut.


Das Bangen um die Kultur hat seine Berechtigung. Viele Künstler balancieren dieser Tage über ein hauchdünnes Seil ohne doppelten Boden. Wenn sie fallen, sind sie verloren. Die Kritik daran, dass die großen Profiteure die Stars der klassischen Musik seien, ist haltlos, denn gerade jene Publikumslieblinge bilden die Speerspitze der Musikindustrie, die sich im Kampf gegen die Auswirkungen des Pandemiewahnsinns noch behaupten können.

 

©Nicole Hacke

Sie sind es auch, die für die Künstlernothilfe die Trommeln wirbeln, sich für ihre finanziell notleidenden Kollegen starkmachen und ihren Bekanntheitsgrad in der Gesellschaft dafür nutzen, um Gutes zu tun und um die Botschaft der Kulturliebe flächendeckend zu streuen.


Wo wäre die Kunst, wenn es die großen Musiker in unserem Land und in der Welt nicht gäbe. Wer würde sich dann für die Kultur überhaupt noch stark machen und seine Stimme medienwirksam erheben. Wer könnte dann dieser Tage noch so polarisieren, dass sich Kulturliebhaber mehrheitlich dazu hinreißen ließen, Livestreams und Video-on-Demand Angebote zu konsumieren, anstatt im stillen Kämmerlein den Opernhäusern dieser Welt nachzutrauern?


Und sind es nicht auch die öffentlichen Aussagen vieler Künstler, die das kulturelle Rad in Bewegung halten.

 

„Music is not the same fun without the audience“ deklarierte der Münchner Tenor Jonas Kaufmann bei seinem 4. Montagskonzert der BSO im Juni dieses Jahres und setzte damit ein starkes Statement, das viral um die Welt ging, ebenso wie sein Corona Lied, das so lapidar dahin gesungen, letztendlich große Wellen schlug und mit der Furore, die es machte, die Spendenkassen zumindest zum Klingeln brachte.


Man kann es drehen und wenden, wie man will. Je einflussreicher der Wortgeber, umso gewichtiger das Gesagte, umso mehr Einfluss auf die Entscheider in dieser Krise, so möge man zumindest meinen.


Ohne Publikum macht das Musizieren keinen Spaß. Wenn ein Jonas Kaufmann das so empfindet, dann spricht er sicherlich einer großen Mehrheit aus dem Herzen, die es so langsam leid ist, sich mit einem Video-on-Demand Angebot nach dem anderen vertrösten zu lassen.

 

©Nicole Hacke

Denn auch das Publikum ist auf Entzug und will nichts anderes als wieder die Konzerthäuser und Opernsäle dieser Welt füllen. Die Digitalisierung kann lediglich ein Mittel zum Zweck sein, das alternativ genutzt, ein wenig Ruhe in die aufgebrachten Gemüter der musikliebhabenden Nation bringen kann. Und ja: warum auch nicht als alternatives Zusatzangebot für all diejenigen, die nicht auf jedem Konzert der Welt live dabei sein können. Es ist nicht verwerflich, auch mal nur digital einem musikalischen Ereignis beizuwohnen. Doch zur couchfläzenden Gewohnheit, zur banal verkommenden viralen Normalität sollte Musik dennoch niemals werden.


Doch eines muss offensichtlich bleiben: für den direkten, unmittelbaren Musikgenuss ist es unabdingbar, einen Sender und einen Empfänger, ergo das Publikum und den Künstler zugegen zu haben, denn wie sonst kann ein emotionaler Austausch stattfinden, wenn das Zusammenwirken von Klang und Resonanz nicht gewährleistet ist.

 

Das Höchste der Gefühle ist und bleibt doch die Demokratie der Musik, die allen den gleichen Zugang zu tonaler Kunst in allen möglichen Varianten ermöglicht.

 

Musik ist quasi das demokratische Gleitmittel der Gesellschaft, das uns als Individuen den sperrigen, kantigen Alltag versüßt. In der Musik finden wir uns alle wieder, finden wir als soziale Wesen zueinander und erleben uns nicht in klassifizierten Gesellschaftschichten, sondern als eine Einheit, die aus einem Guss gemacht, einer Leidenschaft erliegt, die verbindet, die polarisiert und energetische Freude versprüht. Warum sollte man an diesem System etwas ändern, wenn es glücklich macht und wenn es dazu noch so treffend lautet:

 

"Never change a running system".

 

Oder um es mit den Worten eines Herrn Kaufmann zu präzisieren: "Musik ist der Schlüssel zur menschlichen Seele."

 

Und den dürfen wir auf gar keinen Fall verlieren! Niemals!


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