ariose Ménage-à-trois beim Klassik Open Air in Hannover mit Nicole Car, Etienne DUpuis und Xabier Anduaga

16. Juli 2023

Rubrik Oper

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

Wie jedes Jahr seit nunmehr 10 Jahren zieht es sowohl Hannoveraner als auch auswärtiges Publikum in den märchenhaften Maschpark, der einer filmreifen Kulisse ähnelt und wohl auch deshalb der ideale Veranstaltungsort für das unverwechselbare Klassik Open Air der niedersächsischen Landeshauptstadt ist. 

 

Das Neue Rathaus, dieser Prachtbau, den viele Menschen oftmals mit einem Schloss verwechseln, ist seit 2014 das beeindruckendste, wenn nicht sogar das einzige Open-Air-Opernhaus, das man sich bundesländerübergreifend überhaupt vorstellen kann. Es ist schlicht und ergreifend das Tadsch Mahal Deutschlands und wirkt umso prächtiger und monumentaler, je ruhiger die Wasseroberfläche des Maschteichs ist, indem es sich so atemberaubend spiegelt. 

 

Locker kann es im europäischen Vergleich mit den vielen anderen etablierten Festival-Standorten mithalten, denn nicht nur seine 1 A Lage inmitten des Maschparks, sondern auch das Sängeraufgebot auf seiner imposanten Terrasse, die für wenige auserwählte Gäste eine Bestuhlung direkt vor der Bühne bereithält, lässt sich hören und sehen. 

 

Waren es noch im letzten Jahr die international gefeierten Klassik-Stars Charles Castronovo, Adela Zaharia und Georg Petean, so ist es an diesem bilderbuchhaften Sommerabend das neue Traumpaar der Opernbühne - Nicole Car und Etienne Dupuis - das gesangliche Harmonie in die Weite der sattgrünen Parklandschaft absetzt. 

 

Gemeinsam mit dem Shootingstar der tenoralen Szene, Xabier Anduaga, wird der Abend zu einer "Ménage-à-trois" kaleidoskopischer Vokalerotik.   

 

Eine Arie klingt schöner als die andere, das musikalische Programm verleitet zum Schwelgen, Genießen und Träumen. Jetzt unter einem Baum im Schatten der stechenden Sommerhitze entkommend, kühlt diese Musik so balsamisch, dass einem die Seele wie zwei vergnügt planschende Füße baumelnd im Maschteich hängt. 

 

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

Und was für eine orchestrale Untermalung, die sich noch dazu die NDR-Radiophilharmonie erlaubt. Aus den rhythmisch und tonal flotten Farbtupfern, die präzise platziert im Verlauf des Abends immer größer, schöner und üppiger werden, entsteht ein überbordendes und multifacettiertes Klangwerk, das einer irisierenden Tonpoesie gleichkommt. 

 

Und mittendrin im Klang auf Picknickdecken sitzend, ausreichend eingedeckt mit den köstlichsten Leckereien und den göttlichsten aller Getränke tummeln sich so viele enthusiasmierte Klassik-Fans und Novizen wie noch in keinem der vorangegangenen Jahre: 20.000 Menschen zählt der Maschpark bereits am ersten Vorstellungsabend. Und genau das sind 20.000 Menschen, die den Park vor Begeisterungswut fast schon zum Beben bringen.  

 

Selten erlebt man als Zuschauer so ein kollektives Massenphänomen, bei dem die in den Opernhäusern übliche verhaltene Begeisterung einem nahezu euphorischem Zustand weicht. 

 

Was für ein großes Glück, dass Open Air Veranstaltungen als verlängerter Arm eines jeden Opern- und Konzerthauses so repräsentativ und positiv prägend die klassische Musik in die Welt tragen und sie für die breite Bevölkerung sichtbarer denn je machen, insbesondere, wenn man bedenkt, dass auch der Kultursender ARTE TV einen flächendeckenden Anteil an der Streuung dieses superlativen Ereignisses hält und noch dazu all die Menschen erreicht, die eben auch noch wissen sollten, dass es dieses einmalige Format überhaupt gibt. 

 

Und so reisen wir musikalisch, während die hitzegeschwängerte Luft einem das gewisse Italien-Flair suggeriert, von “Wien nach Rom”. Das zumindest ist das Motto des musikalischen Programms, das im ersten Teil tatsächlich den "mozartesquen" Belcanto auf die Bühne bringt und uns nach der Pause mit leidenschaftlichen Verismo-Arien der italienischen Komponisten Verdi, Leoncavallo und Puccini verwöhnt. 

 

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

Flockig heiter, beschwingt und voller Esprit schaukeln sich die drei Solisten miteinander in die schillerndsten aller Tonalhöhen und zeigen, mit welch genialer Vokalakrobatik man sein Publikum bezirzt und hörgenusstechnisch zufriedenstellt. Doch zuerst plätschert der Mozart erquickend hell, strahlend und lupenrein in die voranschreitende Dämmerung. 

 

Während ein paar Wolken vor rührseliger Freude kurzweilig ein paar Regentropfen abquetschen und auch die eigenen Augen nah am Wasser gebaut sich einer wangenbenetzten Tränenflut hingeben, steigert sich der rauschintensive Musikabend in Unermesslichkeiten, die einfach zu schön sind, um wahrhaft wahr zu sein. 

 

Gleich mit dem Prolog aus Leoncavallos Verismo-Oper Pagliacci zeigt der kanadische Bariton Etienne Dupuis, was er so alles draufhat. Und ja, der Mann kann was! Eichenfassrund, vollmundig und mit einer ozeanischen Klangtiefe, die einem das Herz erwärmt, erlebt der Zuhörer emotional gesättigten Schöngesang, der seinesgleichen an diesem besonderen Abend suchen muss. 

 

Was für eine voluminöse, intensive und saturierte Stimme, die nicht nur technisch raffiniert, pinpoint phrasiert und samten timbriert ist, sondern mit sehr viel Charakter versehen, auch im schauspielerischen Ausdruck emotionale Temperaturen auf den Punkt genau produzieren kann. 

 

Etienne Dupuis ist darin absolut meisterlich, ebenso wie sein junger Gesangskollege Xabier Anduaga, der sich an den großen Bühnen der Welt ebenfalls einen Namen gemacht hat. 

 

Wie berauschend und irisierend seine Interpretation der Arie “Una furtiva lagrima” aus Donizettis Oper “L´esisir d´amore” erklingt. Dieser Tenor hat Klasse, Temperament und eine Ausdrucksstärke, die noch dazu gepaart mit einem unendlich wirkenden Legato-Strom magnetische Anziehungskräfte mobilisiert.    

 

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

Herrliche Phrasierungen, formschöne Registerverblendungen und ein eleganter Klangschmelz, der hell schimmernd, kristallklar, leuchtend und mit stentoraler Kraft vermengt, eine supergrandiose Strahlkraft evoziert. 

 

Nie auch nur eine Sekunde zu kurz kommen bei all dem Schöngesang die emotionale Versatilität. Und gerade das zeichnet eben die A-Klasse unter den Opernsängern aus. Selbst die weniger affinen Konzertbesucher, von denen sich ein Pärchen auf einer Picknickdecke im Park wähnte und nun direkt in der ersten Reihe vor der Bühne Platz nimmt, wirkt noch vor Beginn des Konzertes etwas verloren. 

 

Nicht so recht wissend, was sie hier tun, zumal die im Programmheft angekündigten Arien ihnen absolut nichts sagen, weicht schon nach wenigen Minuten die Berührungsangst vor dem unbekannten Musikgenre und macht einem entspannten, glückseligen Wohlgefühl Raum. 

 

Die Musik erhellt die Gemüter und zaubert doch glatt ein breites und fast schon beseeltes Lächeln auf die Lippen der Klassik-Novizen. 

 

Und ist man einmal mit dem ariosen Virus infiziert, ist jegliche Heilung schier unmöglich. 

 

Ganz bestimmt ist sich auch die australische Sopranistin Nicole Car dieser Wirkung bewusst. Betörend und mit den irisierenden Klangfarben bestückt mäandert die Stimme der eleganten Persönlichkeit mit absoluter Leichtigkeit, schwerelos und frei in die exponiertesten Höhen und verführt das Publikum mit einer selbstverständlichen Nonchalance, die natürlich und sehr authentisch wirkt. 

 

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

©Helge Krückeberg / Klassik Open Air Hannover 2023

Was bei Mozart noch sehr duftig und zum Teil ein weniger gesättigt wirkt, gewinnt mit dem italienischen Fach an vokaler Schärfe, Kontur und Strahlkraft. 

 

Und auf einmal klingt Nicole Cars Stimme so völlig anders: Ausgewogen rund und warmgolden in der Mittellage, weich im Abgang und in den Höhen von kristallklarer Brillanz, jung, frisch und sehr nuanciert. 

 

Die Arie der Floria Tosca aus Puccinis gleichnamigen Meisterwerk passt unglaublich gut zu ihrer weichschimmernden Stimme, die immer wieder zwischen ihrer vollen Mittellage und ihren schlanken Höhen changiert. Was für eine farbenreiche Stimme und wie gut ihrem Vokalinstrument doch das Opernrepertoire Verdis und Puccinis steht. 

 

Nachdem nun die 12 musikalischen Hauptgänge verklungen sind, von denen einer abwechslungsreicher und genussintensiver als der andere war, werden dem begeisterungsstürmischen Publikum noch drei “Zugaben-Desserts” serviert, und das ganz vorzüglich, so, wie es sich für die Solisten und den gebürtigen Hannoveraner Cornelius Meister gehört, der mit seinem formidablen Dirigat ganze Arbeit leistet. 

 

Eleganz gepaart mit agogischer Raffinesse, differenziert verwebt zu einer dichten orchestralen Einheit: Dieser Klangteppich trägt seine Solisten wahrlich auf Händen. 

 

Das Klassik Open Air in Hannover – wie immer unvergleichbar, unvergesslich und einfach unverzichtbar! 


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