aida mit jonas kaufmann an der Opera Bastille de paris

EINE SOZIALGESELLSCHAFTLICHES DRAMA MIT EMOTIONALEM TIEFGANG

22. Februar 2021

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Vincent Pontet / Opera Nacional de Paris

Verdis Oper Aida, die einst in Kairo uraufgeführt wurde, erlebt an der Opera Bastille in Paris just im Corona Jahr 2021 ein extrem polarisierendes Makeover. Lotte de Beer, die für die Inszenierung des epischen Liebesdramas verantwortlich zeichnet, krempelt die ansonsten eher stereotypisierte Interpretation des italienischen Meisterwerks auf zeitkonform und sozialethisch korrekt um.

 

So kommen in dieser abstrahierten Aufführung weder Elefanten, noch Pharaonen oder gar Pyramiden zum Einsatz, sondern vielmehr Schausteller in opulenten Belle-Époque-Kleidern, die an den Kolonialstil ehemals herrschender westlicher Mächte erinnern.

 

Changierend zwischen glanzvoller Kostümpracht, heroischen Szenenbildern und idealisierendem Herrschertum durchbrechen lebensgroße Gliederpuppen mit afrikanischen Gesichtsmerkmalen das trügerische Idyll der abgehobenen Eliten. Sie sind Sklaven, marginalisiert und gefangen in einem fremden Land, unterdrückt von einem totalitären System.

 

©Vincent Pontet / Opera Nacional de Paris

Marionetten eben, die sich nicht selbst aus ihrem starren Körper befreien können, die sich nur schemenhaft von ihren Puppenspielern dirigieren lassen. Bedauernswerte Kreaturen, die als unbeseelte Wesen dennoch zerbrechlich, zart und empfindsam zugleich wirken.

 

Mit beeindruckendem Scharfsinn sorgt Lotte de Beer durch diese andersartige Puppeninszenierung für einen neutralen Handlungsrahmen, der nur wenig Raum für Zeitkritik und sozialgesellschaftliches Konfliktpotenzial lässt.

 

So erübrigt sich bei dieser Produktion gleichermaßen auch das Blackfacing der äthiopischen Gefangenen, was für eine sehr saubere Lösung spricht, will man Rassendiskriminierung und interkulturelle Reibungspunkte elegant umgehen.

 

Störend an dieser ausgeklügelten Idee erscheint lediglich die technische Umsetzung, für die mehrere Menschenhände für die Bedienung der Marionetten erforderlich sind. Eine ganze Traube ist sogar von Nöten, um den äthiopischen Sklaven Aida und Amonasro Leben einzuhauchen, was auf Kosten der eigentlichen Interpreten geht, die als Alterego im Hintergrund schauspielerisch nahezu in der Versenkung verschwinden.

 

©Vincent Pontet / Opera Nacional de Paris

Interessant hingegen, obgleich provokant gestaltet sich der 2. Akt. Mit dem Erklingen des Triumphmarsches werden gleich mehrere Szenen aus historischen Gemälden nachgestellt. So erlebt man einerseits Napoleon auf dem Pferd, andererseits Columbus bei seiner Eroberung Amerikas. Und auch die Französische Revolution mit Ihrer Libertine lässt, die französische Flagge hissend,  triumphal grüßen.

 

Was uns das wohl sagen soll?

 

Vielleicht, wie in allen Epochen der Zeitgeschichte Krieg, Macht und Herrschertum idealisiert und für die Ewigkeit auf glorifizierende Weise in Szene gesetzt wurden. 

 

Sogar ein Jonas Kaufmann, der im fliegenden Wechsel an diese unterhaltsame, ins lächerlich gezogene Darstellung anknüpft und dabei mimisch flachsend in die gleiche Kerbe haut, probiert selbstverliebt mal die eine, mal die andere Siegespose aus.

 

Schließlich und endlich ist er der Feldherr Radames, ein Gewinnertyp, ein Held, der mit der richtigen Kriegswaffe bestückt, unbedingt eine gute Figur abgeben sollte.

 

©Vincent Pontet / Opera Nacional de Paris

Und so entscheidet er sich am Ende für das zum Siege erhobene Schwert. Ob einem bei Kaufmanns erstarrter selbstdarstellerischer Haltung eher zum Lachen oder Weinen zumute ist, bleibt dem individuellen Interpretationsvermögen überlassen.

 

Strahlend und selbstbewusst sieht jedenfalls anders aus. Und so lässt sich vielleicht nur erahnen, dass der in Radames brodelnde Interessenkonflikt zwischen seiner Liebe zu Aida und dem kriegerischen Machtstreben ihn über kurz oder lang am langen Arm verhungern lassen wird, obgleich im Krieg und der Liebe normalerweise alles, wirklich alles erlaubt ist.

 

Tieftraurig nimmt das Schicksal seinen Lauf. So finden Aida und Radames im Leben nicht zusammen. Nur im Tod vereint, hoffen beide auf das ewige Glück, das ihnen im Leben verwehrt wurde.

 

©Vincent Pontet / Opera Nacional de Paris

©Vincent Pontet / Opera Nacional de Paris

©Vincent Pontet / Opera Nacional de Paris

©Vincent Pontet / Opera Nacional de Paris

Musikalisch exquisit besetzt, strahlen die Hauptdarsteller Sondra Radvanovsky (Aida), Ksenia Dudnikova (Amneris), Jonas Kaufmann (Radames) und Ludovic Tézier (Amonasro) gesanglich miteinander nur so um die Wette.

 

Ein ausgeruhter Jonas Kaufmann, der stimmlich zur Hochform aufläuft, beweist einmal mehr, dass er der unangefochtene Tenorprinz von Gnaden oder vielmehr der Tenorkönig unter den Tenorprinzen ist.

 

Entspannt schraubt er sich bei seiner großen Arie im ersten Akt in ein falsettierendes Diminuendo, dass von so brillanter Strahlkraft durchdrungen ist, dass man den Schlusston förmlich in sphärische Gefilde hinfortschweben meint.

 

Insgesamt leichter, kaum angestrengt und auf den Punkt überzeugen Technik und emotionale Präsenz. Kaufmanns Stimme wirkt erfrischend verjüngt und büßt doch nichts von der samtig baritonalen Einfärbung ein, die satt und voll erklingend zu seinem tonalen Markenzeichen zählt.

 

©Vincent Pontet / Opera Nacional de Paris

©Vincent Pontet / Opera Nacional de Paris

Überraschend auch die gesangliche Darbietung der Sondra Radvanovsky, die als Aida schauspielerisch kaum zum Zug kommt, sich dafür aber stimmlich umso mehr in den Vordergrund spielt und mit emotional durchfärbter Tonalpräsenz brilliert.

 

Ganz besonders im finalen Akt kommt ihre weiche, zarte Saite vokal voll und ganz zum Ausdruck und umfängt den Zuhörer mit einer echten, tief empfundenen Leidenschaft.

 

Tonal raumgreifend erlebt man die Mezzosopranistin Ksenia Dudnikova, die mit ihrer sattsamtenen Stimme aus der vollmundigen Mittellage leicht wie eine Feder in kristallklare Höhen entschwebt. Dabei gelingen ihr auch hauchzarte Piani, die von perlfeiner Brillanz durchdrungen sind.

 

Und auch Ludovic Tézier besticht mit seinem unverwechselbar gepflegten Bassbariton, der ihn technisch sicher durch die dreiaktige Oper trägt.

 

©Vincent Pontet / Opera Nacional de Paris

Orchestral vom Dirigenten Michele Mariotti untermalt, gestaltet sich die dramatische Oper zu einem formvollendeten Dreiklang aus instrumentaler Farbdichte, gesanglicher Brillanz und einer polarisierenden Inszenierung, die die Welt unbedingt gesehen haben muss.


©Trailer Opera Bastille de Paris / über youtube zur Verfügung gestellt

Eine kleine Geschmacksprobe der Aida von Giuseppe Verdi bietet der Trailer der Opera Bastille de Paris aus der Inszenierung vom Februar 2021.


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