Anna Netrebko als heißblütige Manon Lescaut in Monte Carlo

29. April 2022

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

Die Operndiva ist zurück! Mit vier Aufführungen an der Oper in Monte Carlo debütiert Anna Netrebko erstmalig am monegassischen Haus als heißblütige Manon Lescaut.

 

Nachdem sich viele Opernhäuser und Konzertveranstalter in den letzten Wochen von Netrebko distanziert hatten, ein Termin nach dem anderen abgesagt wurde und der Weltstar auch an der Met in New York aufgrund ihrer politischen Haltung nicht gerne gesehen war, springt Anna Netrebko nun viel früher als avisiert für die erkrankte Sopranistin Maria Agresta in die Bresche und nimmt mit ihrer Karriere wieder Fahrt auf.

 

Zusammen mit ihrem Ehemann Yusif Eyvazov, der als Renato de Grieux den tenoralen Hauptpart in Puccinis Meisterwerk übernimmt, erlebt man das untrennbare Doppelpack in einer hinreißenden Inszenierung des Opernregisseurs Guy Montavon.

 

In einem quirligen Straßencafé irgendwo in Frankreich nimmt die Amour fou des ungleichen Liebespaares ihren schicksalhaften Lauf.

 

Als züchtige und brave Novizin zeigt sich Anna Netrebko gleich zu Beginn des 1. Aktes in einer extrem devoten und maßvoll biederen Rolle.

 

Zwei streng geflochtene Zöpfe baumeln neckisch von ihrer linken und rechten Schulter herab. Unschuldig, unbefleckt und nahezu naiv wirkt die hier in Szene gesetzte Manon, wie man sie in vielen moderne Interpretationen so noch nie charakterisiert hat.

 

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

Fröhlich, unbeschwert und dabei nichts Böses oder gar Unsittliches ahnend, erwischt man die unter der züchtigen Novizinnentracht quirlig wilde Frau beim ausgelassenen Eisessen mit Schwestern ihres Ordens.

 

Genau an diesem Ort begegnet Manon auch zum ersten Mal dem Mann, der ihr Schicksal für immer besiegeln wird: Renato de Grieux.

 

Der als Schwerenöter stadtbekannte junge Mann verliebt sich auf der Stelle in die schüchterne Schönheit, die vom Leben noch nicht viel gesehen hat und außer Anstand, Zucht und Ordnung nicht viel mehr kennt als die klösterliche Strenge, aus der sich Manon erst durch die Heirat mit einem einflussreichen, obgleich zwielichtig erscheinenden Geschäftsmann befreien kann.

 

So gestaltet Montavon die szenische Umsetzung mit einem glatten Bruch direkt im 2. Akt. Aus der bescheiden wirkenden jungen Frau wird plötzlich eine Diva mit Allüren und einem extrem ausgeprägten Hang zu luxuriösen Gütern.

 

Gierig nach Konsum, Reichtum, Wohlstand und einem unbeschwerten Leben ohne lästige bürgerliche Pflichten, genießt die verwöhnte Manon ihre unaufgeregt dahinplätschernden Tage mit Maniküren, Pediküren und groß angelegten gesellschaftswirksamen Inszenierungen.

 

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

Vor ihrem reichen Göttergatten stellt sie sich der feinen Gesellschaft als lebendiges Kunstobjekt zur götzenhaften Schau, während ihr vor Langeweile übersättigter Ehemann einen Büstenabdruck von seiner Ehefrau nimmt und ihn in "Love-Art-Manier" mit Fingerfarbe bekleckert.

 

Der Lächerlichkeit ausgesetzt empfindet Manon Ekel, Verachtung und Selbstentwertung. Just in diesen bezeichnenden Moment platzt de Grieux in die sich abwendende Menge herein und erinnert Manon an die schöne Zeit, die beide in liebender Zuneigung miteinander verbracht haben.

 

Manon will nun aus ihrem Goldkäfig ausbrechen, kann sich aber nur zögerlich entscheiden und wird je zu einem endgültigen Entschluss gezwungen, als sie und Grieux von Géronte, ihrem Gatten, in flagranti ertappt werden.

 

Nun ist das Leben in Saus und Braus für Manon vorbei - für immer. Verurteilt und verbannt fristet Manon ein jämmerliches Dasein in einem kerkerhaften Raum, der abgedunkelt nur von einer matt leuchtenden Glühbirne sparsam erhellt wird.

 

Ein verdrecktes Waschbecken und am Boden zerstreute Papierfetzen, die wie Unrat auf den Betrachter wirken, symbolisieren die Armut und den Verfall der einst so gepflegten Schönheit.

 

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

Während de Grieux in einem hell erleuchteten, aufgeräumten separaten Nebenzimmer nur durch eine Glasscheibe von Manon getrennt scheint, so zeigt die brutale Bühnenwirklichkeit ganz offensichtlich, dass die Liebenden doch mehr als Welten voneinander getrennt sind.

 

Immer wieder versucht de Grieux durch das Glas mit Manon in Kontakt zu treten, sie zu berühren, sie zu erfühlen. Vergeblich.

 

Guy Montavon hat in seiner Interpretation der Manon Lescaut mit messerscharfen Kontrasten gearbeitet. Vom Aufstieg der Manon bis hin zum bitteren Ende, das so leidend und qualvoll in der Finsternis abrupt verglüht.

 

Nur de Grieux rettet sich nach dem Ableben seiner Geliebten ins Licht und damit in die Freiheit und in ein neues, hoffentlich versöhnlicheres Leben.

 

Was für ein dramaturgischer Höhepunkt. Was für eine besondere Inszenierung, die emotional aufgeladen das ganze Ausmaß an Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Verlust packend und ergreifend an die musikdramaturgische Oberfläche befördert.

 

Montavon hat ganze szenische Arbeit mit dieser Produktion geleistet.

 

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

Hingegen weniger perfekt fügen sich die beiden Hauptprotagonisten gesanglich in die szenische Gestaltung, obgleich das schauspielerische Vermögen von Netrebko und Eyvazov als tadellos zu bewerten ist.

 

Vielmehr stört sich mein musikalisches Gehör an der sängerischen Leistung, die Eyvazov als de Grieux an den Tag legt. Unausgewogen, teils unkontrolliert wabert die metallisch durchlässige Stimme oftmals kraftlos in die exponierten Tonalhöhen, verbiegt sich dort krampfhaft und bricht teils an höhepunktreifen Schlüsselstellen auseinander.

 

Aufgrund mangelnder Technik fehlt es an perfektioniert kontrollierter Ekstase. Auch wenn die menschliche Singstimme erst durch gefühlsbetonte Ausbrüche lebendig, authentisch und unverwechselbar wird, so muten die oftmals brutal wirkenden vokalen Forcierungen Eyvazovs gequält und leider auch herausgequetscht an.

 

Kaum gefällig und deutlich disbalanciert gestalten sich dadurch auch die gemeinsamen Duette der beiden Vokalkünstler. Die jeweiligen Stimmfarben sind per se ein schlechtes Match, erscheinen disparat und unausgewogen. Harmonischer Schöngesang aus einem glatt fließenden, angenehmen Guss klingt auf jeden Fall komplett anders.

 

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

©Alain Hanel / Oper Monte Carlo

Während Anna Netrebko noch im 1. Akt gesanglich blass, hintergründig und zurückhaltend auftritt, so schält sich ihr gewaltiges Stimmpotenzial deutlich konturierter im 2. Akt heraus und entfaltet sich im 3. Akt zu voll ausgereifter Vokalblüte.

 

Ambitusreich, ausgewogen dunkelsamtig in den tiefen Registern und von betörend kristallklarem Timbre in den exponierten Tonalhöhen, singt sich Anna Netrebko in einen facettenreichen Rausch, so mühelos und mit einer strahlkräftigen Leichtigkeit, die man an ihr so liebt und die man von ihr einfach auch erwartet.

 

Nur marginal erscheint der Eindruck, dass Netrebko stellenweise von ihrem eigenen Gesang gelangweilt sein könnte. Mehr leidenschaftliche Hingabe und etwas mehr Hysterie an den bekannten ausdrucksstarken Stellen wären vorteilhaft und absolut wünschenswert gewesen.

 

Doch beim finalen Höhepunkt in der Schlussarie des 3. Aktes merkt höchstwahrscheinlich auch der Letzte, dass große Emotionen in gesanglich ekstatischen Höhenflügen das letzte aufglimmende Licht der sterbenden Manon erhellen. Zum Niederknien schön muss man wohl sagen. Netrebko hat jedenfalls in all den vergangenen Wochen noch nichts von ihrer eleganten Gesangsakrobatik verlernt.

 

Der Bass Alessandro Spina, der in Karl Lagerfeld Montur den selbstsüchtigen Geschäftsmann Géronte gibt, sticht weder gesanglich noch schauspielerisch aus der übersichtlichen Masse der Sängerdarsteller heraus. Nur Claudio Segura als Manons Bruder Lescaut überragt mit seinem italienischen Schöngesang als vollmundiger Bariton das vokalathletische Treiben.

 

Orchestral kann der Dirigent Pinchas Steinberg nicht zu hundert Prozent überzeugen. Einige Einsätze wirken dahingeholpert, die partiell galoppierende Rythmik etwas zu vorpreschend, zu forsch und überdreht dynamisch. Mehr feinfühlige Eleganz hätten dem Dirigat gutgetan und dem orchestralen Klangteppich eine zartschimmernd tonale Noblesse verliehen.

 

Was nicht ist, kann aber immer noch werden. Bei der finalen Vorstellung klappt es ganz bestimmt.


©Brescia e Amisano / Teatro alla Scala 2021

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