Interaktion und unvorhergesehenes bei der Zauberflöte an der Staatsoper Hamburg

16. Dezember 2022

Rubrik Oper

©Arno Declair

Das Mozarts lebensweise Oper "Die Zauberflöte" nicht nur eine handlungsintensive Prüfung für die Protagonisten auf der Bühne darstellt, wird an diesem aktionsreichen und zuweilen äußerst interaktiven Abend ganz hautnah auch für das Publikum der Hamburger Staatsoper erfahrbar.

 

Während man gleich beim Auftakt zum ersten Akt nichts Böses ahnend, konzentriert der Ouvertüre lauscht, gellt plötzlich ein leiser Schrei, dann ein beängstigendes Stöhnen durch die ersten Reihen des Parketts. Was war denn das? Gehört das etwa zum Schauspiel dazu?

 

Noch scheint nichts Aufregendes passiert zu sein. Doch schon Sekunden später wird es unruhig ganz vorne in der ersten Reihe. Eine Frau springt von ihrem Sitz auf, schießt wie vom Blitz geölt in Richtung Ausgang. Eine Tür wird geöffnet und knallt sogleich ins Schloss. Dann steht noch jemand auf.

 

Ein Raunen geht durch den Saal. Doch das lässt den Dirigenten scheinbar völlig kalt. Unbekümmert geht er weiter seinem Dirigat nach und lässt sich von nichts und niemanden aus der Ruhe bringen.

 

Als nur wenige Minuten später zwei Sanitäter mit einer Trage das Auditorium betreten, wird offensichtlich, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. Vielleicht ein Herzinfarkt. Mir wird ganz anders. Und das so kurz vor Weihnachten. Und noch immer spielen die Instrumentalisten im Orchester ohne Unterbrechung weiter.

 

©Arno Declair

Zum Glück geht alles schnell. Wie gut doch die Hamburger Staatsoper auf Notfälle dieser Art vorbereitet ist. Und wie flott die Sanitäter zur Stelle sind. Höchst professionell, denke ich und wundere mich gleichzeitig, warum der alte Mann auf der Trage über den linken Seitenflügel der Bühne - allen Blicken ausgesetzt - abtransportiert wird.

 

Diesen Gedanken gerade noch zu Ende gesponnen, fängt der vermeintlich Herzkranke wie neugeboren, so als wäre gar nichts passiert, laut tönend an zu singen. Bis mein Gehirn endlich erfasst hat, was sich da gerade vor meinen Augen auf der Bühne abspielt, ist der Überraschungseffekt auch fast schon wieder dahin.

 

Reingelegt! Das Ganze war ein makabrer, schwarzhumoriger Spaß. Und das auf Kosten des Publikums. Mir entweicht dennoch ein erleichtertes Lachen. Hinter mir lacht es laut und noch viel sonorer. Na, das kann ja heiter werden.

 

Ich glaube, die Zauberflöte hat mich, bevor es überhaupt richtig losgegangen ist, schon ganz und gar in ihren Bann gezogen, denn mein Adrenalinspiegel scheint bis weit über den Anschlag hinaus in unermessliche Höhen geschnellt zu sein.

 

So hellwach wie noch nie, warte ich gespannt wie ein Flitzebogen auf die nächste effekthaschende Täuschung.

 

©Arno Declair

©Arno Declair

Will man die volle Aufmerksamkeit eines Publikums erlangen, dann macht man es wahrscheinlich genau so, wie es die Regisseurin Jette Steckel in dieser äußerst bewegten Inszenierung getan hat. Ultramodern mit digital effektvollen Akzenten versehen und einer schauspielernden Sängertruppe, die viel Bewegung und handlungsintensive Momente auf die Bühne bringt, wirkt Mozarts Zauberflöte erfrischend modern und gegenwärtig.

 

Mit nur wenigen Requisiten und lediglich einem Bühnenvorhang, der aus unzähligen Lichterketten besteht, werden tolle Lichteffekte herbeigezaubert und ebenso effektvolle Lichtprojektionen auf die dahinterliegende Leinwand geworfen.

 

Mal schwebt die Protagonistin Pamina auf einer digitalen Hand bis knapp unter die Bühnendecke, mal hüpft sie als reine Lichtgestalt rein projektiv flimmernd wie ein Glühwürmchen über die Bühne. Tatsächlich sind sehr viel Licht und sehr viel Projektionsfläche bei dieser ansonsten wenig aufwendigen Produktion mit im Spiel.

 

Auch die Königin der Nacht erscheint im ersten Akt nicht höchstpersönlich auf der Bildfläche, sondern ebenfalls als digitales Abbild im Lichtzauber erstrahlend großflächig auf der Leinwand.

 

Neutralisiert und erheiternd aufgelockert wird das ganze weihnachtlich anmutende Glühlampenspektakel zudem von einer lockeren Gesangseinlage, bei der das Publikum zum Mitsingen animiert wird. Und auch die meisterliche Spielfreude eines überaus komödiantischen Papagenos lässt keine betretene Langeweile aufkommen. Dieser sucht immer wieder den Dialog mit seinem Publikum und bespaßt scherzhaft flachsend mit spritzigem Witz sein enthusiasmiertes Publikum.

 

Auf seine Papagena trifft er in der ersten Reihe des Parketts, die allerdings nach der ersten Kussattacke flugs das Weite außerhalb des Auditoriums sucht.

 

©Arno Declair

©Arno Declair

Tragikomisch lässt einen Papagenos Versuch, sich das Leben zu nehmen, wahrlich nicht kalt. Man ist ständig amüsiert, wenn der komische Vogel seinem Liebeskummer Luft macht und das noch dazu auf das gesanglich und darstellerisch Feinste.

 

Vicenzo Neri ist ein Volltreffer und scheint sich in seiner Rolle absolut zu gefallen.

 

Gleichermaßen überzeugend ist der Tenor Oleksiy Palchykov, der als Tamino auf der verzweifelten Suche nach seiner Pamina sein ganzes Leben über genau zwei abenteuerliche Aufzüge hinweg verschwendet. So viel Ausdauer muss man erst mal an den Tag legen, um einer Liebe so viel Raum zuzugestehen.

 

Mit tenoral schimmerndem Glanz strahlt die Stimme des Sängers ausdauernd und kraftvoll leuchtend bis zum letzten Ton.

 

Besonders herausragend ist die Interpretation der Pamina, die von Nikola Hillebrand zum Besten gegeben wird. Farbenreiche Koloraturen, eine ausbalancierte Stimme, die insbesondere in der Mittellage warmgolden strömt und mit einem ebenso brillantfeinen Schliff in den exponierten Höhen gesegnet ist.

 

Es ist ein absoluter Hörgenuss, wenn die junge Opernsängerin in schwindelerregender Höhe ihr ausgesprochen biegsames Stimmmaterial souverän zu voller Vokalpracht aufdreht. Mit Leichtigkeit fliegen die Töne nur so dahin, duftig und von einer unangestrengten Eleganz. Und das noch dazu mit emotionalem Tiefgang.

 

Auch das Schauspielern scheint neben der gesanglichen Leistung Nikola Hillebrands zweite Natur zu sein. Auf der Bühne blüht die Sängerin richtig auf und fühlt sich dort allen Anschein nach pudelwohl.

 

©Arno Declair

Als Königin der Nacht erlebt man die Sopranistin Julia Sitkovetsky in einer kleinen Rolle, die es aber arios in sich hat. Alles andere als leicht singt sich die koloraturintensive Arie, die höchst ambitusreich gesangliche Virtuosität erforderlich macht.

 

Auf solider Basis technisch gut gesungen, angenehm hörbar, aber ohne den atemberaubenden Effekt, der einem anhaften bleibt, wenn die Königin der Nacht ihr Publikum über alle Maßen mit ihrer gesanglichen Darbietung den Atem raubt, hat es Julia Sitkovetsky dennoch geschafft, die Rolle überzeugend in das Auditorium zu transportieren.

 

Volker Krafft hat die musikalischen Zügel gut und fest im Griff, den gesamten Abend hindurch. Sein Dirigat lässt zwar wenig Spielraum für glanzvolle Effekte. Davon gibt es es auf der Bühne aber eh schon genug.

 

Die Zauberflöte an der Staatsoper Hamburg überzeugt und bleibt aufgrund der Vielzahl an Interaktionen mit dem Publikum und ihrer unvorhersehbaren Überraschungseffekte ein digitales Wunderwerk, das Oper zu einer erlebnisreichen und unverwechselbaren Erfahrung macht. Chapeau!

 


©Staatsoper Hamburg

Einblicke in die Inszenierung, das Werk Wolfgang Amadeus Mozarts und seiner weltbekannten Oper "Die Zauberflöte" gewährt dieser Kurzfilm der Staatsoper Hamburg in einer digital angereicherten Produktion der Regisseurin Jette Steckel.


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