Lahmer Wildwest Thriller: la Fanciulla del West mit JOnas Kaufmann und Malin Byström

28. Oktober 2022

Rubrik Oper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Am Ende sind sie beide frei! Selten gibt es eine Oper mit gutem Ausgang. Meistens stirbt entweder der Tenor oder die Sopranistin. Im Fall der Tosca sterben sie sogar alle drei: Tenor, Bariton und Sopran.

 

Nur in der Fanciulla del West, Puccinis meisterhaft atmosphärischer Goldgräberoper mit wilden Cowboys, fiesen Sheriffs und einer ebenso widerborstigen wie ungestüm liebreizenden Räuberbraut schmachten wir dahin, wenn sich der gefürchtete Bandenchef Dick Johnson und seine goldige Minnie am Ende in den Armen liegen, glücklich und verliebt. Und froh, dass das böse Schicksal ihrer Liebe keinen Strich durch die Rechnung gemacht hat.

 

Doch Glückseligkeit und Liebestaumel sehen irgendwie anders aus. So tief beseelt und vor überschwappend romantischer Gefühle vor mich hin seufzend gehe ich an diesem letzten Abend der fünften Vorstellung einer Fanciulla-Serie sicherlich nicht nach Hause.

 

Der Westernstreifen ist lahm, der Pep fehlt, die Inszenierung schöpft nicht zu 100 Prozent aus, was dieses temporeiche und aktionsgeladene Musiktheater unter idealszenischen Umständen zu bieten hat.

 

Schneller als Lucky Lukes Schatten schießen kann? Nicht in diesem Fall. Außer einem Kohlebergwerk, einer viel zu dunklen Bühnenkulisse und einer ausgezehrten Arbeiterschaft von schwer schuftenden Männern, die abgekämpft und wenig dynamisch lethargisch die Kohlen aus dem Feuer holen, scheint auch der Hauptakteur des Abends nicht wirklich vom Goldfieber befallen zu sein.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Die Handlung schleppt sich zähflüssig, aktionsarm und mit enttäuschend schauspielerisch defizitärer Ausgestaltung vom 1. bis zum 3. Akt dahin.

 

Noch vor wenigen Jahren an der Met in New York in einer packenden testosteronstarken Cowboynummer mit scharfen Knarren, echten Pferden, muskelbepackten Kerlen und einem Desperado, von dem sich die Damenwelt auf den Kinositzen gerne hätte verführen lassen wollen, ist an diesem Abend in der Bayerischen Staatsoper wirklich gar nicht viel zu sehen, geschweige denn zu erleben.

 

Am weiten Horizont der Prärie untergetaucht: Das könnte man meinen, wenn man Jonas Kaufmann viel zu steif, unbeholfen und fast schon befangen neben seiner Gesangspartnerin Malin Byström agieren sieht. Es beschleicht einen sogar das untrügliche Gefühl, dass zwischen den beiden Protagonisten die Chemie irgendwie nicht so ganz stimmt.

 

Das Knistern fehlt, die erotischen Andeutungen in den Liebesszenen wirken nüchtern und der Form halber einfach nur akkurat schauspielernd heruntergeleiert. Nichts fließt so richtig! Und der coole, unwiderstehlich gefährliche Macho mit dem gefühlvoll weichen Kern. Ist der etwa an der Met verlustig gegangen?

 

Nichts wirkt überzeugend echt. Nicht eine Berührung berührt. Schade, denn die gesanglichen Qualitäten überzeugen durchaus.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Auch wenn der vokale Feinschliff aufgrund des ausgebremsten Schauspiels tatsächlich auch ein wenig leidet, so schafft es Jonas Kaufmann immerhin dem raubeinigen Banditen Dick Johnson stimmlich facettenreiche Attribute zu verpassen.

 

Reif, gaumig und von einer warmgoldenen Saturation durchwirkt, klingt der Tenor zum Dahinschmelzen erotisch. Seine Arie "Ch’ella mi creda libero e lontano” bildet dabei das heroische Sahnestück des Abends. Wie sagt man noch? Je später der Abend, desto schöner die Stimme?

 

In diesem Fall überrascht Herr Kaufmann ungemein - und zwar mit einer stimmlichen Ausdrucksstärke, die Stahl zum Schmelzen bringt. Stentoral und mit einem baritonalen Schmelz versetzt, der vollmundig, voluminös und so dermaßen sonor auf der Zunge zergeht, dass man den Tenor im Sänger nicht mehr erkennt, erlebt man Jonas Kaufmann eindeutig von einer aufregend neuen Seite.

 

Viel reifer mäandert die Stimme des Sängerinterpreten raumfüllend durch den Orbit des Auditoriums und durchdringt die tiefer liegenden Tonalschichten nonchalant. Tenor war scheinbar gestern, heute dominiert der erwachsene, reife Held im Gehversuch auf baritonal timbrierten Terrain.

 

Und das steht ihm gut zu Gesicht. Schließlich ist der Münchner Tenor kein Jüngling an der Quelle mehr, sondern ein erfahrener MILM (Midlife Male) in der Blühte seiner eben auch stimmlich vorangeschrittenen Jahre.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

An seiner Seite schlägt sich die Heroine Minnie alias Malin Byström mehr schlecht als recht durch ihre herausfordernd charakterschwere Rolle.

 

Als Frau unter Wüstlingen, Schurken und einer Horde testosterongesteuerter "Manpower" kann die schwedisch kühle Blondine nicht so ganz das Rasseweib und noch weniger die geballte Frauenpower unter Beweis stellen.

 

Lyrisch, zart und mimosenhaft kann sie dem durchsetzungsstarken Vollweib der Prärie nicht wirklich das Wasser reichen, neben dem hitzköpfigen Mannsvolk geht sie sogar unter. Bemüht wirkt ihre schauspielerische Interpretation der Minnie. Doch knapp vorbei ist eben auch daneben!

 

Byström will und will es einfach nicht gelingen, sich in die Dramatik der Frauenrolle hineinzufinden, denn es fehlt die überzeugende Leidenschaft, die Hingabe für diese doch sehr eigensinnige, rauschalige Frauenfigur mit dem butterweichen Herzen.

 

Und so kommt es, wie es nun mal kommen muss: Die Dramatik leidet unter der sperrigen Hysterie, die viel zu lyrisch aufbegehrt und damit an vokaler Souveränität einbüßt.

 

Auch bei Malin Byström bemerkt man relativ schnell schauspielerische Enthaltsamkeit gegenüber ihrem Tenorpartner. Und auch im Zusammenspiel mit dem italienischen Bariton Claudio Sgura, der prinzipiell hervorragend in die Rolle des durchtriebenen Sheriffs Rance hineinpasst, wirken die dramatischen Übergriffe und die Handgreiflichkeiten zwar gewollt, aber nicht gekonnt.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Ein Störfaktor scheint eindeutig die Chemie zu sein, die nicht wirklich stimmt und das gesamte interagierende Kartenhauskonstrukt auf ganzer Linie zum Einsturz bringt.

 

Ebenfalls bedauernswert, umso mehr, als dass die Musik Puccinis von so berauschender Schönheit ist, zeigt sich die orchestrale Interpretation des filmreifen Klassikers.

 

Untermalende Akzente setzend, dramaturgische Höhepunkte unterstützend und potenzierend, bleibt das Dirigat von Daniele Rustioni entgegen allen Annahmen dynamisch sehr undifferenziert und spielt sich dabei so extrem in den Vordergrund, dass der filmmusikalische Charakter, der als Stimmungsbarometer fungierend, der Handlung Spannung und Nervenkitzel verleihen soll, komplett unter den Orchestergraben und damit aus dem Rahmen fällt.

 

Das Eigenleben der kompositorischen Vielschichtigkeit, die grandiose Eigendynamik durch differenziert orchestrale Einsätze perfekt auf den Punkt gebracht und in emotionalen Temperaturen changierend, geht durch den zu forschen Auftritt des wenig eleganten Dirigats komplett unter.

 

Sehr schade, vor allem, wenn man bedenkt, dass diese absolut geniale Oper selten aufgeführt wird, aber ganz sicher das Sahnehäubchen auf dem saftigen Gedeck eines jeden Opernangebots bildet, wenn man Wildwest at its best performt.

 

Oder gibt es etwa jemanden, der nicht gerne einen gut gemachten Westernfilm sieht und hört?


©Bayerische Staatsoper

Eine kleine Geschmacksprobe von Puccinis Oper La fanciulla del West bietet der Trailer der Bayerischen Staatsoper. Kurz und abstrahierend wird ein Rundumriss in musikalischer, szenischer und handlungsweisender Manier gemacht. Eine gelungene Zusammenfassung eines außerordentlich atmosphärischen Meisterwerks mit filmmusikalischen Qualitäten. 

 

©Met Opera New York

Jonas Kaufmann singt die Arie "Chélla mi creda libero e lontano" im dritten Akt, kurz bevor er gehängt werden soll. Packend und mit ausdrucksstarker Präsenz verkörpert der Münchner Tenor die Rolle des Banditen Dick Johnson an der Metropolitan Opera in New York 2018.


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