Andrea Chéniers kleine Schwester Fedora mit Sonya Yoncheva und Piotr Beczala an der Met

16. Januar 2023

Rubrik Oper

©Met Opera New York/ Ken Howard

Selten auf die Opernbühnen der Welt gebracht und dennoch eine Verismo-Praline der Superlative! Umberto Giordanos Fedora ist ein so satter Hörgenuss und ein gleichermaßen packendes Opernepos, dass man des Komponisten vermeintlich grandiosestes Werk Andrea Chénier glatt dafür vergessen könnte.

 

Zwar nur für einen hoch konzentrierten Opernabend lang. Jedoch wünschte man sich innigst, diese besondere Verismo-Perle würde deutlich öfter und in einem überdurchschnittlich starbesetzten Künstlerarrangement dargeboten.

 

Nach 25 Jahren Abstinenz vom größten aller Opernhäuser der Welt hat sich die Met in New York ein aufrichtiges Herz gefasst und das Liebesdrama mit spannungsgeladen dramatischen Höhepunkten im Angesicht einer nostalgieverliebten, historiengetreuen Inszenierung des Briten David Mc Vicar auf die Bühne gebracht.

 

Ein musikalisches Fest für die Sinne: Traumverlorene Melodien, überschwappend lodernde Leidenschaft verortet an drei nicht konträrer gewählten Standorten im Europa des 19. Jahrhunderts.

 

Vom soliden Prunk der russischen Zarenzeit im ersten Akt erzählend, reisen wir mit Fedora und ihrer Entourage direkt im Anschluss in das quirlige vor champagnersprudelnder Mondänität berüchtigte Paris der Belle Epoque.

 

Laute, ausgelassene Feierstimmung, rauschende Ballroben, walzerselige Melodien, ausschweifende, exzessive Lebenslust: In dieser Oper werden überaus kontrastreich szenische und musikalisch multifacettierte Akzente gesetzt, die einem im direkten Vergleich zum ersten und letzten Akt frappant schuppenintensiv von den Augen fallen.

 

©Met Opera New York/ Ken Howard

©Met Opera New York/ Ken Howard

©Met Opera New York/ Ken Howard

©Met Opera New York/ Ken Howard

Kaum zu glauben, dass es dem italienischen Komponisten so treffend gelingen konnte, jeder Szene eine musikalisch mentalitätsnahe ID zu verpassen. So kristallisiert sich die russische Seele deutlich behäbig und melancholisch schwermütig aus dem orchestral farbenreichen Klangteppich gleich zu Beginn des Melodrams heraus.

 

Durchwirkt mit einer duftig wattebauschartigen Textur, verändert sich das Lokalkolorit just, als sich der Pariser Charme und die raffinierte Eleganz in einer rauschhaften Dreivierteltaktleichtigkeit verselbstständigen.

 

Irisierende Klangfarben, elegante Legatolinien, süffig satt und dennoch nie überzuckert klebrig, so gleichermaßen dicht verwoben und pastellig zart wirkt die zum Schwelgen einladende Musik Fedoras.

 

Alle kompositorischen Register werden hier gezogen, auch im Hinblick auf den letzten Aufzug, der sich in einem alpenländischen Idyll in der Schweiz abspielt. Angedeutete traditionelle Weisen vermischen sich hierbei gekonnt mit der so typischen musikcharakteristischen Signatur des Komponisten. Nur ernster, eindringlicher und dramatischer steuert die Geschichte in ekstatischer Gewissheit auf die fatale Klimax zu.

 

David Mc Vicar ist es gelungen, das Meisterwerk Giordanos szenisch und dramaturgisch auf das Allerfeinste zu würdigen. Es gibt keinerlei Spielereien mit modern kontextualisierten Interpretationen. Warum auch! Nostalgie lautet die Maxime.

 

Und die trägt die Geschichte, so wie die aufregend unglückliche "Amour Fou" von Fedora und Ipanoff, auf Händen. Ein Selbstläufer, so scheint es, der wie ein prächtiges Feuerwerk zündet, ohne dass man sich um das darauffolgende kaleidoskopartige Funkenspektakel am Himmelszelt Gedanken machen müsste.

 

©Met Opera New York/ Ken Howard

©Met Opera New York/ Ken Howard

©Met Opera New York/ Ken Howard

©Met Opera New York/ Ken Howard

Die Handlung verdichtet sich somit musikalisch und dramaturgisch wohl austariert. Und die detailverliebte Historieninszenierung verleiht dem Ganzen als absolute Krönung den nötigen Romantikfaktor à la "Vom Winde verweht".

 

Et voilà. Was will man mehr?

 

Mit Sonya Yoncheva als Fedora und Piotr Beczala als Loris Ipanoff hat es die Met geschafft, zwei hochrangige Sängerinterpreten auf die Bretter der Opernwelt zu bringen.

 

Großartig geschauspielert, scheint Sonya Yoncheva ein besonderes Händchen für die hysterisch-dramatischen Rollen zu haben. Obgleich man sich über die Schönheit ihrer Stimme streiten kann, so ist ganz unbestritten, dass sie als hysterisch-rachsüchtige Frau stimmgewaltig, ausdauernd und überzeugend in einer Partie brilliert, die ihrer Rollenpersönlichkeit ausgezeichnet zu Gesicht steht.

 

Und das drückt sich stimmlich konturiert und durchaus facettenreich aus.

 

Bewegend, aufrührend und magnetisierend erlebt man die Opernsängerin in ihren letzten sterbenden Minuten auf der Bühne. Ergriffen von ihrer darstellenden Exzellenz, fiebert man tieftraurig die letzten Takte eines ausgehauchten Lebens mit.

 

©Met Opera New York/ Ken Howard

Und auch Piotr Beczala strahlt gesanglich aus jeder feinsten Pore. Wo der polnische Opernsänger darstellerisch zwar keine flotte Sohle aufs Parkett legt, wohl weil er oftmals dem "Park & Bark" Syndrom erlegen ist, lotet er seine darstellerische Indisposition vor allem mit vokaler Lyrik vorzüglichst aus.

 

Hell und strahlend singt er sich gemeinsam mit Sonya Yoncheva ausdauernd in einen glühend leidenschaftlichen Lauf.

 

Grandios gelingt ihm ebenfalls die Arie des Liebesmotivs "Amor ti vieta", die Beczala voller Inbrunst und beseelter Tiefe, ausdrucksstark und mit leidenschaftlichem Esprit  pinpoint-phrasiert und legatoreich an die Frau bringt.

 

Dabei schimmert sein Vokalinstrument weich und rund in der samtfeinen Mittellage und tönt mit kristallklarem Feinschliff mühelos auch in die exponierten Höhen. Erst als es im letzten Akt zunehmend dramatischer wird, offenbart sich in der Stimme des Sängers, die grundsätzlich eine lyrisch durchwirkte Eleganz verströmt, ein Hauch von vokaler Ermüdung.

 

Dennoch überzeugt die gesangliche Leistung und auch ins Schauspiel des eher zurückhaltenden Darstellers kommt langsam Bewegung.

 

An den Haaren rabiat herbeigezogen, reißt er den Kopf seiner geliebten Fedora brüsk nach hinten. Der Mann kann scheinbar auch andere, weniger freundliche Saiten aufziehen. Respekt. Die Szene ist dem polnischen Künstler tatsächlich ganz famos gelungen.

 

Positiv ins künstlerische Gewicht fällt auch die buffo-esque anmutende Rolleninterpretation der Rosa Feola, die von der Sopranistin Olga Sukarev dargeboten wird.

 

Lyrisch perlend, biegsam und angenehm timbriert kokettiert das Vokalinstrument  der lebenslustigen Dame besonders im Zusammenspiel mit dem Bariton Lucas Meachem, der als Monsieur de Siriex für gaumenrunden Hörgenuss sorgt.

 

Marco Armiliato am Dirigentenpult versteht die hohe Kunst der orchestralen Untermalung. Ausgesprochen dynamisch differenziert, emotional auf den Punkt temperiert, schafft es das Dirigat Tonpoesie aus dem Orchestergraben zu zaubern, ohne sich anmaßend in den Vordergrund zu spielen.

 

Fedora, diese Oper muss man unbedingt gesehen haben!


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