Florencia en el Amazonas, ein poetischer Rausch, große Gefühle und eine märchenhafte Ailyn Peréz an der MET

10. Dezember 2023

Rubrik Oper

©Ken Howard / MET Opera New York

Was für eine poetische Ader diese Oper des Komponisten Daniel Catán in sich trägt. Zum ersten Mal auf der großen Bühne der Metropolitan Oper in New York, verführt dieses kompositorische Meisterwerk in eine märchenhafte Naturwelt des Amazonas und auf eine mysteriöse Reise der Menschlichkeit, tief in den Dschungel zwischenmenschlicher Verflechtungen hinein.

 

Ailyn Pérez, die in der Rolle der Florencia Grimaldi mehr als nur brilliert, legt sowohl Leidenschaft als auch überschwappende Gefühle sowie ihr lateinamerikanisches Herz mit Verve, Strahlkraft und irisierenden Klangfarben in diese farbenreiche Klangpoesie, der man von der ersten Sekunde an verfallen ist.

 

Auf der verzweifelten Suche nach ihrem verschollenen Geliebten, dem Schmetterlingsjäger Cristóbal, begibt sich die Operndiva Florencia Grimaldi, auf eine Amazonas-Flussfahrt tief in den unergründlichen Urwald hinein.

 

Sie reist inkognito und wird dabei von einem vermeintlich gescheiterten Ehepaar, einer jungen ambitionierten Schriftstellerin und einem Schiffsjungen begleitet, der davon träumt, einmal Pilot zu werden.

 

Alle haben sie eines gemeinsam: Die Suche nach Glück und Liebe! Während das in Routine festgefahrene Pärchen Paula und Alvaro verzweifelt den Anfängen ihrer vielversprechenden Liebe nachweint, träumt die junge Rosalba von einer großen Schriftstellerkarriere.

 

Arcadio, der für den Kapitän den Schiffsjungen gibt und sich durch den Dschungel so eingeengt fühlt, dass er glaubt, kaum noch Atmen zu können, sehnt sich nach der für ihn einzig wahren Berufung: Er will Pilot sein und durch die Lüfte schwebend fremde Kontinente erobern.

 

©Ken Howard / MET Opera New York

©Ken Howard / MET Opera New York

©Ken Howard / MET Opera New York

Was dem einen unendliche Freiheit bedeutet, scheint für den anderen ein Gefängnis ohne Ausweg zu sein. Und auch die gefeierte Operndiva Florencia Grimaldi hütet ein tief verborgenes Geheimnis.

 

Sie kann den Schmetterlingsjäger Cristobal, ihre große Liebe, nicht vergessen und versucht alles, um ihn auf der Fahrt nach Manaus ausfindig zu machen.

 

Doch dann wirft ein monsunähnlicher Sturm alle Pläne der Schiffsinsassen je über den Haufen. Ein Schiff in Not, alle Passagiere über Bord und ein Urwald so undurchdringlich wie das Dickicht der menschlichen Seele.

 

Plötzlich fallen alle Würfel neu. Das Leben sortiert sich neu, nachdem der Sturm einen Scherbenhaufen längst überfälliger Lebenskonstrukte hinterlassen hat.

 

Paula begreift endlich, dass zur Liebe auch Vertrauen und Verletzbarkeit gehören, Rosalba versteht, dass leere Blätter immer wieder neu und anders beschrieben werden können, dass nichts wirklich verloren geht, solange es in der Erinnerung festgehalten werden kann.

 

Und Arcadio weiß nun, dass die Liebe die Antwort auf all seine Fragen ist.

  

©Ken Howard / MET Opera New York

©Ken Howard / MET Opera New York

©Ken Howard / MET Opera New York

Traumhaft inszeniert erfährt das Publikum an der Met, was uns die Natur über das Leben lehren kann. Schließlich regeneriert sich in ihr alles immer wieder aufs Neue, auch wenn es zerstört und verloren scheint. Wirklich nichts im Leben passiert umsonst. Schatten und Licht, Licht und Schatten, das sind die Ingredienzien, die dem menschlichen Dasein Kontur und Tiefe verleihen.

 

Wie schön, dass in dieser Schicksalsgemeinschaft der Fluss den roten Faden fortspinnt und seine Passagiere die Protagonisten am Steuer ihrer jeweils eigenen Geschichte sind, in der die Hoffnung als ständiger Begleiter fungiert und die Liebe das Licht in jedem wieder entfacht.

 

Daniel Catán hat ein ganz großes, einzigartiges und unvergleichlich berauschendes Tonwerk komponiert, das voller Poesie und absoluter Schönheit Glanz und Magie auf die Opernbühne zaubert - und an Motive des Jahrhundertromans "Die Liebe in Zeiten der Cholera" von Gabriel Garcia Marquez anknüpft.

 

Sofort taucht man in den ewigen Klang des Amazonas ein, hört exotische Vögel singen, ist berauscht von einer tonalen Mehrdimensionalität raffinierter Orchestrierung, wobei sich die melodiöse Struktur immer wieder harmonisch in weiten Legato-Linien süffig und satt über die zwei Akte ergießt.

 

Es ist eine fantastische Klangpoesie die rauschhaft, berauschend und wahrlich opiatisch anmutet. Wellenartige Klangmotive durchdrungen von flatternden Flügelschlägen und tirilierenden Vogelgeräuschen komplementieren die musikalische Struktur, die sämtliche Urwaldgeräusche samt fließender Wasserbewegungen formschön imitiert.

 

©Ken Howard / MET Opera New York

©Ken Howard / MET Opera New York

So rauschhaft und Sog-stark wie die Musik mutet auch die aufwendige Ausgestaltung der Bühne an. Mary Zimmerman beweist mit ihrem ausgeprägt extravaganten Hang zu kunterbunter Farbgestaltung Mut. Exotische Kostüme, fabelhafte Wesen in schillernd changierende Stoffträume eingehüllt, mal pastellig, dann wiederum kontrastiert durch knallig bunte Komplementärfarben.

 

Welch magischer Zauber sich wohl noch im Dschungel verbergen mag?  Marie Zimmerman schafft eine Punktlandung mit ihrer liebevollen und detailverliebten Inszenierung, die poetische Verspieltheit auf ein hohes Podest hebt.

 

So idyllisch und verklärt mag es ganz sicher im Urwald nicht zugehen. Und dennoch: Die Farben, die Klänge, die Gesamtheit aus visueller und tonaler Poesie machen Catáns Oper zu einem Augen- und Ohrenschmaus der Superlative.

 

Die Exotik erfährt dabei eine übertriebene, aber dennoch angemessene Überhöhung.

 

Ailyn Pérez, auf die man an diesem Abend sehnsüchtig gewartet hat, strahlte doch ihr vokaler Stern schon lange vor der eigentlichen Kino-Live-Übertragung am Firmament der MET-Opera, kommt, singt und siegt auf ganzer Linie, fast stielt sie allen anderen die Show!

 

Mit so viel Herz und beseelter Magie muss man diese Rolle der Florencia erst einmal auf die Bühne bringen. Ailyn Pérez versenkt sich ganz und gar in diesem Frauencharakter, stattet ihn mit Warmherzigkeit, vokaler Tiefe und einem beseelten Zauber aus, der seinesgleichen sucht.

 

©Ken Howard / MET Opera New York

Nicht wirklich leicht scheint sich diese Partie zu singen. Doch die Sopranistin klingt so entfesselt, frei in allen exponierten Höhen, leicht, duftig und von enormer Strahlkraft, dass sich ihre Stimme geradezu wie ein Schmetterling aerodynamisch in die Luft erhebt.

 

Bei ihr gibt es keine gesanglichen Grenzerfahrungen. Ihre in der Mittellage satte und warm-timbrierte Stimme strömt und strömt und strömt unaufhaltsam immer höher hinauf in die Unendlichkeit ihrer stimmlichen Registerlosigkeit.

 

Mit wenig Vibrato und einer glasklaren Textur gestaltet Ailyn Pérez kristallklare Klangperlen, die sich elastisch, biegsam und samtig zart in den Orbit des Auditoriums absetzen.

 

Es ist so faszinierend dieser temperamentvollen Persönlichkeit zuzuhören und zusammen mit ihr in einer Welt zu versinken, die ihr so sehr aus der Seele zu sprechen scheint. Die ganze Palette tiefempfundener Gefühle breitet sich vor einem aus. Mimik und Gestik verraten dem Zuschauer, dass an diesem Abend etwas ganz Großes passiert.

 

Zu Tränen gerührt lässt man die letzte Arie der Florencia sacken. Ein Kloß sitzt tief und löst sich nur langsam wieder auf.

 

Dann dieser Moment, in dem sich auf dem Rücken der Künstlerin Schmetterlingsflügel aufbäumen. Wenn der Liebe tatsächlich Flügel wachsen, dann ist die Moral von dieser Geschichte, dass alles mit der Liebe seinen Anfang und auch sein Ende nimmt - und dass das Licht in ihr nie aufhört zu flackern. Niemals.

 

©Ken Howard / MET Opera New York

Wahrhaft beeindruckend ist auch die Interpretation des italienischen Baritons Mattia Olivieri, der als mythische Gestalt Riolobo das Schicksal der ungleichen Gemeinschaft an Bord zu lenken versucht. Dreh- und Angelpunkt. Irgendwie fließen die Stränge der einzelnen Lebensgeschichten bei Riolobo zusammen, verheddern sich zuerst und entwirren sich ganz zum Schluss.

 

Großartig geschauspielert und gesungen hat man Spaß an dieser Figur, die spielerisch mit dem Schicksal umgeht, sich ihm nicht widersetzt, sondern im Strom des Flusses mit ihm durch den Sumpf des Urwalds mäandert.

 

Olivieri kann komische Rollen vorzüglich. Aber auch die gewisse Prise Ernsthaftigkeit steht dem italienischen Bariton gut. Seine raumgreifende Stimme, sein warme Klangschmelz tun ihr Übriges, um vollends in den Bann seiner gesanglichen Künste gezogen zu werden.

 

Mit lyrisch ausgeprägter Raffinesse besticht auch Gabriela Reyes, die als ehrgeizige Schriftstellerin Rosalba selbstbewusst ihr Leben in die Hand nimmt. Als nach dem großen Sturm ihr "Erstlingswerk" zerstört scheint, bricht eine Welt in ihr zusammen, die sie sich nun wieder ganz neu aufbauen muss.

 

Doch auch dieser Herausforderung stellt sich die junge Sopranistin, die mit sehr viel leidenschaftlicher Verve kristallzuckersüße Klänge von sich gibt.

 

Bleiben noch das Pärchen Paula und Alvaro sowie der Schiffsjunge Arcadio über, die allesamt großartige darstellerische und gesangliche Leistungen auf die Bühne bringen. Bei dieser Cast gibt es niemanden, der ein Schlusslicht bilden könnte. Alle stehen sie voll und ganz im Licht der Bewunderung.

 

Und auch Yannick Nézet-Seguin macht seinem Taktstock alle Ehre. Die Musik strahlt, sie leuchtet, sie fließt wie goldener Honig, zart und dennoch üppig auf die Bühne und verteilt sich voluminös im Auditorium. Ach, was ist das doch für eine hinreißend umwerfend schöne Oper! 

 

Florencia en el Amazonas - Oper in zwei Akten

Komponist: Daniel Catán aus dem Jahr 1996

 

Dirigent: Yannick Nézet-Seguin

 

Florencia: Ailyn Pérez

Rosalba: Gabriella Reyes

Paula: Nancy Fabiola Herrera

Riolobo: Mattia Olivieri

Arcadio: Mario Chang

Captain: Greer Grimsley

Alvaro: Michael Chioldi


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