jonas kaufmann als don carlos an der wiener staatsoper

DIE WIEDERAUFNAHME EINER KONTROVERSEN INSZENIERUNG

06. OKTOBER 2020

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

2012 das erste Mal an der Wiener Staatsoper neu inszeniert, hält Peter Konwitschnys Don Carlos Interpretation Wiedereinzug in den halb leeren Saal des ersten Hauses am Ring.

 

Ein gewagter Coup, der schon am damaligen Premierenabend für kontroverse Diskussionen und ein paar lautstarke Buhrufe sorgte.

 

Doch die Zeichen der Zeit sind reif für einen erneuten Versuch und diesmal mit einem Ensemble, das dramaturgisch und gesanglich qualitativ kaum zu übertreffen geht.

 

Dabei ist Don Carlos ein Klassiker unter den Verdi-Opern, mit dem man sich grundsätzlich nicht aufs Glatteis begeben kann, soweit man ihn schön brav in dem altmodischen Korsett des Historiendramas belässt.

 

Doch die Geschichte und die äußerst dynamische Handlung lassen Spielraum für experimentelle Versuche, geben Raum für Gegenwärtigkeit, Aktualität und schonungslos schockierende Unangepasstheit  in einer abstrakten, quadratischen "Einweg-Welt" aus weißen Wänden mit Geheimtüren im „Sieben-Zwerge-Format“.

 

Tatsächlich wird man in der ein oder anderen Szene geistig wachgerüttelt. Was hat es wohl mit Ebolis Traum auf sich, indem die Protagonisten sich in einer scheinbar alltäglichen Eheszene in alberne Neckereien und theatralischen Klamauk hineinsteigern oder aber eine Ketzerverbrennung zum neuzeitlichen Medienspektakel auserkoren, aus dem historischen Kontext der Vergangenheit gerissen in die Welt der sozialen Medien hinein gepresst wird?

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Ob es deplatziert, unangepasst oder einfach nur rebellisch erscheint. Zumindest geht es kaum noch unterhaltsamer, anregender und aufrührender.

 

Doch genau an diesen Attributen scheinen sich die Geister auch diesmal zu scheiden. So schallen die Bravi-Rufe nach Ebolis chaotisch-irritierendem Traum begeisterungsstark aus vielen Reihen der Wiener Staatsoper, während zeitgleich ein ebenso sonorer, durchdringender Schwall an Buhrufen die Runde macht.

 

Einig wird man sich offensichtlich nicht. Erst als der französische Dirigent Bertrand de Billy resolut seinen Taktstock erhebt und sein Dirigat rigoros fortsetzt, verstummt die zänkische Menge im Nu.

 

Das interaktive Intermezzo ist vorbei und auch ein Peter Konwitschny braucht sich über Begeisterungsstürme keine Gedanken mehr zu machen. Die ungeteilte Aufmerksamkeit wird seiner Inszenierung auch noch lange nach den Aufführungen zuteil sein. Womöglich bleibt sie sogar unvergessen, ganz besonders bei denjenigen, die sich darüber während der Pausen in empörungsstarken Tiraden ergangen haben.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Was die eigensinnige Regie an Genialität zutage fördert, bleibt auch bei den Protagonisten nicht im Verborgenen. 

 

Ein Ensemble, das seinesgleichen sucht, hat sich tatsächlich an der Wiener Staatsoper gefunden. 

 

Ist man in gewohnter Manier von der „Kaufmann-Show“ ausgegangen, die musikalisch stets zuverlässig klangschön durch den Abend trägt, die Kohlen aus dem Feuer holt, wann immer der eine oder andere Protagonist oder Nebendarsteller gesanglich oder gar darstellerisch schwächelt, so kann die Auswahl der vokalathletischen Spitzensänger in diesem Fall nicht besser getroffen worden sein.

 

Es ist ein wahrhafter Glücksgriff für das Meisterwerk Verdis, dass die Musik von unprätentiösen Könnern getragen wird und mit einer erfrischenden Natürlichkeit interpretiert an den aktuellen gesellschaftlichen Zeitgeist anknüpft.

 

Denn Kriege, Intrigen, Verschwörungen, Machtkämpfe, politische und soziale Konflikte hat es nicht nur in der Zeit der spanischen Regentschaft Philippe II gegeben. Gerade jetzt befinden wir uns just inmitten einer Welt, die dem Chaos droht zu erliegen.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Rühren schauspielerische Leistung, überzeugende Dramatik und charakterstarke Gesten zu Tränen, machen sich überschwappende Gefühle beim Zuhörer breit, so bewegen ganz besonders die herausragend klangschönen Duette die Gemüter und Herzen in den bekannten Arien der Schlüsselszenen.

 

Jonas Kaufmann, der sich in der Rolle des Don Carlos beweist, singt sich an diesem Abend fast schon die Seele aus dem Leib, zwar kontrolliert und technisch akkurat, aber mit einer wahrhaften Emotionalität besetzt, die so authentisch über die Stimme zum Tragen kommt, das man beinahe geneigt ist, den Atem für ein paar Sekunden anzuhalten.

 

Dabei bestechen die leisen Töne fast noch mehr als die sonoren Crescendi, die Kaufmanns tenorales Markenzeichen sind.

 

Innerlich zerrissen, leidend und fast schon gebrochen: genau diese Gefühlsregungen sind die Glanzpartien der Stimme Kaufmanns, bei denen der Tenor das ganze Spektrum seiner facettenreichen Stimme ausschöpfen kann.

 

Auch Kaufmanns Gesangspartnerin, die dänische Sopranistin Malin Biström erlebt man tief ergriffen, emotional bewegt und mit einer ätherischen Vokalbrillanz ausgestattet, die einen in sphärische Welten entführt.

 

Bestechend intrigant, verzaubernd flirtiv ist die "Femme Fatale" Rolle der Eboli, die von der Französin Eve-Maud Hubeaux zum Besten gegeben wird.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

So versucht die, in Liebe zu Don Carlos entbrannte Schönheit mit allen Mitteln das Herz des Infanten zu erobern und lässt dabei nichts aus, um mit List und Tücke an Ihr Ziel zu gelangen, was letzten Endes nicht ungestraft bleibt.

 

Gesanglich betörend und zirzenhaft meistert die zarte, aber sehr präsente Akteurin jegliche Koloraturpartien mit eleganter Noblesse. Mit Leichtigkeit nimmt sie hohe Passagen, trällert wie eine liebestrunkene Nachtigall, um im entscheidenden Moment mit stimmlicher Dominanz und ausdrucksstarker Vokalpräsenz zu punkten.

 

Und auch die "bassbaritonalen" Partien des Rodriguez, Philipe II und des Mönchs werden großartig verkörpert durch Igor Golovatenko, Michele Pertusi und Dan Paul Dumitrescu.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Überraschend leicht und getragen und von einer satten Melancholie überzogen kontrastiert die Musik Verdis das aktionsgeladene Schauspiel auf der Bühne. Fast nimmt sich die durchlässige Orchestrierung so dezent zurück, dass die einzelnen Charaktere in ihrer gesanglichen Rolle zu voller Größe aufblühen und ihre interpretatorischen Freiräume individuell nutzen können.

 

Irgendwie mutet diese Oper, die als fünfaktige französische Variante der kürzeren italienischen Fassung in immer mehr Opernhäusern den Rang abzulaufen scheint, wenig volkstümlich, dafür aber umso eleganter und lyrischer an, was sehr untypisch für eine Verdi-Oper ist.

 

Doch auch unter dem Klangteppich der sanften, lyrisch-melancholischen Tiefen bricht der musikalische Charakter Verdis in satten Crescendi-Wogen immer wieder an die Oberfläche.

 

Und zwar dann, wenn es dramatisch wird, die Handlung sich auf den Höhepunkt zuspitzt, ja dann setzt Verdi wie gewohnt seine orchestral dominanten Akzente, die uns den Puls dieser Musik wieder spüren lassen.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Dabei schafft es Bertrand de Billy mit einsatzgenauer Präzision und einem schnörkellosen Dirigat, die Akzente auf das musikalische Podest zu heben, wo sie strahlen und glänzen können, ohne dabei ein plumpes Scheppern zu verursachen.

 

Einmal mehr überzeugt mich eine Aufführung, die durch orchestralen Feinschliff, schauspielerische Reife und stimmliche Emotionalität besticht.

 

Die ganz große Oper erlebt man nämlich so formvollendet nicht alle Tage.


Weitere Termine an der Wiener Staatsoper finden an folgenden Abenden statt:

 

07. Oktober 2020

11. Oktober 2020

 

Ganz besonders empfehlenswert ist die Wiener Staatsoper GmbH App, die aktuell völlig kostenfrei Live-Stream Angebote offeriert und sogar die Don Carlos-Aufführung am 04. Oktober. 2020 direkt aus dem Saal der Oper übermittelt hat.

 

Website: www.wiener-staatsoper.at

 


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