la bohème mit Jonas kaufmann und rachel willis Sørensen an der Bayerischen Staatsoper

DER EWIG ROMANTISCHE PUCCINI-VORWEIHNACHTSKLASSIKER

04. DEZEMBER 2020

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Wer wohl die herzzerreißenste Oper schrieb, wenn wir von unerfüllter Liebe und den schicksalhaften Dramen des Lebens sprechen? Die Zutatenliste des vorweihnachtlichen Pucccini-Klassikers "La Bohème" liest sich jedenfalls nicht allzu lang. Lediglich eine große Prise Romantik, eine kleine Messerspitze vom prallen Leben, abgerundet durch ein paar großzügige Esslöffel Dramatik und..voilà...fertig ist das anrührende Drama, das in wohl jedes gut selektierte winterliche Repertoire eines Opernhauses gehört.

 

Doch wäre wohl dieser Klassiker kein romantischer Renner, hätte die Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper in München nicht wie der sprichwörtliche Deckel so haargenau auf seinen Pott gepasst. Historisch detailgetreu und bis auf das letzte i-tüpfelchen kostümecht ausgereizt, fühlt sich der Zuschauer in Otto Schenks Regiewerk in die Epoche der Pariser Bohème hineinversetzt und spürt unmittelbar das Flair und den Zeitgeist des künstlerischen Daseins und Wirkens einer Studentenclique, die das einfache Leben brotlos, aber halbwegs glücklich meistert.

 

So gelingt es Schenk, sein Publikum sofort in den Bann zu ziehen und von der Misere der aktuellen sozialpolitischen Geschehnisse abzulenken. Dazu muss man wissen, dass Schenk die Geschichten grundsätzlich nie verfälscht oder gar aus dem Kontext des historischen Gefüges reißt, um sie lieblos ihrem puristischen Schicksal zu überlassen. Genau deshalb setzt der österreichische Regisseur auf verspielte und vorwiegend opulent nostalgisch ausgeschmückte Elemente, in denen er sich szenisch absolut verliert. Das Bühnenbild tut dabei sein Übriges, um der konventionellen Handschrift des Regisseurs gebührend Respekt zu zollen.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Experimentell ist dieses Liebhaberstück daher nur in einer Szene des 2. Aktes. Kaum das man es bemerkt, weil man sowieso von dem bunten Straßenbild des Pariser Nachtlebens und der heiter feiernden Gesellschaft im Café abgelenkt wird, mogelt sich ein maskierter Kellner mit einer Mund-Nase-Bedeckung immer wieder in das Geschehen.

 

Das Ganze wirkt dabei wie ein kurzschließender Lichtblitz, der uns für eine Bruchteilsekunde in das "Jetzt und Hier" unserer prekären Gesellschaftslage versetzt, wohl aber als belustigendes Unterhaltungselement keine kritikbehaftete Anspielung auf die derzeitige Situation darstellt.

 

Spannungsgeladen auf den Höhepunkt zusteuernd, gestaltet sich an diesem Abend die feingeistige Oper tatsächlich zu einer irisierenden Mischung emotional verdichteter Klangkunst und schauspielerisch ausgereifter Dramatik.

 

So wird der Zuhörer gleich im ersten Akt mit einer der schönsten tenoralen "Herz-Schmerz-Arien" in eine Welt der unverfälscht echten und leidenschaftlichen Gefühle katapultiert. Mit "Che gelida Manina" trifft der Münchner Tenor Jonas Kaufmann gesanglich nicht nur mitten ins Schwarze, auch den herzzerreißend ekstatischen "Legato-Bogen" in der Schlusssequenz mit dem hohen C hat er raus wie kein anderer Künstler seiner Couleur. Vokalschön hält er den exponierten Ton auf "La speranza", dehnt ihn dabei für ein paar Sekunden in eine scheinbar ausufernd klanggesättigte Verzögerung und erweist so dem Bel Canto die höchste Ehre.

 

Bei all dem technischen Feinschliff klingt die Stimme Kaufmanns ungewohnt frisch, jugendlich vital und schwerelos leicht, ja sogar unglaublich mühelos und unangestrengt. Und das bei einem graugelockten Charismatiker, der mit seinen 51 Jahren fast schon aus der Rolle herausgewachsen schien, hatte er sich doch bereits in gestandenen Heldenpartien, wie der des morddürstenden Otellos, mannsecht behauptet. Nun läuft er eben noch mal den jüngeren Rolleninterpreten den Rang ab. Und wieso auch nicht! Schließlich kann er das offensichtlich ganz gut.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Doch bei aller wohlverdienten Lobhudelei auf Herrn Kaufmann wird relativ schnell klar, wer bereits im gemeinsamen Duett zu "O soave Fanciulla" im Rennen um die gesamtdarstellerischen Königsloorbeeren ganz weit vorne liegt.

 

Sowohl gesanglich als auch darstellerisch überzeugt die amerikanische Sopranistin Rachel Willis Sørensen mit ihrer sattgoldenen Stimme auf ganzer Linie. Einfühlsam und von einer tiefen Emotionalität durchdrungen, ist die versatile Sängerin um keine einzige Oktave mehr oder minder verlegen.

 

Die hohen Passagen füllt sie mit einer ätherischen Eleganz. Und auch die tiefen Register zieht sie alle mit unverschämt stimmlicher "Noblesse".

 

Mal schwebend leicht, dann wiederum anmutig sanft, umzirzt die feinperlige Stimme Kaufmann wie die sprichwörtliche Motte das Licht, nur um sich auf dem Höhepunkt des Liebesduetts zusammen mit ihrem Gesangspartner im explosiven Klangrausch der kontrollierten Ekstase hinzugeben.

 

Samtig weich verebben sodann die stimmmächtigen Klangwellen, die unter der Haut für ein besonders intensives Nachbeben sorgen. Wie herrlich erhebend das Erlebnis Oper doch immer wieder aufs Neue sein kann, demonstrieren zwei große Stimmen in harmonisch passgenauer Symbiose.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Auch eine Musetta, gespielt von der Sopranistin Mirjam Mesak, die im 2. Akt ihren großen, ein wenig burlesk anmutenden Auftritt feiert, erobert mit ihrer flatterhaft flirtiven Arie "Quando m´en vo" die Herzen des Publikums im Sturm und bringt dabei auch die amourösen Gefühle ihrer verflossenen Liebe Marcello auf den Siedepunkt.

 

Eine grandiose Gesangseinlage, die in extremer Provokation eine erotisierende Energie versprüht, die nur eine Femme fatale so gekonnt freisetzen kann.

 

Im Großen und Ganzen erlebt man eine Cast, die auf hohem Niveau schauspielert, singt und sich auch in Abwesenheit eines Publikums in ihrer eigenen musikalischen Welt aus klangvollen Eufonien verlieren kann.

 

Intensiv und authentisch sprudelt es vor musikalischen Ergüssen, verdichtet sich die Lebendigkeit auf der Bühne, dass selbst das Internet das Ereignis Oper von zu Hause greifbar und lebendig macht.

 

Daher ist es auch kaum zu glauben, dass sich die Intensität von Darstellung und Gesang so völlig ohne Rückkoppelung zum Publikum steigert. Gefesselt und gebannt hängt man am Bildschirm und spürt dennoch eine Resonanz zum Künstler, so als käme sie aus direkter, unmittelbarer Nähe.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Genau diese Präsenz zeigt sich auch im dritten Akt, der unaufhaltsam auf das sich ankündigende Drama zusteuert.

 

Musikalisch packend malt Puccinis Musik in dieser Episode ein orchestral impressionistisches Tongemälde, das eine Trostlosigkeit beschreibt, die kaum Anlehnung an die ansonsten überbordend tonmalerischen Verismo-Sequenzen zu Beginn der Oper findet.

 

Dominiert von Klangeffekten, die durch hohle Quinten die Tristesse und Finsternis des grauen Wintermorgens beschreiben, erlebt der Zuhörer musikalische Abstraktion, die der späteren Filmmusik interpretatorisch sehr nahekommt. Bereits im 2. Akt wird man das Gefühl nicht los, dass auch hier Elemente der Tonmusik dem Werk eine besondere Dynamik verleihen.

 

Ganz anders als im ersten Akt, der uns mit immer wiederkehrenden musikalischen Motiven belohnt, bleibt es bis auf die verzweifelt anrührenden Duette zwischen Rodolfo und Mimi, puristisch kühl, so wie eben der unbarmherzige Wintermorgen, der zwei sich liebende Menschen schonungslos auseinandertreibt.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Erst im vierten und letzten Akt schwappen die feinmelodischen, die tonal fließenden Elemente wieder über. Harmonische Süffigkeit und samtweiche, durchlässige Klangteppiche stützen das Verismo-Korsett, welches sich lyrisch von Arie zu Arie hangelt.

 

Um die sterbende Mimi wird es nun immer stiller. Feinperlend, leise und sanft trotzt die wundersam klingende Stimme Sørensens dem herannahenden Tod. Immer und immer wieder bäumt sich in Mimi das Leben in farbensatten Klangnuancen auf, unterstrichen nur von einer tiefen Melancholie, die sich in dunkelsamtigen, zarten Stimmwogen an den Lippen der Sängerin bricht.

 

Meisterhaft und absolut wahrhaft in ihrer Rolle, erobert sich Rachel Willis Sørensen diese Partie im Sturm, während ein stummer Jonas Kaufmann andächtig dem ätherischen Gesang lauscht.

 

So kommt wieder einmal mehr die Oper der ganz großen Gefühle in dieser Interpretation des Puccini- Meisterwerks  zur Geltung. Durchzogen von extremem emotionalen Tiefen und Höhen atmet diese Inszenierung in ihrer musikalischen, szenischen und dramaturgischen Darstellung den Verismo ein und aus, bis das er mit Mimis letztem Ton endgültig ausgehaucht wird.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper


Mit den Montagsstücken im Gepäck hat sich die Bayerische Staatsoper wieder einmal ein besonderes Opern-Bonbon ausgedacht, das den Auftakt mit einer winterlich romantischen Inszenierung des Puccini-Klassikers "La Bohéme" bildet.

 

In der Rolle des Rodolfo und der Mimi brillieren Tenor Jonas Kaufmann und Sopranistin Rachel Willis Soerensen, deren beider Stimmen harmonisch und passgenau miteinander verschmelzen

 

Ein Hörgenuss, der bereits am 30. November als Live-Stream an den Start ging und für weitere 30 Tage im Video-on-Demand-Angebot der Bayerischen Staatsoper kostenpflichtig online abgerufen werden kann.

 

Die Programmdetails weiterer Aufführungen können unter folgendem Link der Bayerischen Staatsoper eingesehen werden:

 

 www.staatstheater.de


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