Brahms Nacht in der St. Petruskirche und vier leuchtende Vokalsterne

13. August 2022

Rubrik Konzert

©Schleswig Holstein Festival

Wehe, wenn sie losgelassen: Vier Sängerinterpreten, vier Leuchtkörper am Firmament des klassischen Himmelszelts, eine Handvoll virtuoser Instrumentalisten und eine Konzeption, die es in sich hat.

 

Von einer gediegenen, formgebenden Veranstaltung in den Kirchengewölben der St. Petruskirche in Kiel-Wik kann an diesem lauen, höchst entspannten Sommerabend kaum die Rede sein.

 

Schon beim Betreten des Kirchhofs mit seinen großzügigen, zum Verweilen einladenden Grünflächen kommt Genusslaune auf. Kleine Trauben von Menschenansammlungen, die sich bestens gestimmt bei einem Gläschen Wein oder einem Spritz fröhlich zuprosten, hauchen dem ehrfürchtigen, zum normalerweise stillen Gebet verpflichtenden Ort Leben und überschwänglichen Esprit ein.

 

Wen verwundert es, stehen doch vier Sängerinterpreten, darunter Tenor Julian Prégardien, Sopranistin Nikola Hillebrand, Mezzosopranistin Patricia Nolz und Bariton Konstantin Krimmel auf dem Programm einer musikalisch deliziösen Brahms Nacht, die mit besonderen vokal-instrumentalen Überraschungsschmankerln aufwartet.

 

Ziemlich schnell wird offensichtlich, dass man das Programmheft im wahrsten Sinne des Wortes knicken kann, denn die Reihenfolge der dort abgedruckten Musikdarbietungen hat das kongeniale Gesangsquartett gerade mal einen Tag vor Veranstaltungsbeginn ganz flugs über den Haufen geworfen.

 

Das neue alte oder alte neue Konzept, bestehend aus Zigeunerliedern, Liebeslieder-Walzern, Volksliedern, Vokalquartetten und kammermusikalischen Zwischenspielen folgt einem improvisatorischen Leitfaden, der sich scheinbar mehr aus einer Spontanität heraus durch den unkonventionellen Abend zieht, nicht wirklich strukturiert anmutet, aber dafür mal so richtig erfrischend anders daherkommt und somit die klassisch tradierte Konzertkultur endlich aus ihrem versteiften Korsett befreit.

 

Und auch das Publikum atmet entspannt und sichtlich gelöst durch, schließlich braucht es sich an diesem Abend nur auf eine musikalische Reise einlassen, die zwar ein bisschen unvorbereitetes Abenteuer fernab der durchdeklinierten Programmübersicht verspricht, dafür aber umso spannender, aufregender und erlebnisreicher daherkommt wie selten ein klassisches Konzert dieser Art.

 

An- und durchmoderiert von Julian Prégardien erlebt sich das Brahmsche Nachtvergnügen nur noch vergnüglicher und beinahe schon ausgelassen.

 

Humorvoll, geistreich und sehr eloquent führt der deutsche Tenor mit erzählerisch vereinnahmenden Qualitäten durch den musikalisch abwechslungsreichen Abend, holt das Publikum immer dort ab, wo der rote Faden im Programmheft abzureißen droht und schafft es mit rhetorischem Geschick Begeisterung für die Brahmsche Tonalwelt zu schüren.

 

Das Feuer entfacht sich gänzlich just im zweiten Programmteil. Dann nämlich brennt es musikalisch so feurig-heiß wie ungarische Gulaschsuppe. Mit Zigeunerliedern und ungarischen Tänzen im Gepäck entführen auch die Instrumentalisten in eine traumhafte Welt, die bei virtuos romantischen Violinen- und Klarinettenklängen ein leises Sehnsuchtsgefühl nach der fremden Ferne aufkommen lässt.

 

Und auch das kongeniale Sängerquartett verzaubert vokal auf ganzer Linie. Ob bei den Volksliedern "In stiller Nacht", "Da unten im Tale" oder aber bei den "Sieben Liedern" und "Liebeslieder-Walzern", schnell merkt der Zuhörer, dass sich wohl vier Interpreten in Freundschaft musizierend zusammen gefunden haben.

 

©Peter Rigaud

Die Chemie untereinander stimmt jedenfalls. Das sieht, hört und spürt man bis ins Publikum überschwappen. Mit Verve, einer großen Prise Charme, Witz und stimmlicher Versatilität, die sich auf einem ebenbürtig hohen Niveau verklangbart, necken sich die Sängerdarsteller auch in schauspielerisch überzeugender Manier.

 

Es sprudelt durch den gesamten Konzertabend erquickend vokal und darstellerisch. Doch zum Dahinschmelzen schön überraschen die beiden vokalakrobatischen Damen des Abends: Nikola Hillebrand und Patricia Nolz.

 

Perfekt aufeinander abgestimmt, erklingt ein ungewöhnliches Duett der Pauline Viardot, die sich neben Ihrer Gesangskarriere im Baden-Baden um 1863 verstärkt auf das Komponieren und das Ausrichten von gesellschaftlich beliebten Soirees konzentrierte.

 

Ein Zigeunerlied, das eigens von der Grand Dame der feinen Baden-Badener Gesellschaft für den Gesang umgeschrieben wurde, stimmen nun Nikola Hillebrand und Patricia Nolz so gekonnt spritzig und koloratursicher an, dass man fast schon versucht ist, im flotten Rhythmus der temperamentvollen Musik seine Füße auf und ab zu wippen.

 

Stimmfarblich ausgezeichnet miteinander harmonierend, läuft einem der vokalsatte Guss wie honiggoldener Sirup den Gehörgang hinunter.

 

Wundervoll lyrisch, elegant und von einem hell timbrierten Kristallschliff erklingt auch die Stimme des Tenors Julian Prégardien, ergänzt von dem ebenso elegant leuchtenden Bariton des Konstantin Krimmel, der jugendlich frisch in das Auditorium strahlt.

 

©Miina Jung / Sopranistin Nikola Hillebrand

Und auch die Brahms Nacht strahlt insgesamt klangvoll mit ihren vier leuchtenden Vokalsternen ins Auditorium und sorgt noch weit bis in den 3. Programmteil für allerlei unerwartete Überraschungen, denn die vorgesehene 2. Pause wird ebenso spontan wie das abgeänderte Programm einfach gegen ein herrlich bunt durchmischtes Zugabenrepertoire ausgetauscht.

 

Et voilà! Die inoffiziellen "Encore-un-fois" werden somit Bestandteil des offiziellen Programms. Das Publikum ist begeistert, auch wenn die Pause an frischerer Luft dem ein oder anderen Zuhörer gutgetan hätte.

 

Doch schnell verfliegt das Bedauern, nicht noch ein Erfrischungsgetränk zu sich nehmen zu können, bevor der ausklingende Abend eingeläutet wird.

 

Mit Spannung hofft man nun auf ein melodiöses Zugabenpotpourri. Und das folgt dem bereits gelungenen Zweiteiler auf dem Fuß.

 

Stolz und mit ariosem Schmackes bezirzt Carmen alias Patricia Nolz mit ihrem goldschimmernden Mezzosopran den eifersüchtigen Don José. Kokett, flirtiv und zwitschernd perlen die Töne der österreichischen Sängerdarstellerin elastisch und mit unangestrengter Eleganz die Register mühelos rauf und runter. Mit samtschmelzendem Timbre und einer farbensatten Wärme in der Stimme gelingt die Interpretation des spanischen Rasseweibs auf eine ästhetisch strahlkräftige und zugleich verzaubernd magnetisierende Weise.

 

©Klara Leschanz

Nachdem die Oper ihren ganz großen Auftritt hatte, wird im Darauffolgenden die Muse etwas leichter, auch wenn die saloppe Bezeichnung für das äußerst schwierige Operettenfach immer wieder ganz entschieden in die Irre führt.

 

Dass es dennoch leicht, duftig und blumig klingen kann, beweist die Sopranistin Nikola Hillebrand, die sich mit Franz Léhars Arie "Hör ich Zymbalklänge" aus der Operette "Zigeunerliebe" ein ganz besonderes Musenstück der lockeren Unterhaltung ausgesucht hat.

 

Schwierige Läufe, extreme Registerwechsel, temporeich und rhythmusstark, alles beherrscht die junge Sopranistin wie aus dem Effeff. Dabei vereinen sich Emotionen, Leidenschaft und heiß loderndes "Zigeunerblut" in geballter Intensität auf das Virtuoseste mit der Magie ihres Schöngesangs.

 

Herrlich, wie auch die Spitzentöne wie ein einziger großer Triumph frei, brillanthell und punktgenau so mitten ins Herz treffen. Das Publikum fühlt sich erreicht, der Abend steigert sich immer mehr und lässt auch energetisch die überbordende Freude nicht eine Sekunde verblassen.

 

©Flo Huber

Etwas melancholisch wird es erst, als Konstantin Krimmel sich dem Frank Sinatra Lied "Take my love" hingibt, das auf musikalischen Motiven von Johannes Brahms 3. Sinfonie in F-Dur basiert.

 

Arios gesungen und grandios interpretiert, genießt man die kraftvolle Stimme, die sich baritonal elegant durch das verklärt verträumte Lied mäandert und einen in die rosaroten Gefilde verliebter Pärchen entführt. Dabei ziehen "Rote Abendwolken" alsbald ihre letzten Kreise über die hereinbrechende Nacht.

 

Rotgolden schimmern sie in Form des Brahmschen Zigeunerliedes Op. 103 am weiten Horizont und bilden einen mehr als fulminanten Abschluss eines i-tüpfelchenreichen Konzerts, bei dem vielleicht sogar Johannes Brahms höchstpersönlich eine leise Freudenträne vergossen hätte.