Dolce Vita und Walzerseligkeit mit Piotr Beczala in der Elbphilharmonie

01. Juli 2022

Rubrik Konzert

©Anja Frers

Wer im Großen Saal der Elbphilharmonie seine Stimme hergibt, der muss entweder verrückt und äußerst wagemutig sein oder aber Piotr Beczala heißen. 

 

Was sich der polnische Tenor mit seiner hell leuchtenden Stimme für den heutigen Abend vorgenommen hat, klingt wahrhaft viel zu schön, um wahr werden zu können.

 

Mit dreivierteltaktquirligen Operettenperlen, italienischen Schmonzetten und bekannten Opernarien des italienischen Fachs wagt sich der stentorkräftige "Barde" zusammen mit seiner kongenialen Liedbegleiterin Kirstin Okerlund und dem Wiener Solistenquartett tatsächlich aufs heikle Glatteis der unberechenbaren Akustik des hanseatischen Monumentalbaus.

 

Ob der Große Saal intimes Flair versprühen kann und ob die leichte Muse in dieser offenen Atmosphäre überhaupt feuerwerksopulent zu zünden vermag, wird sich zeigen.

 

Zumindest gelingt gleich zu Beginn der Auftakt mit dem Wiener Solistenquartett und dem Walzer op. 79 - Gold und Silver von Franz Léhar. Von hoch oben aus dem vorletzten Rang vernimmt man problemlos die ersten flirrenden Streichersäufzer und die sodann vor Elan sprühenden Folgetakte der drehtaumeligen Walzermusik.

 

Widerstandslos wippen meine Füße tänzelnd jeden einzelnen Ton mit, so schwungvoll und mit der gewissen Prise Schmelz und Schmäh stimmen die fünf Solisten unter klaviertuoser Begleitung das Publikum auf einen erheiternd seligsüßen Abend ein.

 

©Anja Frers

Doch auch der Mann mit der vokalathletischen Strahlkraft zeigt, was in ihm drinsteckt. Vor allem aber zeigt der Bonvivant gleich im ersten Programmteil, wo der Walzer langläuft und was es braucht, um so einen ausufernd großen Saal stimmtechnisch zu bezwingen.

 

Leicht ist es nicht. Und nach kaum merklichen Startschwierigkeiten, den Saal allumfassend zu durchdringen, strahlen die Töne bis in jeden Winkel der wirklich schwammigen Akustik. Wie gut, dass der charismatische Sängerdarsteller es versteht, mit den Gegebenheiten des Raumes zu interagieren.

 

So dreht er sich mit aller Regelmäßigkeit zu allen Seiten des Publikums, singt in jede erdenkliche Richtung des übergroßen "Bienenstocks" und gleicht damit das Manko der undifferenzierten Resonanzschwingungen irgendwie - Macht seiner Stimmkraft - wohlgefällig aus.

 

Ein ideales, direktes, tragendes und lupenreines Klangerlebnis stellt sich dennoch in den oberen Rängen nicht wirklich ein. Es bleibt mühevoll, ganz besonders für den Zuhörer.

 

Immer wieder entsagt sich einem das volle Potenzial der kraftvollen Stimme, die je nachdem, in welche Richtung sie singt, mehr gedämpft als kristallklar schmetternd in das Publikum abstrahlt.

 

Lediglich im Parkett kann sich perfekt entfalten, wozu eine exzellente Akustik imstande ist.

 

©Anja Frers

Aber all das, kann den Spaß an der musikalischen Freude nicht wirklich trüben. Nach den ersten Léhar Einlagen aus der Operette Land des Lächelns, folgt der Allzeitklassiker unter den Operettenlieblingen.

 

Mit "Dein ist mein ganzes Herz" schafft es der polnische Tenor, sich die Herzen seines Hamburger Publikums schon im ersten Prgorammteil stürmisch zu erobern.

 

Frenetischer Applaus ist die Antwort auf das flehentliche Bitten, ein liebendes Herz zu erhöhren. Wer könnte da nicht schwach werden, wenn Beczala so innig, inbrünstig und mit leidenschaftlicher Verve seine vokalen Liebesbekundungen so emotional über seine Lippen in die Welt trägt.

 

Es gibt keinerlei Zweifel daran, dass die Operette dem Sängerdarsteller bestens steht.

 

Nach weiteren Darbietungen, die von Paganinis "Gern hab´ich die Frauen geküsst" bis hin zu Stolz "Ob blond, ob braun ich liebe alle Frau´n" changieren, wird immer transparenter, wie ausgezeichnet Beczalas Stimme, biegsam und anschmiegsam zugleich, der leichten Muse den nötigen Esprit und die spritzige Leichtigkeit verschafft.

 

Unnötig zu erwähnen, dass dieser Mann zu einer der besten Operettendarsteller dieser Tage zählt. Beczalas Stimme hat den Klangschmelz, die sprudelnde Leichtigkeit und das gewisse Leuchten in der Stimme, das sich elegant, frisch und jugendlich mit einer äußerst sonoren Mittellage verbindet. 

 

©Anja Frers

Was also kann das operettenaffine Herz wohl mehr begehren? Wie wäre es zur Abwechslung mal mit Opernarien und italienischen Canzoni?

 

Genau diesem Repertoire widmet sich der Alleskönner gleich nach der Pause, die ich nutze, um mir im Parkett einen noch freien Sitzplatz zu ergattern.

 

Und siehe da, plötzlich ist auch das Klangerlebnis ein komplett anderes. Diese Unmittelbarkeit, dieses direkte Abstrahlen der Stimme, die so viel mehr "Wumms" und Facettenreichtum offenbart, hört man sie aus nächster Nähe dem Sänger frontal zugewandt.

 

Freudig lasse ich mich auf die nächste musikalische Reise ein, auf die mich der Startenor in "das Land, wo die Zitronen blühen" entführt. Nun erlebt das Publikum bekannte Schlager wie Mattinata, Torna a Surriento und einen Hit, den einst Heintje vor mehreren Jahrzehnten in Deutschland zu ohrwurmträchtiger Popularität verholfen hat. Mama! Zu italienisch: Mama son tanto felice.

 

Tenoral dargeboten und mit dem gewissen italienischen Temperament verklangbart sich der schmalzige Schlager zu einer "bellisima cazone", die man gerne untermalend, wohl auch weil die Nummer immer noch Ohrwurmpotenzial hat, mitsummen würde.

 

©Anja Frers

Zu guter Letzt gibt es die Crème de la Crème aus ariosen Verdi und Puccini Meisterwerken. Jetzt wird es ernst, zumindest, was das Steigerungspotenzial der tenoralen Kapazitäten anbelangt, denn die sind noch lange nicht ausgeschöpft.

 

"La donna è mobile" - verführerisch lockt Piotr Beczala mit seiner geschmeidig samtzarten Stimme das Vollweib aus der Reserve hervor. So zumindest kommt es einen vor, wenn man dem Sängerdarsteller bei seiner gekonnt geschauspielerten und gesanglichen Darbietung beobachtet.

 

Doch das ist noch nicht alles: Die Sahnestücke der ariosen Fixsterne am Opernhimmel sind noch längst nicht ausgesungen.

 

Mit "Recondita Armonia" und "E lucevan le stelle" aus Puccinis epischer Oper Tosca legt der brillante Tenor noch eine große Schippe obendrauf. Instrumental abgerundet durch das Wiener Solistenquintett und Kristin Okerlund am Klavier, singt sich Piotr Beczala in einen emotionalen Zustand, der einer sphärischen Entrücktheit gleich kommt, zumindest was letztere Arie des verzweifelt klagenden Cavaradossi anbelangt.

 

Ein verzaubernd schöner Abend klingt langsam aus, Applausstürme durchdringen das Auditorium. Immer wieder kristallisieren sich Bravi-Rufe aus dem Publikum heraus, die nach einer Zugabe fordern.

 

Mit der Blumenarie aus Bizets Oper Carmen beschließt der charismatische Sänger einen äußerst gelungenen Konzertabend.

 

Und ich, ich drehe mich auf dem Vorplatz der Elbphilharmonie unbemerkt noch mal um die eigene Achse, weil das Walzern einfach zu schön ist.


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