Gelungener Fidelio mit Jonas Kaufmann beim Menuhin Festival in Gstaad

12. August 2022

Rubrik Konzert

©Raphael Faux

Fidelio, das dramatische Meisterwerk Beethovens, das von Freiheit in einer Welt erzählt, in der genau dieses Attribut nicht von Grund auf selbstverständlich ist.

 

Zeitlos wie eh und je hält es in diesem Festspielsommer Einzug in das Konzertzelt des Schweizer Alpendörfli Gstaad. Prominent vertreten, geben sich Operngrößen wie Jonas Kaufmann in der Rolle des Florestan und Sinead Campbell-Wallace als Leonore beim Menuhin Festival die Ehre vor elitärem Publikum eine konzertante Version des Opernepos zum Besten zu geben.

 

Nach einer rundum gelungenen Aufführung darf man froh sein, dass die Veranstaltung überhaupt auf die Bühne der unscheinbaren Zeltveranstaltung gefunden hat, denn noch vier Tage vor der eigentlichen Aufführung war nicht klar, ob es überhaupt eine Eleonore geben würde.

 

Stehend und fallend mit der Hauptprotagonistin, die ursprünglich von Anja Kampe bekleidet werden sollte, aber aufgrund einer Corona-Infektion das Handtuch schmeißen musste, blieb mit Simone Schneider als Zweitbesetzung ein Hoffnungsschimmer, der aber just in dem Moment verglimmte, als auch sie das Virusfieber packte.

 

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Wer dann kam, sang und siegte, war keine andere als die auf den Salzburger Festspielen unlängst gefeierten Sopranistin Irin Sinead Campbell-Wallace.

 

Das Steuer herumreißend, rettet sie an diesem schwülwarmen Sommertag im idyllischen Kleinod Gstaad als kämpferische Gattin Florestans dem Startenor samt Sängercast und Orchester den Allerwertesten und stiehlt dabei einem gewissen Tenor fast noch die Show.

 

Nicht ganz überzeugt von dieser konzertanten Fassung, die sich bestenfalls in einer gut gemachten Operninszenierung versteht, gelingt die Umsetzung ohne Bühnenbild und Requisiten dennoch auf das Formidabelste, dem rhetorischen Erzählgeschick des Schauspielers Peter Simonischeck sei Dank.

 

Texte aus Roccos Erzählung von Walter Jens, die retrospektiv als Bausteine in das musikdramaturgische Treiben der Sängerdarsteller eingebettet werden, lassen die Oper des Rock´N` Roller der klassischen Musik nachvollziehbar werden, ganz besonders auch für diejenigen, die mit konzertanten Opern nicht hinreichend vertraut sind.

 

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Packend und mit strahlkräftiger Verve, vollmundig und mit dramatischer Leidenschaft singt sich die irische Sopranistin im Laufe des Abends in die Herzen des verwöhnten Schweizer Publikums.

 

Leuchtend hell in den exponierten Höhen, vollweiblich, reif und saturiert in der warmgoldenen Mittellage, bricht sich das Vokalinstrument der Sängerdarstellerin seinen Weg in die dramatischen Schlüsselszenen der verzweifelten Eleonore.

 

Nahtlose Registerverblendungen, astreine Phrasierungen gepaart mit einer betörenden Strahlkraft, die sich auch schauspielerisch offenbart, zeichnen die stimmliche und darstellerische Versatilität der Sinead Campbell-Wallace aus.

 

Doch auch Jonas Kaufmann überzeugt und muss sich keineswegs hinter dem leuchtenden Stern der Vokalathletin verstecken. Heroisch mäandert seine Stimme in vokal rauschhaften Zuständen, mal exponiert stentoralkräftig, mal samtweich und geschmeidig glatt in der schokoladensatten Mittellage, die für sein baritonal eingefärbtes Vokalinstrument so bezeichnend ist.

 

©Raphael Faux

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Die "Himmlischen Freuden" haben es ihm auf jeden Fall angetan. Mit Leidenschaft, Verve und einer hingebungsvollen Innigkeit durchdringen die Töne mit einer emotionsgeladenen Intensität die Luft, die sich wirklich immer dann verändert, wenn Herr Kaufmann auf der Bühne singt und agiert.

 

Ob das auch bei der irischen Künstlerin so ankommt. Tatsächlich befruchten sich die beiden Gesangsinterpreten gesanglich auf das Stimmigste. Vokal zärtelnde Verschmelzungen in den gemeinsamen Duetten sowie hauchzart liebkosende Tonalberührungen lassen einem Gänsehautmomente erfahren, die elektrisierend und unerwartet magisch sind.

 

Wie aus einem Guss schimmern die multifacettierten Klangfarben der Sopranistin und des Tenors warmgolden ins Auditorium.

 

Getoppt wird das Ganze ebenfalls!

 

Verblüffend, aber fraglos exzellent gestaltet sich die Rolle des Bösewichts Don Pizzaro, die vom Bariton Falk Struckmann bekleidet wird.

 

©Raphael Faux

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Mit ozeanisch ausufernder Stimmgewalt, einer stentoralen Wucht, die bis tief in die Kerkeruntiefen dringt, erlebt man eine "Kellerstimme", die dunkelsonor und vollmundig wie ein Jahrgangswein anmutet.

 

Fantastisch gespielt packt einen schnell der Ekel vor so einem fiesen Schurken. Andreas Bauer, der basserprobt den gewitzten Gefängniswärter Rocco gibt, scheint seine Rolle ebenfalls spielsicher und gesanglich versiert auszuleben.

 

Bleiben noch die Turteltäubchen Marzelline und Jaquino, die in ihren liebreizenden Rollen gänzlich aufgehen.

 

Mit ihrer jugendlich anmutigen Stimme bezirzt Marzelline, alias Christina Landshamer recht keck, munter und ein bisschen wild den einfältigen Jaquino alias Patrick Grahl, der mit seinen platten und äußerst plumpen Anmachversuchen bei Marzelline kein Land gewinnen kann.

 

©Raphael Faux

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Orchestral zeigt sich das Dirigat von Jaap van Zweden zackig, resolut, aber dynamisch nicht immer sehr differenziert.

 

Und obgleich die 1800 Zuhörer sich im immer stärken aufheizenden Zelt kaum noch an Sauerstoff erquicken können, so belebt die rundum gelungene konzertante Fassung mit samt ihren grandiosen Künstlerinterpreten und animiert das enthusiasmierte, wenn vielleicht auch dehydrierte Publikum zu freudigen Applausstürmen.