Eine starbesetzte Lucia mit Oropesa und Bernheim an der Wiener Staatsoper

27. April 2022

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Qualität zahlt sich aus! So auch in dieser starbesetzten Inszenierung der Lucia di Lammermoor an der Wiener Staatsoper. An diesem Abend glänzt an der Seite von Tenorhoffnung Bejamin Bernheim die US-amerikanische Sopranistin Lisette Oropesa, die als Lucia alle nur möglichen Register ihrer koloraturreichen Sopranstimme zieht.

 

Szenisch in eine karge Hochebene im schottischen Nirgendwo verhaftet, wintert es mitten im frühlingsgeladenen Wien, allerdings nur auf der schneebedeckten Bühne, dort, wo sich das tragische Geschehen um eine unglückliche Liebe abspielt.

 

Die Protagonisten Lucia und Edgardo, beide aus verfeindeten Familien stammend und dennoch in Liebe zueinander entbrannt, durchleben die anfänglichen Höhen ihrer heimlichen Verbindung draußen in der klirrenden Eiseskälte des unbarmherzigen Winters, wo sie sich in wärmenden Gedanken umeinander hoffnungsfrohe Zukunftsvisionen bauen.

 

Im Hintergrund der winterlichen Einöde steht omnipräsent das hochherrschaftliche Anwesen der Lammermoors, Lucias Familiensitz.

 

Wie ein kerkerhaftes Hochhaus, das noch nicht einmal als goldener Käfig bezeichnet werden kann, sondern vielmehr als ein erdrückendes, einengendes Gefängnis wahrgenommen werden muss, regt sich in ihm kaum ein Gefühl, dringt kaum ein bisschen einladende Wärme nach draußen in die zu Hoffnungslosigkeit erstarrte Landschaft.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Laurent Perry, der für dieses Regiekonzept verantwortlich zeichnet, malt ein düsteres Bild einer zukunftslosen Liebe, die nicht nur zum Scheitern verurteilt ist, sondern sogar in einem todbringenden Drama kulminiert.

 

Und mittendrin der unbarmherzige Bruder Lucias, der mit allen unlauteren Mitteln um den Machterhalt des Familiensitzes der Lammermoors kämpft.

 

Edgardo Ashwood ist ihm ein großer Dorn im Auge, der Todfeind, den es um jeden Preis auszuschalten gilt. Mit List und Tücke gelingt dem gefühlskalten Patriarchen das scheinbar Unmögliche.

 

Gegen den Willen Lucias wird der leidenden jungen Frau die Zwangsehe mit dem einflussreichen Arturo auferlegt.

 

Der Kerker, der im 2. Akt nun immer präsenter in den bühnentechnischen Vordergrund rückt, wird zu einem albtraumhaften Labyrinth, aus dem es für Lucia ganz offensichtlich kein Entrinnen mehr gibt.

 

Umzingelt von den erdrückenden Wänden und in eine Einbahnstraße der Verzweiflung gelenkt, in der es weder ein "Vor" noch ein "Zurück" gibt, bleibt Lucia nichts außer dem trostlosen Schicksal, das unaufhaltsam seinen unausweichlichen Lauf nimmt.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Erst mit der Ermordung Arturos in der Hochzeitsnacht gelingt es Lucia, sich aus den Fängen ihrer Zwangsheirat zu befreien. Doch leider für einen viel zu hohen Preis. Lucia dreht durch und erliegt zu guter Letzt ihren Wahnvorstellungen.

 

Laurent Perry hätte dieser zutiefst psychologisch abgründigen Tragödie kein eindringlicheres Bühnenbild verpassen können, als just dieses grau in grau marmorierte leblose Bildnis einer hässlichen Landschaft und eines ebenso hässlichen Goldkäfigs, in dem man eigentlich keine Paradiesvögel gefangen hält.

 

Dass es aber in dieser modernen Inszenierung nur so von schaustellerischen Paradiesvögeln wimmelt, könnte der relativ leidenschaftslosen Interpretation nicht eindrücklicher entgegenwirken.

 

Benjamin Bernheim und Lisette Oropesa in den jeweiligen Rollenpartien des Edgardo Ashwood und der Lucia di Lammermoor schaffen das schier Unerwartete.

 

Mit leidenschaftlicher Verve, ausdrucksstarken Gefühlen, einer schauspielerischen und gesanglichen Strahlkraft erlebt man als Zuschauer diese Donizetti-Oper wie man sie selten so gleichsam professionell wie auch künstlerisch gehaltvoll auf der Opernbühne dargeboten bekommt.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Lisette Oropesa, die sich vor positiver Energie sprudelnd gleich im ersten Akt gesanglich verausgabt, was die Palette ihrer hell timbrierten Stimmpotenz nur so hergibt, beeindruckt auch im 2. und 3. Akt mit ihrem mal larmoyant klingenden, dann wieder feinperlend belcantistisch anmutenden Sopran.

 

Mit so viel Ausdauer, so viel vokaler Wucht, gepaart nur mit einer weiblichen Stentorkraft, die ihresgleichen sucht, gelingen Oropesa nicht nur sämtliche Koloraturen im Schlaf, sondern auch die mörderische Wahnsinns-Arie, die satte 20 Minuten vokalathletische Höchstleistungen abverlangt.

 

Nicht jede Koloratursopranistin kann so eine wahnsinnstolle Rolle bekleiden, geschweige denn überhaupt singen.

 

Schlank und äußerst modulierbar in den exponierten Höhen, warmgolden in der sicheren Mittellage und einer starken Ausstrahlung, so herrlich dramatisch und wunderschön belcantistisch zugleich, wird Donizettis Meisterwerk zu einem absoluten Feuerwerk der Gefühle, nämlich dann, wenn Lisette Oropesa in ihr so üppig vokalsatt brilliert.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Und auch der französische Tenor Bejamin Bernheim überrascht auf das Positivste in seinem Debüt als Edgardo. Bereits seit einiger Zeit als zukünftige Tenorhoffnung auf dem oftmals so hoffnungslosen Tenormarkt gehypt, hält der belcantistische Barde mit der glockenhellen Stimme tatsächlich, was die mediale Welt schon längst in den höchsten Tönen über Bernheim hat verlauten lassen.

 

Genau diese hohen Töne sind es auch, die eine hypnotische Anziehungskraft auf den Hörer ausüben. Schauspielerisch weniger facettenreich, zeigt sich mit Bernheims Vokalinstrument eine Wandelbarkeit, wie sie wenige Tenöre an den Tag legen können.

 

Flexible Höhen, farbenreiche Koloraturen, unbemüht ausufernde Legati, ein feinsilbriger Klang, der golden warm und weich nachschimmert. Genau so einen Schöngesang, auch wenn mich die helleren Tenöre normalerweise nicht hinter dem musikalischen Ofen hervorlocken können, den gönne ich mir zukünftig doch häufiger.

 

Dem jugendlichen Klang eines Benjamin Bernheim kann man sich nach so einer traumhaften Lucia di Lammermoor einfach nicht erwehren.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Insgesamt liefern auch George Petean und Josh Lovell als Bruder und Bräutigam Lucias gesanglich und schauspielerisch einwandfrei ab. Becantistischer Schöngesang und dramatische Leidenschaft: An diesem Abend fehlt es an nichts, was das opernaffine Herz begehrt.

 

Bleibt nur noch das Dirigat des feinfühligen Evelino Pidó, der mit Umsicht das ganze Gefühlsbarometer der Oper Donizettis auf einen orchestral formvollendeten Nenner bringt.

 

Hass, Leidenschaft, Rachegelüste und Wut: Alle Nuancierungen menschlicher Gefühle vereinen sich ausdrucksstark in der farbenreichen Musik des Belcanto und werden nur noch getoppt von der überirdisch weltlich entrückt klingenden Glasharmonika und dem geheimnisvollen Harfensolo in Lucias Arie: „Regnava nel silenzio".

 

Wenn Donizettis Meisterwerk ein Werk der Seele ist, dann hat es Evelino Pidó geschafft, sich musikalisch mit größter Leidenschaft in ihr zu verlieren.


©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

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