Jonas Kaufmanns persönlicher Sommernachtstraum im idyllischen Kloster Benediktbeuern

30. Juli 2022

Rubrik Konzert

©arp / Jonas Kaufmann

Wenn es Konzerte gibt, die einem als unvergesslich, einzigartig und tatsächlich unvergleichlich in Erinnerung bleiben, dann sind es meistens die musikalischen Highlights, bei denen irgendetwas schief geht und sei es nur, dass der Wettergott dem lauen Sommernachtstraum einen gehörigen Strich durch den romantischen Abend machen will.

 

Während sich im Innenhof des Klosters Benediktbeuern bereits die ersten zarten Regentropfen über das aufgehübschte Publikum ergießen, fegen starke Windböen über das Areal und bringen das robust wirkende Bühnenkonstrukt mehrmals gehörig zum Scheppern.

 

Noch ist vom Orchester nichts zu sehen. Und auch der Tenor der Tenöre, Jonas Kaufmann, lässt mit Verspätung auf sich warten. Doch dann, mit einiger Verzögerung betreten die Augsburger Philharmoniker mit ihrem Dirigenten Jochen Rieder die immer noch vom Wind erfasste Bühne und beginnen mit der veristischen Ouvertüre zu Leoncavallos "Pagliacci" auf den unwirtlichen Abend durch erheiternde Vitamin-Dur Klänge einzuwirken.

 

Pfeifend zerrt der Wind nun auch noch an Partituren und einzelnen Notenblättern, sodass die Instrumentalisten Mühe und Not haben, sich auf das Umblättern ihrer fast wegfliegenden Seiten zu konzentrieren.

 

Als Jonas Kaufmann endlich die Bühne betritt, um mit Tonios Arie "Si può" den Wettergott versöhnlich zu stimmen, kracht es ganz plötzlich so heftig im Gebälk des Bühnendaches, dass Orchester und Sänger mitten im musikalischen Spiel abrupt verstummen.

 

Ein wenig verdutzt, vielleicht sogar perplex lässt Kaufmann verkünden, er habe heute seine Hausaufgaben gemacht und den Wetterbericht  akribisch studiert. Mit dem unwillkommenen Alp, der doch ein Sommernachtstraum sein solle, habe er so nicht gerechnet.

 

Beschwichtigend fügt er hinzu, die Bühne würde sich gleich durch die Windstöße noch ein wenig zurecht ruckeln und dann ginge es auch schon weiter.

 

Gesagt, getan: Ohne große Diskussionen fordert Kaufmann seinen Dirigentenkollegen dazu auf, die musikalische Reise in das Land, wo die Zitronen blühen und die Sonne warmgolden scheint fortzusetzen, auch auf die Gefahr hin, dass Notenblätter sich aerodynamisch verselbstständigen könnten.

 

Nach nur wenigen Minuten beruhigt sich die Wetterlage so plötzlich, wie sie aufbrausend daherkam. Ob das wohl etwas mit dem ausgewogen balsamischen Schöngesang des Künstlerinterpreten zu tun hat?

 

Direkt im Anschluss an die wetterbeschwichtigende Arie folgt gleich der nächste ariose Kassenschlager  "Vesti la giubba"  aus Leoncallos Pagliacci, in der sich Jonas Kaufmanns theatralische Wut brandheiß gegen die Stürme des Lebens und die Grausamkeiten der zwischenmenschlichen Beziehungskonstrukte richtet.

 

Zum Fürchten herrlich, zum Erschauern schön steigert sich der Tenor der Herzen in eine wutschäumende Rage, die gesanglich nicht nur eindrücklich auf das Publikum überschwappt, sondern ganz besonders den Wolkengebilden am Himmel eine Kampfansage bereitet, auf dass sich diese zumindest für den Moment der musikalischen Darbietung vorerst erschrocken zurückziehen.

 

Danach wird es versöhnlich. Verliebt in ein schüchternes Mädchen, besingt Jonas Kaufmann in der Rolle des armen Studenten Rodolfo sein aufblühendes Liebesglück. Mit "Che gelida manina" aus Puccinis epischer Oper La Bohème durchlebt man mit dem Sängerdarsteller eine gesangliche Odyssee herzerwärmendster Gefühle.

 

Zart schmelzend und schokoladensatt in den baritonal eingefärbten Tiefen blüht die Stimme auch in der kräftigen Mittellage zu vollmundiger Süffigkeit auf.

 

Strahlend weich schimmert das Vokalinstrument des Tenors durch warmgoldene Klangfarben und mäandert dabei so ruhig und vokal austariert mit weit ausholenden Legatobögen in sphärische Tonalhöhen, dass einem der herabprasselnde Regen auch nicht mehr viel anhaben kann.

 

Mit der Sängerkollegin Rachel Willis-Sörensen wird es dann im gemeinsamen Duett zu "O soave fanciulla" so richtig romantisch. Aufbäumende Gefühle, harmonisch klangvolle Eruptionen tief empfundener Leidenschaft dringen vokal an die Oberfläche.

 

Zaghafte Annäherungsversuche, die sich tonal irisierend verlautbaren und von einer intensiven Vokalerotik zeugen, dass man die Funken der Liebe fast schon überspringen sieht, entfachen magische Momente.

 

Kurz vor Ende des ersten Programmteils wird es dann noch mal besonders verismolastig. Mit Andrea Cheniers Arie "Un dì all'azzurro spazio" läuft Jonas Kaufmanns Stimme zu formvollendetem Schöngesang auf. Gesangsakrobatik und emotionale Tiefe vereinen sich dabei zu einer harmonischen Melange, die nicht nur überzeugt, sondern bewegt und aufrührt.

 

Dabei fällt ganz ungemein auf, wie deutlich nachgedunkelter und extrem baritonaler im Klang das Vokalinstrument des tenoralen Barden erklingt.

 

Noch während der Pause wird das Wetter ein letztes Mal ungnädig, der wolkenverhangene tiefgraue Himmel löst sich dabei in nasses Elend auf. Dann wird es tatsächlich heiter und das nicht nur im meteorologischen Sinn.

 

Musikalisch fährt der Tenorissimo nun ein ganz besonderes Programm bestehend aus Operette, Berliner Hits der 20er-Jahre, Filmmusik und italienischen Arienklassikern auf. Doch zuvor lässt er es sich nicht nehmen, seinem Publikum die fehlende Programmlektüre nahezubringen.

 

„Ich wusste nicht, dass Sie gar nicht erfahren, was wir hier machen“, entschuldigt sich Kaufmann lausbübisch verschmitzt und verspricht den zweiten Programmteil nun vor jeder musikalischen Einlage anzumoderieren.

 

Ein ausführliches Résumé des ersten Programmteils folgt auf dem Fuß und sorgt für begeisterte Lacher im Publikum.

 

Nun geben sich der Tenor und die Sopranistin einen wechselseitigen Schlagabtausch. Mal singt Rachel Willis-Sörensen, mal Herr Kaufmann. Und mal verzaubern sie die Zuhörer in gemeinsamen Duetten. Ob Wiener Blut oder Lippen Schweigen, gerne küsst Herr Kaufmann auch mal die Hand der Madame oder wartet mit einem "Blauen Himmelbett" auf, in das er sich nur musikalisch hineinlegt, denn "Treu sein, das liegt ihm in der Rolle des Grafen von Luxemburg so rein gar nicht.

 

Alles ist möglich, alles scheint an diesem Abend in musikalisch rosarote Watte gepackt zu sein. Ein Kaleidoskop besonders liebevoll zusammengestellter Operettenklassiker, schwungvoller Arienschmankerl und eine bezaubernde Sängerkollegin, die es versteht, ihr Publikum zu verzücken und mit ihrer biegsamen, hell schimmernden Stimme in Zauberwelten zu entführen, auch wenn Sie über eine Lautsprecherbox stolpernd die Technik beinahe hätte außer Gefecht setzen können.

 

©arp / Jonas Kaufmann

So bleibt dieser Abend trotz aller unvorhergesehenen Pech- und Pannenerlebnisse ein absoluter Hit, der mit so viel Charme und ausgeprägtem Entertainmentpotenzial von Jonas Kaufmann auf Hochglanz poliert wird, dass man dieses erinnerungswürdige musikalische Ereignis einfach zu den überhaupt schönsten neben dem legendären Waldbühnenkonzert zählen muss.

 

Doch noch ist das Konzert nicht zu Ende - noch lange nicht, denn der Vokalakrobat mit dem samtweichen Klangschmelz hat ja noch ein Zugabenprogramm in petto, dass sich das Publikum applaus- und ovationsstark erst noch erarbeiten muss.

 

Aufgedreht und in allerbester Laune verkündet der Tenor: "Der Rest liegt sozusagen in ihren Händen". Das Credo lautet demnach: Klatschen, bis der Arzt kommt oder eben der Kaufmann wieder und wieder auf der Bühne erscheint!

 

Und der erscheint nur allzu gerne und erfreut sein frenetisch applaudierendes Publikum mit weiteren sieben Zugaben, die er sich mit der US-Amerikanischen Sopranistin aufteilt.

 

Besonders schwungvoll, überdreht und rauschhaft dreivierteltaktvergnügt wird es bei Emmerich Kálmáns krönender Operettennummer "Tanzen möcht´ich", bei der in schwindelerregendem Tempo die Tanzbeine zum drehtaumeligen Einsatz kommen. Der Länge nach über die Bühne fegend, tanzen sich Rachel Willis-Sörensen und Jonas Kaufmann in ein euphorisches Vergnügen.

 

Auch meine Füße wippen bereits heftigst mit und wollen nichts anderes als mitmachen.

 

Während dieser Abend für mich die Welt bedeutet und ein großer Künstler auf der Bühne sie mit ganz viel Herzenswärme für eine imaginäre Angebetete besingt, träume ich davon, nicht mehr schlafen zu wollen.

 

Und so schläft auch niemand, als Jonas Kaufmann seine Signature Arie "Nessun Dorma" wieder mal zum inbrünstig Allerbesten gibt und zu guter Letzt den Abend mit einem dahin geraunten Wiener Lied beschließt.

 

Wien, Wien nur Du allein.... Heute war es zwar nur Benediktbeuern, nicht so ganz die Stadt der Träume. Dafür aber ein idyllischer Standort inmitten des bayrischen Oberlandes mit einem traumhaften Ambiente - geradezu prädestiniert für diesen unvergleichlichen Sommernachtstraum der tenoral-sopranistischen Superlative.


©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

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©G.I Stingl Klaviere / Wiener Liederabend im Theater im Park - Wien

jonas kaufmann singt wiener lieder im theater im park

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© Festspielhaus Baden-Baden

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©Harald Hoffmann / SonyEntertainment

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