Klassik Open Air der Stars mit ariosen Dolci vor spektakulärer Kulisse am Maschteich in Hannover

16. Juli 2022

Rubrik Konzert

©Florian Arp / NDR

Ariose Dolci versüßen den sommerlich unterkühlten Abend in Niedersachsens Landeshauptstadt Hannover, denn starke Winde durchkämmen die hochherrschaftliche Parkanlage, die das Neue Rathaus mit seinen pittoresk angelegten Maschteich umflort.

 

In wenigen Stunden öffnet das  Klassik Open Air in Hannovers grüner Lunge zum 9. Mal in Folge seine musikalischen Pforten und entführt sein Publikum diesmal mit den Weltstars Charles Castronovo und George Petean sowie dem rumänischen Shooting-Star Adela Zaharia auf eine klangvolle Reise durch die Welt italienischer und französischer Arienklassiker.

 

Doch entgegen aller Annahmen, der Wettersturz von schwül schwülstigen 29 Grad auf noch nicht mal lauwarme 19 Grad könne die Hannoveraner davon abhalten, sich mit Picknickdecken und köstlichen Delikatessen auf den großzügigen Wiesen rund um den Maschteich niederzulassen, erweist sich als eine eindeutige Fehleinschätzung.

 

Bereits zwei Stunden vor dem eigentlichen Event füllen sich die Open Air Bereiche vor den großen Übertragungsleinwänden im Nu. Scharen von klassikbegeisterten Opernenthusiasten, Familien mit Kindern, Alt und Jung und auch jene, die sich vielleicht gar nicht so sehr für das elitär gemarkerte Genre interessieren, lassen sich neugierig, aufgeregt schnatternd und erwartungsvoll auf ihren eigens mitgebrachten Outdoorutensilien nieder.

 

Nobel geht dabei die Welt zugrunde, denn dem eingefleischten Kulturgenießer fehlt es ebenso wenig an Genusskultur, wie an der teils luxuriösen Picknick-Ausstattung, die so manches Mal wie ein verkleinerter Hausstand anmutet.

 

©Florian Arp / NDR

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Dagegen wirkt meine abgenutzte Picknickdecke nebst überschaubarer Proviantauswahl ein wenig spärlich, um nicht zu sagen bescheiden, bedenkt man, dass um mich herum Weinflaschen entkorkt und liebevoll zubereitete Häppchen geradewegs an mir vorbeigereicht werden.

 

Während sich das Areal langsam, aber sicher mit knapp 12.000 begeisterten Besuchern füllt, finden die letzten Proben auf der Hauptbühne vor der beeindruckend gigantischen Fassade des Neuen Rathauses statt.

 

Musikfetzen durchdringen die hoch technisierten Lautsprecheranlagen. Im Wechsel singen sich die Hauptakteure des Abends ein. Der Dirigent gibt präzise Anweisungen, nicht nur an seine Solisten und das Orchester, sondern auch an das Aufnahmeteam, das für Arte Concert den heutigen Abend live mitschneiden soll.

 

Punkt 20:30 Uhr ist es dann endlich so weit. Mit Vicenzo Bellinis Ouvertüre zu "Norma" findet der Dirigent der NDR Radiophilharmonie, Ivan Repušić, einen gelungenen Einstieg in eine fantastische Welt grandioser Arienschmonzetten.

 

Lebhaft, temporeich und mit leidenschaftlichem Temperament fliegen die Töne nur so dahin, verschmelzen die Harmonien zu einem irisierend rauschhaften Klangteppich. Ivan Repušić bringt Dolce Vita auf die Bühne und vertreibt mit seinem Taktstock den Kälteblues im Handumdrehen.

 

©Florian Arp / NDR

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Als unmittelbar nach dem orchestralen Auftakt die Sopranistin des Abends die Bühne betritt, steigt die Spannung ins Unermessliche - und das nicht ohne Grund.

 

Betörend schön mäandert die zart durchwirkte Stimme der rumänischen Sängerdarstellerin Adela Zaharia mit "Qui la voce" aus Bellinis Oper "I Puritani" ruhig strömend in schillernd exponierte Tonalhöhen, so mühelos und unangestrengt, dass man meinen könnte, jeder Ton flöge auf sanften Schwingen einer nach dem anderen davon.

 

Dass die Künstlerin aber auch ganz anders kann, zeigt sich im Verlauf des musikalisch bunt durchmischten Abends. In den gemeinsamen Duetten mit Charles Castronovo und George Petean dringen temperamentvolle Dramatik ebenso wie pulsierende Leidenschaft an die Oberfläche vokalakrobatischer Finesse und werden nur noch getoppt durch koloratursichere Salti-Mortale.

 

"Je veux vivre" heißt es alsbald im 2. Programmteil. Und dass die Interpretin der Julietta aus Gounods Oper Romeo et Juliette leben will, spürt man mit jeder Faser des Herzens. Von einer Sekunde auf die andere entfacht die charmante Rolleninterpretin ein explosiv eruptives Koloraturfeuerwerk, dass alle nur erdenklichen Klangfacetten zum Leben erweckt.

 

Dabei scheinen sich die rasend schnellen Läufe schier zu überschlagen. Rauf und runter, runter und rauf. Eine Achterbahn der Gefühle ist nichts gegen die tonal rauschhaften Höhenflüge, die bei der Opernsängerin unter Einsatz einer absolut perfekten Registerverblendung schwerelos dahinzugleiten scheinen.

 

©Florian Arp / NDR

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Charles Castronovo, der sich mit bekannten und äußerst melodiösen "Signature-Arien" an diesem erinnerungswürdigen Abend vor der eindrucksvollen Kulisse des Neuen Rathauses tonal verewigt, verzaubert mit hypnotischer Strahlkraft, die einen durch den gesamten Abend wie auf Wattewolken schwärmerisch davonträgt.

 

Mit einem dunkelsamtigen Klangschmelz, der sich aus einer vollmundig kraftvollen und ausgewogen Mittellage speist, erlebt man einen Tenor, der emotionale Tiefe besitzt und diese stimmlich in das Publikum zu transportieren vermag.

 

Honigsüß verklangbaren sich die gemeinsamen Duette mit Adela Zaharia. Doch besonders intim, innig und berührend wird es erst, als der charmante Sängerdarsteller Francesco Cileas Arie "È la solita storia del pastore" zum Besten gibt.

 

Die Seele öffnend, wird das gesungene Wort in Castronovos Interpretation zu einer Offenbarung. Rein, zart und verletzlich, nur mit dem Hauch eines Vibrato versehen, verschmelzen die Töne zu einem magisch klangvollen Guss und verlieren sich in der dämmernd schummrigen Atmosphäre des Parks.

 

Elegant, schlank und mit stentoraler Brillanz erstrahlen die Spitzentöne funkelnd und fein geschliffen in Massenets Arie "Pourquoi me réveiller".

 

Noch einmal wirft die Sonne ihre letzten abendlichen Strahlen über die Dächer der Stadt, bevor sie den Himmel in ein pastellenes Farbenkaleidoskop taucht.

 

©Florian Arp / NDR

George Petean, der als Bariton oftmals dazu verdammt ist, den Bösewicht auf der Opernbühne zu geben, singt sich trotz aller Bösewichteleien problemlos in die Herzen des enthusiasmierten Publikums.

 

Gewölbekellertief, ozeanisch ausdrucksstark und mit einem nahezu protzigen Stimmmaterial versehen, glänzt der Sängerdarsteller zu fortschreitender Stunde mit besonderen Rollenpartien.

 

Ein besonderes Highlight bildet dabei das Duett " Dio, che nell´alma infondere" aus Verdis Oper Don Carlos, das der reife Bariton mit dem US-Amerikanischen Tenor Charles Castronovo anstimmt. Herrlich harmonisch und tonal farbenreich steuern die beiden Sängerdarsteller heroisch aufbrausend auf den spannungsgeladenen Höhepunkt der Arie zu. 

 

Zum Dahinschmelzen schön erlebt man dieses virtuose Spektakel vor einer Kulisse, die ihresgleichen gerne in einer anderen Kulturstadt suchen darf, aber wohl in dieser Form nirgendwo anders finden wird.

 

©Florian Arp / NDR

Im schlussendlichen Terzett "Alerte, Alerte" aus Gounods Oper Faust geben alle drei Gesangsakrobaten noch mal Vollgas und zeigen, was vokalathletisch in ihnen drin steckt. Das Hannoveraner Publikum ist schier begeistert.

 

Frenetischer Applausregen prasselt ohne Unterlass auf die Sängerdarsteller ein. Gut, dass das Wetter hält und lediglich stürmische Begeisterungsgüsse zu unvorhersehbar erquickenden Schauern führen.

 

So bleibt den drei grandiosen Interpreten nichts anderes übrig, als je eine weitere Zugabe und ein letztes gemeinsames "Brindisi" aus Verdis Oper La Traviata zum krönenden Abschluss darzubieten.

 

Dass das alles nicht sein kann, nicht so wahr und nicht so schön, weiß auch Charles Castronovo in "No puede ser" von Pablo Sorozábal auszudrücken.

 

Zwischen Moll und Dur changierend, pulsiert in dieser baskischen "Cancíon" ein leidenschaftlicher Schmerz um eine Frau, der offensichtlich nicht gestillt werden kann, ebenso wenig wie der heimliche Wunsch des Publikums, dass dieser Abend einfach nie zu Ende gehen möge.


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