Tosca Herzschmerz mit Jonas Kaufmann in Graz

Ein konzertanter Opernthriller der Superlative

23. August 2021

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Werner Kmetitsch

Unter freiem Himmel lauschig eingepfercht zwischen den Kellergewölben der heutigen Kasematten der Grazer Schlossbergbühne spielt sich an diesem Abend ein extraordinärer Opernthriller der Superlative ab. Konzertant aufgeführt in einer fatalen Ménage à trois, begegnen sich Floria Tosca, Scarpia und Mario Cavaradossi alias Kristine Opolais, Ludovic Tézier und Startenor Jonas Kaufmann in einer semiszenischen Aufführung, die mit explosiver Stimmgewalt und großen Emotionen gespickt, das historische Gemäuer der Burganlage samt Publikum schier zum Erzittern bringt.

 

Doch da drei schon immer einer zu viel waren, kann es in Puccinis Meisterwerk auch nur einen Liebhaber für die betörend schöne Floria Tosca geben. Dass aber der walisische Bariton Bryn Terfel bereits vor der Vorstellung ungetaner Dinge das Weite sucht, überrascht, ist doch der dramaturgische Handlungsrahmen des ariosen Krimis ohne Bösewicht so überhaupt nicht vorstellbar.

 

Terfels plötzliche krankheitsbedingte Indisposition unmittelbar nach der Generalprobe lässt kurz vor knapp den französischen Bariton Ludovic Tézier auf den Spielplan rufen, sodass der melodramatische Spießrutenlauf um die Gunst einer Frau doch noch spannungsgeladen durch alle vier Akte auf den tödlich endenden Höhepunkt der Geschichte zusteuern kann.

 

Was für ein Glück im Unglück, wenn denn das Unglück den Kohl der Operntragödie fett macht, so wie in dieser delikaten Dreiecksbeziehung der Fall.

 

©Werner Kmetitsch

Meisterhaft interpretiert, gelingt dem Dirigenten Marcus Merkel ein umsichtiges, scheinbar bewusst gezügeltes Dirigat. Gleich mit dem Auftakt zur Ouvertüre erinnert Merkels Taktstockführung an ein solides Fundament, das unumstößlich einen unverrückbaren, stabilen Klangteppich für die drei Interpreten von Weltformat bildet.

 

Dabei hört man geflissentlich darüber hinweg, dass die orchestrale Untermalung an musikdramaturgischer Leidenschaft einbüßt, die aber wirkungsvoll und mit einer gehörigen Portion Temperament von der lettischen Sopranistin Kristine Opolais im Handumdrehen eingefangen wird.

 

Die Sängerdarstellerin liefert nämlich sowohl schauspielerisch als auch gesanglich wiederkehrend höhepunktreife Momente ab, die vor Hingabe und kontrollierter Ekstase nur so aus ihr heraussprudeln.

 

Mit einer rauhen Schale ummantelt, erklingt ihr Vokalinstrument in der angenehmen Mittellage wohlig herb, kraftvoll und mit einem unverwechselbaren Wiedererkennungswert.

 

In den Höhen dann plötzlich atmet Opolais Stimme zart und frei, strahlt nahezu kristallklar mit ihrer frivol verführerischen Art um die Wette. Perlend fein, mühelos luftig und von tonaler Eleganz verströmen die Töne einen vaporisierenden Schmelz, der sich erst in den wirklich exponierten Tonlagen zu einem messerscharf durchschneidend, aber nie grenzwertig hysterisch scheppernden Klang entwickelt.

 

Alles scheint bei Opolais perfekt austariert und vokalsatt ausbalanciert zu sein, ohne dabei den dramaturgischen Aspekt passionierter Hingabe außer Acht zu lassen.

 

©Werner Kmetitsch

Divenhaft und affektiert noch im ersten Akt erlebt man die Protagonistin im Verlauf der sich immer dramatischer zuspitzenden Handlung verzweifelt, liebend, hingebungs- und aufopferungsvoll. In Topform, überzeugend, ausdrucksstark und absolut präsent, verkörpert die Opolais auch schaustellerisch eine Charakterrolle, die ihr passgenau quasi auf den Leib geschneidert zu sein scheint.

 

Dem Facettenreichtum der Kollegin in nichts nachstehend schraubt sich auch der Tenor der Tenöre, Jonas Kaufmann, immer und immer wieder in klangexplosive Tonalwelten empor.

 

Mit einer exorbitanten Kraft, sauber ausgesungenen Legati-Bögen, unendlich stimmgewaltig, besticht Kaufmann durch seine dunkelsamtige Vokalpräsenz und manifestiert mit seiner gesanglichen Strahlkraft, die seinesgleichen ständig sucht und nicht findet, seinen Status als weltbester Vertreter seiner Zunft.

 

An diesem lauen Sommerabend setzt er dem Ganzen sogar noch die tenorale Krone auf, die so wie die Sterne an Puccinis Opernhimmel schimmernd funkelt.

 

©Werner Kmetitsch

Mit der Arie "E lucevan le stelle", die derzeit wohl keiner besser interpretiert und vokalisiert als Kaufmann selbst, katapultiert sich der Stimmathlet mal wieder in den Göttertempel des musikalischen Olymp.

 

Tief ergriffen von begeisterungsstürmischen Applauswellen, die in ihrer Heftigkeit nicht aufhören wollen zu verebben und sich ungebrochen donnernd über die Bühne und damit über den Münchner Tenor ergießen, erlebt man einen Kaufmann, der plötzlich mit dem letzten Schlusston so mittendrin im konzertanten Fluss pathetisch verstummt.

 

Nur an der unverkennbaren Mimik des Sängerdarstellers erahnt man seine emotionale Ergriffenheit, die sich mit tiefer Dankbarkeit und ehrlicher Bescheidenheit in einem gestenstarken Pathos offenbart.

 

Kaufmann kommt nicht umhin, seine Arie noch einmal zum Besten zu geben. Und so singt er mit beseelter Entrücktheit ein zweites Mal "E lucevan le stelle", nur scheinbar noch intensiver, noch samtzarter und mit einem schokoladensatten Klangschmelz versehen, dass einem die Gänsehaut packt und prickelnd wohlige Schauer den Rücken rauf und runterlaufen lässt.

 

©Martin Schönbauer

Auch darstellerisch ist an Kaufmanns Schauspielerqualitäten rein gar nichts auszusetzen. Obgleich die konzertante Darstellungsform einer Oper viel Improvisationsgeschick erfordert, versteht es der Münchner Tenor jedes Mal aufs Neue seine authentisch wirkenden Verführungskünste auf sein Gegenüber so zu projizieren, dass man die energiegeladene Erotik zwischen den Hauptakteuren schier zu spüren vermag.

 

Kaufmann verkörpert den "Lover Boy" auch als reifes, gestandenes Mannsbild par excellence. Aber vielleicht macht gerade eben das den Reiz aus, der mit der Fantasie eines ebenso reifen Publikums spielt.

 

Es ist, wie es ist: Auf jeden Fall kann man von prickelnder Erotik sprechen, wenn man Kaufmann und Opolais während ihres stimmlichen Schlagabtausches erlebt.

 

Das ganz große Kino kann es zumindest nicht besser als die ganz große Oper.

 

©Werner Kmetitsch

Ludovic Tézier, der zwar nur flugs eingesprungen, zum gesanglichen Meistersprung an diesem Abend ansetzt, überzeugt vollends als widerlicher Bösewicht Scarpia.

 

Brutal, unnachgiebig und in lüsterner Erwartung, sein Ziel mit aller Gewalt zu erreichen, stellt er Floria Tosca, Mario Cavaradossis Geliebter hinterher. Schamlos und mit einer machtbesessenen Aura umgeben, spielt sich Tézier in leidenschaftliche Rage, wird zur fleischgewordenen Verkörperung des Bösen und überzeugt auch gesanglich auf ganzer Linie.

 

Sein vollmundiger, ausgewogen tiefsatter Bariton trägt ihn zuverlässig durch den Vierakter. Angenehm sonor und warm klingt sein Vokalinstrument bis in die Urtiefen eines imaginären Kellergewölbes.

 

Als Hybrid in semiszenischer Manier inszeniert, eignet sich Puccinis peitschender Thriller nur bedingt für den konzertanten Rahmen.

 

Doch auch wenn die Tosca auf eine echte Opernbühne gehört, so zeigen Kaufmann, Opolais und Tézier, dass schauspielerische Kunst nicht vor der konzertanten Aufführung Halt macht.

 

Und wenn dann noch Leidenschaft und ein Höchstmaß an gesanglichem Genie mit im Spiel sind, ist es nicht nur Oper, sondern pure Magie, die verzaubert.


©Werner Kmetitsch

Bryn Terfel, der zur Generalprobe noch einigermaßen fit schien, musste bereits am Sonntag für die TV- Übertragung des ORF aufgrund einer schweren Indisposition kurzfristig absagen. An seiner statt sprang der französische Bariton Ludovic Tézier für Terfel in die Bresche und kam, sang und siegte auf ganzer Linie.

 

Mit dem Luxustrio, dass auch mit Terfel gepunktet hätte, erwachten Grazer Opernträume in einem Ambiente, das mit der Schlossbergbühne einen besonders intimen Rahmen für sternenklare Nächte und einem "E lucevan le stelle" der Superlative geschaffen hat.

 

© Marcia M. / ORF über youttube zur Verfügung gestellt

Ein filmischer Auszug aus der konzertanten Tosca in Graz. Das Magazin Seitenblicke lässt Einblicke in das Operngeschehen auf der Grazer Schlossbergbühne gewähren.


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