Lise DAvidsens singender Stern leuchtet beim Sommernachtskonzert 2024 hell auf

09. Juni 2024

Rubrik Konzert

©Niklas Schnaubelt

Hell illuminiert ist die hochherrschaftliche Parkanlage von Schloss Schönbrunn an diesem Sommerabend. Durchzogen von Menschenmassen, Schaulustigen, begeisterten Musikliebhabern und Touristen, die alljährlich in Wien aufschlagen, scheint das festlich hergerichtete Areal nur so aus allen Nähten zu platzen.

 

Es sind Tausende, Abertausende, die auch diesjährig dem berühmten Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker beiwohnen, völlig kostenfrei, qua Tradition ein Großereignis, von dem Gäste der ehemals kaiserlichen Anlage sicherlich noch lange schwärmen werden.

 

Von Nicole Hacke

 

Stets viral in die Medienlandschaft abgesetzt, schwelgt man auch vor den Fernsehbildschirmen in weltentrückter Nostalgie, denn musikalisch glänzen an diesem Abend die wohl schönsten Perlen klassischer Musikjuwelen in den nachtblauen Himmel- und das unter der Leitung von Andris Nelsons, der gleich zu Beginn den Walkürenritt mit seinem flotten Dirigat herausfordert.

 

Es kitzelt ihm nahezu in den Fingern, dieses galoppierende Stück mit energischer Hand zu zügeln, brennt sein Dirigat doch im entscheidenden Moment immer wieder gelassen mit ihm durch. Und so galoppiert es mit tosender Gewalt überwältigend in den Abend hinein.

 

Was für ein schöner Auftakt. Doch es kommt noch besser. Mit der norwegischen Sopranistin Lise Davidsen hat sich ein musikalischer Ehrengast gefunden, der in höchsten Tönen exquisite Vokalpoesie auf die Freilichtbühne bringt.

 

Gleich als Elisabeth grüßt sie sie wieder, die teuren Hallen aus Wagners epischem Meisterwerk "Tannhäuser".

 

©Niklas Schnaubelt

©Niklas Schnaubelt

Wagner ist Davidsens Steckenpferd. Ihre Stimme gibt her, was man als wuchtig oder gar walkürenhaft bezeichnen würde. Fakt ist aber, dass Lise Davidsen zu viel mehr fähig ist, als nur junonisch in tonale Erscheinung zu treten. Auch die leisen, zarten und sphärisch transzendierenden Töne gelingen der hochgewachsenen Persönlichkeit mit äußerst feiner Nuancierung.

 

Es ist eine farbenreiche, satte und in allen Facetten bouquetreiche Stimme, die der Zuhörer an diesem wohl lauen Sommerabend gustieren darf.

 

Doch als Gast bleibt die nordische Schönheit im Hintergrund des philharmonisch angereicherten Programms. 

 

Mit Smetanas programmatischer Erzählung über die "Moldau", driftet man klanglich in eine besonders üppige und reizende Naturlandschaft ab.

 

Zurück in längst vergangene Tage erlebt man wie sich der kleine Quell der Moldau in einen reißenden Strom zum Fluss entwickelt, an einer ausgelassenen Hochzeitsgesellschaft vorbeizieht, sich in einen tosenden Wasserfall verwandelt und so ein Naturbildnis evoziert, das von betörender Schönheit kompositorisch nicht perfekter hätte in Szene gesetzt werden können.

 

Andris Nelsons versteht es dabei mit ruhigem, kontrolliertem und strömendem Dirigat, einen äußerst differenzierten Klangteppich zu produzieren, der sich samtweich über die voranschreitende Nacht ausbreitet.

 

Smetana bleibt noch das Thema für zwei weitere musikalische Beiträge:

 

Polka aus der Oper "Dve Vdovy" [Die zwei Witwen] [2. Akt, Finale]

Tanz der Komödianten aus der Oper "Prodaná nevěsta" ("Die verkaufte Braut")

 

©Niklas Schnaubelt

©Niklas Schnaubelt

Danach wird es italienisch: Aus Verdis tragischer Oper "La Forza del Destino" erklingt die Ouvertüre, ein temporeiches Werk, das dem gehetzten Schicksal ein Schnippchen schlagen will, was natürlich im Sinne des Dramas nicht gelingt.

 

Flirrend kündigen sich dabei die Streicher an, just nachdem die ersten drei Schicksalstöne die musikalische Billardkugel unaufhaltsam ins Rollen bringen.

 

Die Interpretation gelingt, ist auf dem Punkt dynamisch genau und schafft Gänsehautmomente, ebenso wie die darauffolgende Arie der Lise Davidsen.

 

Mit "Pace, pace mio Dio" besingt Leonora ihr unausweichliches Schicksal. Silberfeine, zerbrechlich zarte Höhen, traumhafte Phrasierungen und Töne, die zu Schweben vermögen, uferlos abdriften in schier grenzenlose Registerweiten. Es ist erstaunlich, zu welch breit aufgestellter Genrevielfalt Lise Davidsen fähig ist.

 

Gestalterisch, dynamisch und emotional stark, rückt sie nicht nur Wagner-Arien ins rechte Licht, sondern versteht, die leisen, emotional intensiven Momente genauso gut, wie die heroische Ausführung einer Heldenpartie.

 

Das die Sopranistin aber auch das Operettenfach versteht und an diesem Abend für sich erobert, ist neu!

 

©Niklas Schnaubelt

©Niklas Schnaubelt

©Niklas Schnaubelt

Formidabel singt sie "Heia, heia, in den Bergen ist mein Heimatland" aus Emmerich Kálmáns "Die Csardasfürstin" - und zwar mit süffiger Leichtigkeit. Nichts ist zu hören von der wagnerianischen Schwere. Alles klingt leicht, duftig und in den Kopfnoten verhaftet.

 

Wow! Diese lange Stimme, die nicht nur ozeanische Tiefen produziert, sondern auch fliegende Höhen bis ins Orbitale meistert, ist einfach sensationell.

 

Wären die Berge nicht schon mein gefühltes Heimatland, so würden sie es mit Lise Davidsens Interpretation werden. Was für eine rassige Csardasfürstin, die ich der Sopranistin persönlich nicht zugetraut hätte. So überrascht das Ausnahmetalent mit immer mehr vokalen Facetten.

 

Und eine letzte Zugabe gibt es auch noch: Ohne das "Wiener Blut" von Johann Strauß würde sich wohl auch niemand aus dem kaiserlichen Areal entfernen. Noch empfehle ich mich ebenso wenig.

 

Das muss ich als begeisterte Operettenfachfrau wie ein Schwamm in mich aufsaugen, zumal die von den Wiener Philharmonikern gespielten Walzermelodien einfach umwerfend klingen,

 

Mit dem letzten Ton verklingt es dann, das Wiener Blut, versiegen tut es sowieso nie. Die Freude ist heute mal wieder um ein weiteres Festival-Ereignis größer.  Solche Konzerte braucht die Welt!

 

Programm: 

 

Richard Wagner

Walkürenritt aus der Oper "Die Walküre" [Konzertversion]

 

Richard Wagner

"Dich, teure Halle, grüß ich wieder", Arie der Elisabeth aus der Oper "Der Tannhäuser", WWV 70 [2. Akt, 1. Szene]

 

Bedřich Smetana

Vltava [Moldau], aus Má vlast [Mein Heimatland] [Nr. 2]

 

Bedřich Smetana

Polka aus der Oper "Dve Vdovy" [Die zwei Witwen] [2. Akt, Finale]

 

Bedřich Smetana

Tanz der Komödianten aus der Oper "Prodaná nevěsta" ("Die verkaufte Braut")

 

Giuseppe Verdi

Ouvertüre zur Oper "La forza del destino"

 

Giuseppe Verdi

"Pace, pace mio Dio", Arie der Leonora aus der Oper "La forza del destino" [4. Akt]

 

Augusta Holmès

La nuit et l’amour. Zwischenspiel aus Ludus pro patria

 

Aram Iljitsch Chatschaturjan

Säbeltanz aus dem Ballett „Gajaneh“

 

Dmitri Schostakowitsch

Walzer Nr. 2 aus der Suite für Varieté-Orchester

Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.


Kommentare: 0