Mit Anna Prohaska verloren im Paradies: Eine Hommage an Eva in irisierend rauschhafter Tonpoesie

16. November 2023

Rubrik Konzert

©Daniel Dittus / Elbphilharmonie Hamburg - Anna Prohaska, Julius Drake

"Paradise Lost" oder "Lost in Paradise". Bei der österreich-britischen Sopranistin Anna Prohaska verschwimmen die Konturen und lösen sich in klangsattem Wohlgefallen auf.

 

Das Paradies ist bei diesem herrlich weltentrückten Liederabend ganz sicher nicht verloren. Vielmehr verlieren sich seine Zuhörer in der orbitalen Rauschhaftigkeit vokaler Ergüsse, die in satten Nuancierungen farbenreich in den Kleinen Saal der Elbphilharmonie strömen.

 

Ein Repertoire wie ein üppiges Bouquet, duftig, sinnlich, berauschend. Ein Meer aus multifacettierten Klangfarben, eine schöner als die andere. Und dann erst diese geniale Programmatik, bei der unterschiedliche Musikepochen miteinander verschmelzen.

 

Oszillierend zwischen Barock, Romantik und Moderne, dabei immer den impressionistischen Ausdruck im Blick, gestaltet Anna Prohaska mit leidenschaftlicher Verve einen Liederabend der kunstvollen Superlative.

 

Dass sich das Programm dabei so epochal spreizt und viele Musikstile auf den Plan ruft, macht fast gar nichts, gleichen doch die Übergänge einem perfekten Schachzug programmatischer Genialität. Was will man also mehr! Nun, mehr Prohaska, denn diese Stimme macht einfach süchtig.

 

©Daniel Dittus / Elbphilharmonie Hamburg - Anna Prohaska, Julius Drake

©Daniel Dittus / Elbphilharmonie Hamburg - Anna Prohaska, Julius Drake

Perlend, kristallklar und mit einem sinnlichen Timbre gesegnet, transportiert die charismatische Liedinterpretin jedes Wort kunstvoll, aber immer beseelt und mit höchst persönlichem Ausdruck.

 

Mal gurrt es, mal zwitschert es, dann wieder plätschert es Bächlein klar und irisierend zart aus ihrer Stimme heraus.

 

Inmitten eines paradiesischen Schauplatzes erwacht Eva, die Sünderin, aus ihrem Tiefschlaf, reckt und streckt sich und versprüht eine unschuldige Nonchalance. Eva, das ist an diesem Abend Anna Prohaska.

 

In einem raffinierten asymmetrischen Fließgewand, dass cognacfarben in das Auditorium strahlt und einer ästhetisch aufgebauschten Hochsteckfrisur, erinnert die Liedinterpretin an eine Elfengestalt aus einem Märchenfilm und verzaubert ihr Publikum auch optisch mit ihrer höchst anmutigen Erscheinung.

 

Ob französisches, deutsches oder englisches Liedgut im flotten Wechsel. Sprachversiert und mit formvollendetem Duktus bricht sich die gesangliche Erzählkunst der Anna Prohaska Bahn.

 

Ja, es ist absolut bahnbrechend, wie erfrischend lebendig und zeitgemäß die Lieder aus der fernen und näheren Vergangenheit in das Jetzt und Hier katapultiert werden.

 

Diesem Sog aus Leidenschaft, persönlicher Hingabe und ekstatisch kraftvoller Magie kann man sich nicht entziehen. Hypnotisiert versinkt man in dieser beinahe opiatischen Klangessenz, die einem tonal warmgoldenen Licht gleicht und so unglaublich balsamisch auf die Seele wirkt.

 

©Daniel Dittus / Elbphilharmonie Hamburg - Anna Prohaska, Julius Drake

Wie ist einem doch das Paradies auf einmal so nah, so präsent - die Sünde, der Apfel, die Frau.

 

Und auch Anna Prohaska spart nicht mit ihrem Liebreiz, kokettiert, entführt und verführt das Publikum Lied für Lied vom genussvollen Apfel der Tonpoesie zu kosten.

 

Ausdrucksstark und mit klangmalerischer Virtuosität schafft es auch Julius Drake, Prohaskas Liedbegleiter, den roten Faden der Geschichte formschön fließen zu lassen. Sofort entstehen imaginäre Bilder. Ein Wald, grüne Blätterkronen, Vogelgezwitscher, bunte Blumen, ein rauschender Bachlauf - Eva.

 

Genau diese "Eva" trägt Julius Drake auf Händen oder besser gesagt ihren Gesang. Dabei köcheln emotionale Temperaturen hoch und heben den ausdrucksstarken Gesang der Liedinterpretin auf ein Podest.

 

Überwältigend und mit pointierter Brillanz gestaltet Drake ein Klangbild nach dem anderen. Dabei changieren die emotionalen Temperaturen von Facette zu Facette. Himmlisch!  

 

Nach einem überbordend starken Applausregen kündigt Anna Prohaska noch eine Zugabe an. Mit einer letzten Darbietung, einer volkstümlichen Weise aus Dorset, die den sinnigen Namen "I will give my love an apple" trägt, lässt die charismatische Sängerin Eva ein letztes Mal zu "Wort" kommen. 

 

Wollen wir je wieder aus diesem Paradies vertrieben werden?

 

 

©Daniel Dittus / Elbphilharmonie Hamburg - Anna Prohaska, Julius Drake

©Daniel Dittus / Elbphilharmonie Hamburg - Anna Prohaska, Julius Drake

Liederabend: Elbphilharmonie / Kleiner Saal / 15. November 2023

Sopranistin: Anna Prohaska

Liedbegleiter: Julius Drake

 

Programm: "Paradise Lost" mit Liedern von Maurice Ravel, Claude Debussy, Igor Strawinsky, Hugo Wolf, Benjamin Britten, Johannes Brahms, Robert Schumann u.v.a.

 

©Daniel Dittus / Elbphilharmonie Hamburg - Anna Prohaska, Julius Drake


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