Lise DAvidsen und Brian Jagde rocken La Forza del Destino an der Met

10. März 2024

Rubrik Oper

©Karen Almond / Met Opera

Fluchtartig stürmt eine hünenhafte Frau im bodenlangen Abendkleid aus dem Foyer eines noblen Hotels. Draußen vor dem Eingang hält sie inne, zündet sich nervös eine Zigarette an, nimmt ein paar hektische Züge, während ihr leerer Blick immer wieder desillusioniert am Boden entlanggleitet. Die Frau heißt Leonora, die gerade vor ihrer eigenen Geburtstagsfeier davonrennt.

 

Drinnen in den festlich geschmückten Räumlichkeiten wird ausgelassen gefeiert, ihr Vater ein hochangesehener General des Militärkorps, lässt nach seiner Tochter schicken.

 

Von Nicole Hacke

 

Es ist ihr Bruder Carlo, der die widerwillige Leonora zurück in den Pulk der Geburtstagsgesellschaft nötigen muss. Mit gequältem Gesichtsausdruck versucht die junge Frau Contenance zu bewahren.

 

Mehr schlecht als recht schlägt sie sich wacker an der Seite ihres patronisierenden Vaters, bis ihre Nerven endgültig blank liegen und sie sich verzweifelt in ein angrenzendes Zimmer zurückzieht.

 

Die letzten Takte der Ouvertüre verklingen, eine erschöpfte Leonora sinkt verloren auf einem Sofa in sich zusammen.

 

Was danach passiert, gleicht einem Thriller unvorhersehbarer Ereignisse, die wie eine Billardkugel unaufhaltsam Kurs auf ein unlenkbares Schicksal nehmen.

 

In die schonungslos brutale Gegenwart verortet, führt der Regisseur Marius Trélinkski sein Publikum unsanft an die Abgründe des Lebens heran, die in Verdis epischem Meisterwerk "La Forza del Destino" thematisiert werden.

 

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

Dabei bedient er sich bühnenbildtechnisch vielerlei Gestaltungselementen und schöpft die Drehbühne der Met perfekt aus.

 

Außenansichten und Innenschauen lassen tiefe Einblicke in die Gefühlswelt der Protagonisten zu.

 

Gekonnt akzentuierte Lichteffekte tun ihr Übriges, um der rabenschwarzen Nacht furchteinflößende Konturen und dem unheilvollen Schicksal eine ausdrucksstarke Dynamik zu verleihen.

 

Das Schicksal ist in dieser Interpretation des epischen Verdi-Klassikers ein finsterer Geselle, die Dunkelheit ein einsamer Ort, der beunruhigend still, die Ruhe vor dem Sturm ankündigt.

 

Neben wohl dosierten kinematografischen Sequenzen wird die Handlung spannend vorangetrieben. Nahtlose Übergänge von einem Akt in den nächsten, von einer Szene in die andere.

 

Nichts wirkt an dieser Inszenierung zu sehr gewollt oder zu artifiziell in die Moderne gedrängt. 

 

Auch lässt der Regisseur offen, in welcher modernen Gegenwart sich das Drama abspielt. Mal scheinen es die 20er-Jahre zu sein, dann wiederum findet die Handlung unmittelbar in der aktuellen Gegenwart statt.

 

Sehr prägnant wird das im 2. Akt deutlich. Dort dominiert das aktuelle Kriegsgeschehen in der Ukraine den Handlungsstrang.

 

In einem Zeltlager inmitten des tobenden Brennpunktes lassen sich sowohl unversehrte als auch verwundete Soldaten auf ein wenig ablenkende Unterhaltung durch die sinnliche Preziosilla ein, die den Soldaten mit glorifizierenden Kriegsliedern das letzte bisschen Kampfgeist einzuhauchen versucht 

 

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

Trélinski bleibt dabei ganz dicht an der Realität und erzählt den normalerweise nostalgisch gefärbten Handlungsstrang zeitgemäß.

 

Neu oder besser gesagt anders ist auch die Flucht Leonoras in einem Auto, das über den Highway bretternd ins Schlingern gerät, sich überschlägt und aus dem sich die Flüchtende nur mit knapper Not und schwer verletzt befreien kann.

 

Das Kloster, das sie hilfesuchend um Aufnahme bittet, erinnert an eine nüchterne Diakonie: Romantisiert und verklärt wird das Drama zu keinem Zeitpunkt. 

 

Vielmehr schockieren die harten Fakten, die wie eine bittere Pille schwer zu schlucken gehen. Höhepunktreif erlebt sich die Szenerie im dritten Akt, die ein grausiges Bild der Verwüstung und Zerstörung präsentiert.

 

Der Krieg ist vorbei, das Land liegt in Schutt und Asche, die Menschen hungern, leiden Not und mittendrin in der chaotischen Trostlosigkeit treffen nach langer vergeblicher Suche Leonora und Alvaro endlich aufeinander, gealtert, verhärmt, ihrer Illusionen und Träume beraubt.

 

Während Alvaro Jahre im Kloster gefristet und Buße getan hat, scheint Leonora Opfer des sozialen Abstiegs geworden zu sein.

 

Als Obdachlose irrt sie verwirrt mit ihren letzten Habseligkeiten und einem Einkaufswagen durch eine verwahrloste Bahnhofshalle.

 

Dieser Anblick schlaucht.  Gerne möchte man jetzt den Blick abwenden, das Drama sich selbst überlassen und gehen. 

 

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

Doch dafür ist der musikalische Sog so stark, dass man von den Sängerinterpreten einfach nicht ablassen kann. Die norwegische Sopranistin Lise Davidsen überrascht in dieser Inszenierung als Leonora ganz besonders positiv.

 

Es ist ihr Rollendebüt, das mehr als nur gelingt. Ihre sehr eigene Interpretation des Charakters und ihr höchst dramatischer Ausdruck lassen die vom Schicksal gezeichnete Leonora als sehr reife Frau erscheinen.

 

Kaum zu glauben, dass eine Wagner-Sängerin, der man die lyrischen Feinheiten so gar nicht zugetraut hätte, als Genrespringerin einen völlig neuen Wind in das bis dato gültige Rollenverständnis dieser Frauenfigur bringt.

 

So viel dramatische Wucht, ein Feuerwerk überschwappender Emotionen und noch dazu dieser elegante Wechsel hin zu den feinsten Lyrismen, die Zartheit und duftige Leichtigkeit versprühen.

 

Wie die Norwegerin nur dieses "Pace, pace, mio Dio" darbietet - so inbrünstig und beseelt - dass man sich erstaunt fragt, warum sie sich jetzt erst an diese Rolle herangewagt hat.

 

Mehr als gerecht wird sie ihrem dramatischen Anspruch jedoch, als sie im letzten Akt in ihrem Eremitendasein gestört wird und sich mit aufbäumend hohem B in ein "Maledizione" stürzt, dass einem das Drama nur so um die Ohren fliegen lässt.

 

Da ist sie wieder, die Frau, dir vor heroischer Strahlkraft nur so strotzt. 

 

Und all das mit einer enormen Palette intensiver Klangfarben versehen, einer vokalen Tiefe von meeresblauer Schönheit, durch die sich nuancierte Zwischentöne, emotionale Temperaturen und atmosphärische Stimmungen brechen, wie das Licht auf einer Wasseroberfläche.

 

Davidsens Leistung ist sensationell und überstrahlt fast alle Protagonisten an diesem Abend.

 

Aber auch Brian Jagde steht nicht wirklich hinter der junonischen Erscheinung zurück. Dieser Tenor ist Weltklasse. Noch vor ein paar Jahren schien er unsicher auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Immer wieder sah man ihn ganz offensichtlich zum Dirigenten hinüberschielen, ob seiner punktgenauen Einsätze.

 

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

Mittlerweile scheint das Defizit ausgelotet. Sein Schauspiel überzeugt, der Fokus liegt klar auf seiner Gesangspartnerin und der Rolleninterpretation.

 

Gesanglich gibt es an dem Mann ebenfalls nichts zu bemängeln, rein gar nichts.

 

Diese Stimme hat Starappeal durch und durch. Sonor, warm timbriert in der absolut goldenen Mittellage, die kräftig, ausgewogen und samt fein anmutet und in den Höhen so heroisch strahlend und einfach sagenhaft brillant klingt.

 

Eine Fülle multifacettierter Klangfarben breitet Brian Jagde vor einem aus - und dabei kann auch er das Drama mit kraftvoller Verve ausdrucksstark ins Publikum überschwappen lassen.

 

Mit dieser Rolle, so lässt er in der Pause nach dem zweiten Akt verlauten, würde er sich auf den Otello vorbereiten.

 

Hoffentlich wird er ihn auch irgendwann darbieten. Dass sein Stimmmaterial und sein baritonal eingefärbter Tenor dafür geeignet sind, steht außer Frage.

 

Der dritte im Bunde dieser mörderischen "Dreiecksbeziehung" ist der russische Bariton Igor Golovatenko, der gleich ein Doppeldebüt an der Met feiert, nämlich das seiner Rolle und sein eigentliches Met-Debüt.

 

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

Und was soll man sagen? Auch er überzeugt mit einer atemberaubenden Stimme, die ozeanisch tief, vokal voll ausgereift, voluminös ist und so ausufernd schöne Legato-Linien produziert, dass man anfängt, in dieser Stimme zu schwimmen, sich auf seiner flexiblen geschmeidigen Oberfläche treiben zu lassen, um dann wie in einem weichen Kissen zu versinken.

 

Das ist mal ein Bariton nach meinem Geschmack, nicht wuchtig plump und auch nicht zu sehr auf das Fach des Verdi-Baritons getrimmt, sondern ausdauernd, agil und elegant zugleich, ohne in der vollen Mittellage an Substanz zu verlieren. Dabei glimmen ihm die Rachegelüste wie lodernde Stichflammen aus dem bösen Blick heraus.

 

Wenn Blicke also töten könnten... dem russischen Bariton gelingt es zumindest genau das schauspielerisch überzeugend darzubieten.

 

Soloman Howard in der Doppelrolle als Vater Leonoras und als Padre Guardiano ist ein stimmliches Eichenfass. Was für ein Klangkörper, was für ein Resonanzraum. Auch er beeindruckt und überzeugt mit vokaler Perfektion.

 

Bleibt noch das Dirigat, ohne das die Musik nun mal nicht spielen kann. Und die Musik spielt, vielleicht nicht ganz so feinkonturiert wie es wünschenswert gewesen wäre. Spannungsgeladen und der Handlung förderlich ist sie aber zu jeder Zeit, temporeich und mit agogisch austarierter Dynamik versehen. 

 

Yannick Nézet-Séguin hat seinen Job gut gemacht und die Met mal wieder ein Glanzstück auf die große Bühne gebracht. Chapeau!

 

©Karen Almond / Met Opera

©Karen Almond / Met Opera

 PRODUCTION

Mariusz Treliński

 

SET DESIGNER

Boris Kudlička

 

COSTUME DESIGNER

Moritz Junge

 

LIGHTING DESIGNER

Marc Heinz

 

PROJECTION DESIGNER

Bartek Macias

 

CHOREOGRAPHER

Maćko Prusak

 

CAST

Eleonora

Lise Davidsen

 

Alvaro

Brian Jadge

 

Preziosilla

Judit Kutasi

 

Don Carlo

Igor Golovatenko

 

Marquis / Padre Guardiano

Soloman Howard

 

Melitone

Patrick Carfizzi

 


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