Rhythmik, agogik, dynamik - walzer!

22. FEBRUAR 2020

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

 

Der Walzer! Die Unterhaltungsmusik des frühen 19. Jahrhunderts hat schon so manche Paare, damals wie heute, einander näher gebracht. Dreivierteltakt-Romantik, beseelte Glückseligkeit und viele Umdrehungen beschwingter lassen uns eine Leichtigkeit verspüren, die einem Schwebezustand gleich kommt. Doch ganz so leicht, locker und flockig wie die Musik aus der Wiener-Walzer Metropole wirkt, kommt sie kompositorisch dennoch nicht daher.


Das musikalische Konstrukt, das sich unter anderem aus den Parametern der Rhythmik, Agogik und Dynamik zusammensetzt, hat es grundsätzlich ganz schön in sich. Geboren aus dem revolutionären Wirken des aufständischen Proletariats, das sich vehement gegen die Obrigkeit auflehnte, seinerzeit das Kaiser- und Königtum, erlebte der Walzer zuerst eine moderate, untergründige Popularität, die sich viel später, erst zu Mitte des 19. Jahrhunderts, flächendeckend einem gesellschaftlichen Konformismus erfreute und zum anerkannten Stilbild mächtiger Regierungsträger und Adliger wurde.


Die flotte Unterhaltungsmusik hielt Einzug an Höfen, Bällen und wurde zu keinem offiziellen Anlass verschmäht.

 

 

Mit dem Walzerkönig Johann Strauss Sohn begann eine rauschende Ära, die gleichsam die Blütezeit des Wiener Walzers und der Operette einläutete. Mittlerweile verkannt als süffisante, melodisch überzuckerte Musiksünde, fristet die zu Unrecht denunzierte „Gute-Laune-Musik“ ein trostloses Dasein in drittklassigen Konzerthäusern mit ebenso drittklassiger Besetzung. Kaum noch wird dieses Musikgenre geschätzt und entsprechend der hochkomplexen musikalischen Struktur und Raffinesse geachtet, geschweige denn beachtet.


Der allgemeingültige Konsens der Klassik-Liebhaber scheint sich darauf zu versteifen, dass ernst zu nehmender Musikgenuss ausschließlich in der Mannigfaltigkeit des klassischen Opernrepertoires - und auch nur dort - zu finden sei.


Die schwere Musik wird immer noch der vermeintlich leichten Muse vorgezogen. Doch leicht ist die Walzermusik, die zwar Leichtigkeit verspricht, absolut nicht. Das klare Gegenteil davon ist der Fall.


Sicherlich scheint die Unterhaltungsmusik dazu konzipiert worden zu sein, eingängig und melodiös zu klingen. Doch die große schöpferische Herausforderung der damaligen Komponisten lag darin, immer wieder neue Melodien aus dem Boden zu stampfen, die sich allesamt voneinander unterschieden, dennoch einprägsam sein sollten und sofort mitgesungen werden konnten.

 

Rhythmischer Aufbau und Struktur eines Walzer - Betonungen durch ein Kreuz gekennzeichnet

 

Dem entgegen steht jedoch der rhythmische Aufbau und die Struktur der Komposition, die ein Höchstmaß an Komplexität aufzeigt. So sollen die Strophen auf den Höhepunkt der Melodie zusteuern, indem ein dynamisches Spannungsfeld zwischen Verzögerung und Verdichtung entsteht. Man nennt es auch die Gesetzmäßigkeit der erotischen Dramaturgie.


So ist die Eröffnung eines klassischen Walzers immer im militärisch adretten Viervierteltakt eines Marsches geschrieben (Hörbeispiel: Wiener Blut von Johann Strauss Sohn), mit der Betonung auf der ersten Silbe.

 

Hörbeispiel: Wiener Blut von Johann Strauß // © Sony Classical

 

Danach verdichtet sich die Rhythmik, indem aus dem anfänglichen Viervierteltakt ein Zweivierteltakt wird. Auch hier findet die Betonung immer noch auf der ersten Silbe statt. Um nun mehr und mehr auf den Höhepunkt der Verdichtung, sprich der musikalischen Klimax zuzusteuern, benötigt es einen akzentuierten Wechsel innerhalb des Zweivierteltaktes, wobei die Betonung von der ersten Silbe nun auf die 2. Silbe gelegt wird.


Für das Leihengehör nicht wirklich wahrnehmbar, ergibt sich bereits zu diesem Zeitpunkt, noch bevor die Walzer-Rhythmik einsetzt, eine spannungsgeladene Dynamik, die sich langsam aber sicher in den Dreivierteltakt hineinsteigert.

 

 

Schlussendlich löst sich das musikalische Spannungsfeld aus den rhythmisch-agogischen Wechseln vom Viervierteltakt zum Zweivierteltakt im erlösenden Dreivierteltakt auf. Auf der 2. Silbe betont, wird der Dreivierteltakt in eine Wiener Walzerseligkeit hineinkatapultiert, die wahre Drehschwindel-Momente auslöst.


Und da sage noch einer, Walzer kann nur 1, 2..3, 1, 2...3!!!!

 

Was mit den armseligen Anfängen als Bratlgeiger von Johann Strauß Vater begann, entwickelte sich zu einer der größten und einflussreichsten Wiener Musikerdynastien des 19. Jahrhunderts.

Packend und mitreißend geschrieben, erzählt Peter Prange die Geschichte der Musikerfamilie Strauß, frei nach den Motiven aus dem Leben von Johann Strauß Vater sowie seinen drei Söhnen, Joseph, Eduard und Johann Strauß Sohn, von denen Letzterer noch heute zu einem der populärsten Operetten- und Walzerkomponisten zählt.

Dabei gewährt uns Peter Prange tiefe Einblicke in das Leben und Wirken des Familienclans und lässt dabei keine Details über die unerbittliche Rivalität zwischen den Brüdern, die sich von Missgunst, Hass und Intrigen leiten ließen, aus.

Ein spannender Roman, der auf wahren Begebenheiten aufbauend, eine der schönsten und schillernsten Musikgeschichten erzählt, die uns in Walzerlaune und Dreivierteltakt-Romantik versetzt.

Ein absolutes Lesevergnügen für Walzerenthusiasten und solche, die es noch werden wollen.


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