Neuinszenierung: der rosenkavalier mit marlis petersen an der Bayerischen staatsoper

PRICKELNDE EROTIK UND EIN HAUCH VON ZEITENTRÜCKTER MELANCHOLIE

24. März 2021

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper - Marlis Petersen als Marschallin

Wer hat an der Uhr gedreht? Tatsächlich dreht sich in der Neuinszenierung des Rosenkavaliers an der Bayerischen Staatsoper recht viel um eine alte Standuhr, die im Zentrum des Geschehens gleich im ersten der dreiaktigen Oper des alpenländischen Komponisten Richard Strauss für außerordentlich Furore sorgt.

 

Ihr entschlüpft im hauchzarten und schockierend durchsichtigen Negligé die Sopranistin Marlis Petersen, die in der Rolle der Marschallin ein vor Erotik prickelndes Techtelmechtel mit einem Jüngling angefangen hat, dessen unersättliche Hände sich ebenfalls aus der Standuhr schälen, nur um am knackigen Busen der schwäbischen Sopranistin herumzunesteln.

 

Gleich in der ersten Szene wird deutlich, wie erotisch aufgeladen und erfrischend modern sich diese Neuinszenierung aus dem Muff ihrer bieder verstaubten und teils auch kitschigen Vorgängervarianten befreit.

 

Nostalgische Alpenromantik war gestern. Heuer zeigt die Regie unter der Leitung von Barrie Kosky, wie man eine moderne Interpretation an die Maßstäbe der Gegenwart annähert. Im 50er-Jahre Look, mondän, verwegen und immer auch mit einer Prise Frivolität versehen, wird viel Haut gezeigt, aber auch ganz viel Emotion und Ernsthaftigkeit an den Tag gelegt.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

So wird Tabuisiertes aufgeweicht, gesellschaftliche Regeln charmant ausgehebelt, die Genderfrage subtil mal auf links und ganz unverhohlen wieder auf rechts gedreht und das alles mit einem koketten, provokativen Augenaufschlag, der einem das Widerwort wie zart schmelzende Schokolade auf der Zunge zergehen lässt.

 

Ob es da wahrhaft noch schwerfällt, sich von der rokkokoseligen Otto Schenk Inszenierung zu trennen, die seit mehr als 50 Jahren zum gut gepflegten Inventar des Nationaltheaters gehörte.

 

Jedenfalls fällt Barrie Koskys Neuinterpretation nicht aus der Zeit, zumal sich der Regiestar beim Bühnenbild einer Vielzahl rokkokolastiger Elemente bedient und damit gekonnt den Bogen zwischen gestern und heute, altbacken und modern schlägt.

 

Und was nicht aus der Zeit fällt, ist allenfalls so zeitlos, dass es ebenfalls mehrere Jahrzehnte an einem renommierten Opernhaus überleben könnte, obgleich die Zeit manchmal auch so ein sonderbar Ding sein kann.

 

Weiß man es, wie schnell oder langsam sie voranschreitet. Für die Marschallin ist bereits im ersten Akt eindeutig, dass für sie die Zeit begrenzt, dass die Liebe zwischen ihrem Jüngling Oktavian und ihr sich gen Ende neigt.

 

Symbolisch wird dies durch den Ritt der Fürstin auf dem Pendel der Standuhr untermalt, dass just in dem Moment von links nach rechts ausschlägt, als die Marschallin auf ihm ihren Platz eingenommen hat.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Im 2. Akt wird die Ernsthaftigkeit, die Melancholie des Augenblicks von pompöser, schillernder Leichtigkeit durchbrochen. Eine barocke Pferdekutsche, so glitzern wie eine silberne Discokugel und ebenso prächtig und weltentrückt wie die des bayerischen Märchenkönigs Ludwig II ziert nun die Bühne.

 

An den Wänden hängen Gemälde, die allegorische Kreaturen darstellen. Es sind Faune, die ähnlich Mussorgskis: Bilder einer Ausstellung als kleine, böswillige Wichte aus dem Rahmen springen und das quirlige Geschehen auf der Bühne chaotisch aufwirbeln.

 

Als Gefolgschaft des Schürzenjägers Ochs von Lerchenau stiften sie Unruhe. Und so stürmt der zweite Akt wie ein aufbrausendes Unwetter aktionsgeladen und handlungsverdichtend in den 3. und letzten Akt, wo eine Theater im Theater Logik die Inszenierung verdoppelt.

 

Während die facettenreichen Rollen der Akteure jede Faser der temporeichen Situationskomödie ausfüllen, schleppt sich sporadisch ein uralter geflügelter Greis durch die einzelnen Szenen. Es ist Chronos, die Verkörperung der Vergänglichkeit, der im 3. Akt den Akteuren souffliert, den Liebenden Sophia und Oktavian Glitzerstaub auf das Haupt streut und in der Schlussszene sogar dafür sorgt, dass für das junge Liebespaar die Zeit ganz plötzlich stehen bleibt.

 

Auf der Standuhr sitzend kneift er die Uhrzeiger vom Zifferblatt einfach ab. Die Liebenden können so ohne Eile in den 7. Himmel entschweben, während eine desillusionierte Marschallin unwiederbringlich für immer auf dem Boden der Realität verbleiben muss, wohl mit der ihr noch verbleibenden Zeit im Klinsch.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Die charakterstarken Rollen der Hauptakteure verlangen den einzelnen Interpreten viel ab, nicht nur stimmlich, sondern ganz besonders auch darstellerisch.

 

So ist der Ochs von Lerchenau, alias Christopher Fischesser mit der breiten Dialektik intimst auf Du und Du. Obgleich die angewandte Sprache der anderen Protagonisten umständlich, steif und aus der Mode gekommen wirkt, erfüllt die wienerische Mundart ihren komödiantischen Zweck und weicht die durch und durch gestelzte Sprachattitüde weitestgehend in amüsantes Wohlgefallen auf.

 

Zum Schürzenjäger auserkoren, bedient sich Christopher Fischesser auch schauspielerisch voll und ganz dem Klischee des ungehobelten Barons und Draufgängers.

 

Stimmlich aus den Urtiefen des Weinkellers gehoben, erstaunt zudem der ausgewogene, samtsatte Bass, der verlässlich und mühelos stimmgewaltig durch alle drei Akte trägt.

 

Faszinierend auch die Figur der Marschallin, die als alternde Fürstin ihren zweiten Frühling mit dem Jüngling Oktavian erlebt. Gekonnt spielt sie die Rolle der zweifelnden, desillusionierten Grande Dame, die das Leben an sich vorbei rinnen sieht, während es sich bei ihrem jungen Geliebten noch zu voller Blüte heranreifend, in die scheinbar zeitlose Unendlichkeit reckt und streckt.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper - Christopher Fischesser als Baron Ochs von Lerchenau

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Mit ihrer besonders markanten, unverwechselbaren Sopranstimme meistert Marlis Petersen mit nur einem Fingerschnipsen alle Facetten ihres ausgereiften tonalen Spektrums. Ob Arien- oder Sprechgesang: Vielschichtig ist die Stimme, die nicht unbedingt auf zerbrechlichen Flügeln daherkommt, sich jedoch ausdrucksstark und klar perlend in sphärischen Höhen zu schrauben vermag.

 

Marlis Petersen ist eine Darstellerin mit formschönen Ecken und Kanten, die sich ihrer Wirkung auf der Bühne wohl bewusst ist.

 

Auch Oktavian, gesungen von Samantha Hankey, überzeugt mit einem erfrischend jungen Mezzosopran. Nicht zu satt, keineswegs zu dunkel, dafür aber umso heller und klarer brilliert das Vokalinstrument mit messerscharfer Präzision und unterstreicht den jugendlichen Schmelz des kosebenamten Quienquien.

 

Fein und wundersam auch der ätherische Gesang der beiden Liebenden Sophia und Oktavian, die im Duett zur Schlussarie mit ihrer berührenden Darstellung beinahe zu Tränen rühren. Gänsehautreife Momente lassen einen verzückt auf eine entrückte Welt blicken, in der Zeit kein Faktor scheint, wenn die Macht der Liebe im Spiel ist.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Eine Melange aus Oper, Operette und filmmusikalischen Elementen machen diese Oper zu etwas ungewöhnlich Andersartigem. Das zeigt sich auch in der Orchestrierung, die mal opulent, überbordend süffig und klangsatt daherkommt, mal reduziert auf einem hauchdünnen Klangteppich davonschwebt, um sich schlussendlich in den filmmusikalischen Sequenzen den nötigen Expressionismus zu eigen zu machen. Vielschichtig ist die Musik von Richard Strauss, der als Romantiker unter den Komponisten im Rosenkavalier auch immer wieder für wohldosierte Momente der Walzerseligkeit sorgt.

 

Mit halber Mannschaft an Bord hat es der designierte Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski daher auch wahrlich nicht leicht, sich dieser Herausforderung mit Bravour zu stellen. 

 

Absolut souverän stemmt er das auf die Größe eines Kammerorchesters geschrumpfte Ensemble und agiert mit präziser Raffinesse. Jeder Ton sitzt, der Klang bleibt kitschfrei, schnörkellos und berührt vielmehr durch formvollendete Eleganz.

 

Ach, wie schön kann Oper doch sein, auch wenn sie derzeit nur viral über die Fernsehbildschirme flimmern darf.

 

Doch wenn es so ist, dass die Zeit rennen, ja davon rennen kann, dann wird auch die Pandemie mit der Zeit im Flug verschwinden und mit ihr der gegenwärtige Lockdown, der bald nur noch als Teil einer unliebsamen Vergangenheit auf nimmer wiedersehen verblassen wird.

 


Video Trailer der Bayerischen Staatsoper über youtube zur Verfügung gestellt

Eine kleine Geschmacksprobe des Rosenkavaliers von Richard Strauss bietet der Trailer der Bayerischen Staatsoper. Kurz und abstrahierend wird ein Rundumriss in musikalischer, szenischer und handlungsweisender Manier gemacht. Eine gelungene Zusammenfassung eines außerordentlich vielschichtigen Meisterwerks.

 

Video Trailer der Bayerischen Staatsoper über youtube zur Verfügung gestellt

Wer noch ein wenig tiefer in die Handlung  einsteigen möchte und das kompositorische Meisterwerk von Richard Strauss verstehen will, kann sich ein noch umfassenderes Bild im Video Magazine der Bayerischen Staatsoper machen. Hier berichten die Rollendarsteller, Regisseure und Dirigenten über die Handlung sowie die szenische und musikalische Interpretation der komödiantischen Oper.

 

Weitere Video-Demand-Angebote können über folgenden Link der Bayerischen Staatsoper abgerufen werden:

 

www.staatsoper.de


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