La Forza del Destino mit Anja harteros und Stefano La Colla an der Bayerischen Staatsoper

03. Oktober 2021

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Alles neu macht der September 2021 an der Bayerischen Staatsoper in München. Nicht nur, dass das erste Haus am Platz mit einer unerwartet glattgebügelten Webpräsenz dem neuen Image eines digital aufgeschlossenen Kulturbetriebs gerecht werden will, sondern damit auch die neue Handschrift des jüngst amtierenden Intendanten Serge Dorny zu würdigen wissen möchte.

 

Mit Verdis Meisterwerk "La Forza del Destino" steht an diesem Sonntag immerhin Altbewährtes im bekannten szenischen Gewand auf dem Spielplan - zum großen Bedauern allerdings ohne die Anwesenheit des heiß erwarteten Königs der Opernmanege.

 

Jonas Kaufmann, tenoraler Held des melodramatischen Werks, scheidet aufgrund einer Luftröhrenentzündung als Don Alvaro aus. Stattdessen erscheinen viele neue Gesichter auf der Bildfläche, unter anderem auch der italienische Tenor Stefano la Colla, der als Kaufmann-Ersatz mutig den Sprung auf den Olymp der Göttersänger wagt.

 

Es ist wie bei einem "Bäumchen-wechsle-dich-Spiel", bei dem lediglich die Sopranistin Anja Harteros eine absolute Konstante bildet und die Rolle der Donna Leonora wie auch bereits bei der Neuinszenierung im Jahr 2013 souverän, wenn auch diesmal nicht ganz auf der Höhe ihrer gesanglichen Kapazitäten ausfüllt.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Und so nimmt das Drama seinen Lauf: Klangexplosiv und mit hektisch galopierendem Tempo durchbricht die orchestrale Wucht die Stille des Auditoriums. Spannungsgeladen wie ein Thriller offenbart das sich klar herauskristallisierende Leitmotiv der vieraktigen Verdi-Oper, was den Zuhörer in den kommenden drei Stunden an dramengespickten Höhepunkten erwarten wird.

 

Denn durch einen einzigen fatalen Moment gleich zu Beginn des 1. Aktes verdichten sich im Verlauf der Handlung die traumatischen Ereignisse der Hauptdarsteller, kulminieren und entladen sich schlussendlich unaufhaltsam in einem ebenso fatalen Finale.

 

Zwei sich Liebende, zwei metaphorische "Königskinder", die zusammen nicht kommen können...", durchschreiten jedes für sich und jedes auf seine Art die unergründlichen, gefährlichen und unberechenbaren Gewässer des Lebens, bis das Schicksal den letzten Trumpf seiner geballten Macht ausspielt.

 

Eleonora stirbt durch die Hand ihres Bruders in den Armen ihres verzweifelten Geliebten Alvaro, ohne jemals wirklich geliebt, wenn überhaupt gelebt zu haben.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Minimalistisch, dafür mit plakativer Symbolik gespickt, jongliert der Regisseur Martin Kušej mit den Themen der tradierten familiären Rollenmodelle und Hierarchien, die durch eine obsessive religiöse Unterwürfigkeit befeuert werden.

 

Die Familie Donna Leonoras wird im ersten Akt bewusst beim Abendmahl in Szene gesetzt. Über der dargestellten versinnbildlichten Ordnung veralteter gesellschaftlicher und patriarchalischer Strukturen schwebt drohend wie ein Damoklesschwert die züchtigende Religion.

 

Sie schwebt über allem und sie hat Macht über die Menschen, die sich ihrer devot bedienen.

 

So beklagt Leonora in Gebeten wiederholt ihr scheinbar unausweichliches Schicksal und sieht in ihrem unerschütterlichen Glauben an Gott nur die Religion als einzigen Ausweg ihrer Bestimmung zu entkommen.

 

Das führt so weit, dass sich die Gehetzte in ihrem religiösen Eifer zunehmend in einen fundamentalen Glaubenswahn hineinsteigert, der sie vehement daran hindert ihr Schicksal eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen und es bewusst in die richtigen Bahnen zu lenken.

 

Doch Leonora ist eine Frau und das Frausein in einer von Männern dominierten Gesellschaftsordnung ein schweres Los.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Und so kommt es, wie es in Dramen meistens kommen muss: Leonora ergibt sich kapitulierend und resigniert ihrem Schicksal und setzt sich damit den seelischen Todesstoß.

 

Darstellerisch beweist Anja Harteros einmal wieder, warum man ihr die Rolle der Leonora uneingeschränkt abnimmt. Ausdrucksstark, kraftvoll und schauspielerisch präsent erlebt man eine vom Schicksal gepeinigte Frau, die es auch stimmlich versteht, allen Facetten emotionaler Vielschichtigkeit ein einzigartiges tonales Gesicht zu verleihen.

 

Betörend schön, samtfein und wie geschliffen schweben Harteros´ irisierend leisen Töne wie Klangperlen durch die Atmosphäre des Nationaltheaters. Im Auflösen begriffen, intensivieren sich die vokalen Abklänge, berühren nahezu körperlich und umschmeicheln das Gehör hauchzart, sodass einem dabei ein angenehm warmes Kribbeln überkommt. Das sind genau die Gänsehautmomente, wie sie Anja Harteros beim Publikum auslösen kann.

 

Ach, und das "Pace, pace, mio Dio" im letzten Akt, wie entrückt und verzaubernd das aus dem Nichts den Saal durchdringt. Ganz anders als die kraftvolleren Passagen, die Harteros in den exponierten Tonlagen nur mit Nachdruck bewältigt. Gedrückt, gequetscht und geschoben klingt es in den Höhen, unangenehm schrill und metallisch.

 

Ob ihr die Partie der Isolde nicht gutgetan hat? So unfrei, so wenig gelöst, dafür umso angestrengter und gequälter hat es in den hohen Registern der Sopranistin jedenfalls bislang noch nie geklungen.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Auch Stefano la Colla kann sich nicht unbedingt mit gesanglichen Königslorbeeren schmücken. Als Ritter des hohen C´s qualifiziert er sich nur bedingt. Tenorales Könnertum klingt irgendwie anders. Bei La Colla vermisst man die technische Akkuratesse, mit der Höhen gestützt sauber bewältigt werden und nicht in solch prekäre Schieflage geraten, wie es an diesem Abend gehäuft der Fall ist. Auch ein Viertel Ton daneben ist leider ein schiefer Ton und damit ein versemmelter Ton.

 

Obgleich der Klangschmelz gehörschmeichelnd und angenehm, die muttersprachliche Diktion keine Wünsche offenlässt, so fehlt La Colla sowohl eine durchgehend stimmige und saubere Vokalpräsenz als auch die darstellerische Überzeugungskraft, mit Leidenschaft und Esprit auf der Bühne zu agieren.

 

Statisch und unspektakulär, genauso wie Oper eben gerade nicht sein sollte, erfüllt La Colla daher auch nur die Erwartungen eines singenden Interpreten, nicht aber die eines aktiv schauspielernden Sängerdarstellers á la, na wer sagt´s: Jonas Kaufmann.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Vorzüglich, fast schon ein Gaumenschmaus und Balsam für den phasenweise überstrapazierten Gehörgang hingegen sind die choralen Einsätze des Bayerischen Ensembles.

 

Besonders positiv überraschen auch die darstellerischen und gesanglichen Darbietungen des rumänischen Baritons Goerge Petean und des finnischen Basses Mika Kares, obgleich der edle, vollmundige Bass den forciert vibratostark wirkenden Bariton um eine Leistungslänge überholt.

 

Kares bekleidet sogar eine Doppelrolle. Anfänglich noch als Marchese di Calatrava, den Vater Leonoras spielend, erlebt man den Finnen wiederauferlebt als Padre Guardiano im zweiten Akt.

 

Ekaterina Semenchuk als Preziosilla schlägt am weitesten vom gesanglichen Feld ab. Stimmlich wenig überzeugend fehlt der Sängerin der Esprit und die frivole Keckheit, die der Rolle hätte das gewisse "Etwas" verleihen können. Auch fehlt es an der stimmlichen Präsenz, die zudem durch das unangenehm flimmernde Vibrato dezimiert wird.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Battisonis Versuch, Leichtigkeit, Dramatik und Leidenschaft orchestral miteinander zu paaren, misslingt auf ganzer Linie. Viel zu explosiv, aufbrausend und eine flapsige Millisekunde zu schnell prescht Battisoni durch das Leitmotiv der Ouvertüre.

 

Auf ein schlankes, elegantes, im Tempo minimal gedrosseltes Dirigat wartet man lange.

 

Das Auf-und-Ab-Gehüpfe Battisonis trägt leider auch nicht dazu bei, dem Dirigat eine luftig-leichtere Note zu verpassen. Verdis so meisterhaft komponierte Ouvertüre wirkt insgesamt plump, holprig und etwas zu gehetzt. Zu viel verplemperte Energie, die reduzierter eingesetzt eine viel subtilere Atmosphäre kreiert hätte, wäre der Macht des Schicksals besser zupassgekommen.

 

So bleibt es eine Oper, von der man grundsätzlich tief ergriffen ist, bei der die ganz großen Emotionen allerdings an diesem Abend ihren Auftritt häufig verpassen.


©Bayerische Staatsoper / über youtube zur Verfügung gestellt

Eine kleine Geschmacksprobe von Verdis Meisterwerk "La Forza del Destino" bietet der Trailer der Bayerischen Staatsoper. Kurz und abstrahierend wird ein Rundumriss in musikalischer, szenischer und handlungsweisender Manier gemacht. Eine gelungene Zusammenfassung eines außerordentlich vielschichtigen Meisterwerks. 

 

©Bayerische Staatsoper / über youtube zur Verfügung gestellt

Wer noch ein wenig tiefer in die Handlung  einsteigen möchte und das kompositorische Meisterwerk von Giuseppe Verdi verstehen will, kann sich ein noch umfassenderes Bild im Video Magazine der Bayerischen Staatsoper machen.

 

©Bayerische Staatsoper / über youtube zur Verfügung gestellt

Hier berichten die Rollendarsteller, Regisseure und Dirigenten über die Handlung sowie die szenische und musikalische Interpretation des Melodrams.

 

Weitere Video-Demand-Angebote können grundsätzlich über folgenden Link der Bayerischen Staatsoper abgerufen werden.


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