Premiere im Opernloft mit einer progressiven Inszenierung des Rosenkavaliers

21. Oktober 2023

Rubrik Oper

©Inken Rahardt

Richard Strauss´ spätromantische Oper "Der Rosenkavalier" feiert erstmals im Opernloft Hamburg Premiere. Nicht prunkvoll, nicht verspielt und überhaupt kein bisschen romantisiert überschwemmt uns das Bühnenbild mit einer Müllflut an Plastiktüten, PVC-Flaschen und Bechern.

 

Auf Schritt und Tritt hört man es unter den Fußsohlen der Protagonisten knirschen, sobald sich diese ihren Weg über die Bühne durch das Plastikmeer bahnen. Von der Bühnendecke hängen zu einem Kreis angeordnet sieben himmelblaue Tücher, die einen sofort an die "Flying Pilates" Stunden in einem Hamburger Sportstudio erinnern.

 

Doch was hat "Flying Pilates" mit dem Rosenkavalier gemein?

 

Tatsächlich dienen die Tücher als bewegliche, fließende und formbare Elemente, die im übertragenen Sinne eine Welt im Wandel symbolisieren sollen.

 

Mal werden sie wie ein großer Vorhang miteinander verbunden, dann wiederum ineinander verknotet, entzweit und in menschliche Fesseln verwandelt, ganz abhängig davon, wer sich der Tücher ermächtigt.

 

Dabei kommt tatsächlich ein wenig Akrobatik à la Flying Pilates ins Spiel.

 

Von der eigentlichen Geschichte, die sich Hugo von Hoffmannsthal einst ausgedacht hat, spielt, wenn überhaupt, nur noch der Faktor Zeit eine Rolle: Die Zeit, die Generationen entzweit und voneinander entfremdet hat. Die Zeit, die der Mensch nicht mehr hat, um die Klimakrise aufzuhalten und die so rigoros verschwendet wurde wie die natürlichen Erdressourcen.

 

Aber damit ist nun ein für alle Mal Schluss, zumindest was das Regiedebüt von Amy Brinkman-Davis anbelangt.

 

Radikal modern interpretiert und aus den Angeln des ursprünglichen Werkgedankens gehoben, zeichnet sie den derzeitigen Generationenkonflikt zwischen Boomern und der Generation Z auf. Während Letztere die Welt vor der Zerstörung retten wollen, bleiben Erstere dem Kapitalismus sklavisch treu.

 

©Inken Rahardt

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Gefangen im Hamsterrad der materiellen Ohnmacht sehen sich die Marschallin und der Baron Ochs als Team der weltverbessernden Octavia und der gleichermaßen umweltbewussten Sophie gegenüberstehen.

 

Dass die alternde Marschallin und die junge Octavia trotz ihres Interessenkonflikts ein lesbisches Liebespaar bilden, knüpft im Handlungsstrang noch am ehesten an das Libretto Hugo von Hofmannstals an.

 

Ansonsten steht Richard Strauss´ weltverlorene Romantik einer abgeklärten Gegenwartsdramatik gegenüber, die kontrastreicher nicht sein könnte.

 

Brinkman-Davis Interpretation des komödiantischen Opernklassikers muss man mögen, denn sie ist wahrlich eine schwer zu verdauende Kost und lässt auch keinerlei Zweifel daran, dass die "Heile-Welt-Fassade" des Rosenkavaliers genauso bröckelt wie die Alpen, die durch den langsam schmelzenden Permafrost schon jetzt zu einer schleichenden umweltkatastrophalen Gefahr für Natur und Mensch werden.

 

Gesanglich und darstellerisch unglaublich stark mag man an diesem Abend gar nicht entscheiden wollen, wer künstlerisch die beste Leistung auf die Bühne bringt.

 

Ob Nora Kazemieh als Octavia, Lisa Ziehm als Marschallin, Bruno Vargas als Ochs oder Suhyun Kim als Sophie: Selten kommt es bei einer Opernproduktion vor, dass alle Darsteller so gleichermaßen präsent und vokalstark sind, dass man keinen einzigen Künstler im Jubel untergehen lassen will. 

 

Und doch: Octavias bernsteinfarbenes Timbre, satt und rund und absolut warmklingend, tut es einem ganz besonders an.

 

©Inken Rahardt

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©Inken Rahardt

Bei Nora Kazemieh kann man auch einfach nur die Augen schließen und vor sich hinträumend dieser bezaubernd nuancierten Stimme lauschen, die in den Höhen kristallklar leuchtet und ein angenehmes Vibrato verströmt.

 

Doch will man in dieser sehr sportlich angelegten Inszenierung erleben, wie biegsam und drahtig die Mezzosopranistin auch im Tuch wahre Akrobatik zutage fördert, macht man wohl besser wieder die Augen auf und staunt, wie bei gleichzeitigem Stimmsitz auch noch ein Spagat im Tuch gelingen kann.

 

Was man dieser jungen Opernsängerin alles abverlangt! Aber Ausdauer hat sie. Das muss man mit Hochachtung feststellen.

 

Eine gleichermaßen bewegte gesangsakrobatische Leistung zeigt sich auch bei der koreanischen Sopranistin Suhyun Kim, die sich als Sophie mit perlend reiner Stimme in exponiert schillernde Höhen aufschwingt.

 

Legatosicher, biegsam und elastisch verströmt sie sphärisches Glück der Welt entrückt, fast so, als ob die Zeit plötzlich stillstehen würde.

 

Aber auch im Tuch macht die zierliche Opernsängerin eine ausgesprochen gute Figur.

 

Die Sopranistin Lisa Ziehm gibt eine sehr überzeugende Marschallin. Wie ein unumstößlicher Fels in der Brandung trotzt sie auch stimmlich allen Stürmen und wirkt dennoch zuweilen zerbrechlich.

 

Mit stimmlicher Dramatik und emotionalen Temperaturen durchwirkt, changiert sie zwischen angenehm weichen und irisierenden Klangfarben und setzt an gegebener Stelle dennoch im schauspielerischen Ausdruck harte, bisweilen metallisch klingende Akzente.

 

©Inken Rahardt

Und Bruno Vargas alias Ochs, der sich in dieser Inszenierung als geldgeiler Ölbaron outen muss, kommt vokal ziemlich gut in Fahrt.

 

Sein mächtiger Bass ist in den Tiefen so wuchtig, dass er das Opernloft bis in die letzten Reihen regelrecht einhüllt.

 

Seine Rolle als gewissenloser, arroganter und blasierter Geschäftsmann verkörpert Vargas auch darstellerisch so überzeugend, dass man ihn am liebsten gleich zum Teufel jagen möchte. 

 

Und auch das kleine Instrumentalensemble, bestehend aus Klavier, Horn, Cello und Violine lässt im Opernloft kein großes Orchester vermissen. 

 

Das musikalisch intime Arrangement von Amy Brinkman-Davis überzeugt in jedem Fall mehr als ihre Regie. Und man freut sich einfach die wunderbar romantische Musik von Richard Strauss in diesem besonders erlebnisintensiven Rahmen hautnah erleben zu dürfen.


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