im kampf um die Freiheit - Fidelio!

NEUINSZENIERUNG AM ROYAL OPERA HOUSE IN LONDON mit JONAS KAUFMANN

19. MÄRZ 2020

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Bill Cooper / Royal Opera House London

beethovens einzige Oper - was dahinter steckt!

 

Nonkonformist, unangepasster Querkopf, Freiheitskämpfer, Befürworter der Französischen Revolution. Ludwig van Beethoven war ein leidenschaftlicher Enthusiast der revolutionären Bewegung, denn er sah sich selbst dem Adel im Geist gleichgesetzt, wenn nicht sogar überlegen.


Nichts störte ihn in der gesellschaftlichen Ordnung seinerzeit so sehr wie die Klassenunterschiede, das Ungleichgewicht der sozialen Schichten, und ganz besonders missbilligte er den Status, den er selbst als dienender Künstler in bittstellerischer Manier gegenüber dem Adel bekleiden musste. Sich unterzuordnen entsprach nicht im Geringsten seiner geistigen Überzeugung und Haltung.


Als die Französische Revolution mit der Infragestellung der Klassenordnung die Republik zum Leben erweckte, rührte sich auch in dem heißen, widerborstigen Herzen Beethovens ein Funken Aufbruchstimmung für das neue vielversprechende Gesellschaftssystem der Zukunft. Doch Österreich und die Stadt Wien sahen sich zur damaligen Zeit noch weit entfernt vom republikanischen Gedanken.


Konnte Beethoven nur in der Musik und in seinem musikalischen Ausdruck der ideologisch-politischen Idee Flügel verleihen, so brachte der Tonkünstler seine einzige Oper „Fidelio“ am 20. November 1805 in der Erstfassung im Theater an der Wien zur Uraufführung. Eine Oper, die den Gedanken der Französischen Revolution glorifizieren sollte und bis in unsere heutige Zeit ein Werk ist, das vor allem den Freiheitsgedanken idealisiert.

 

worum geht es?

 

Don Pizarro, der sich vor den kompromittierenden Enthüllungen Florestans fürchtet, beschließt, diesen in Kerkerhaft zu nehmen, um ihn aus dem Weg zu räumen und gleichermaßen Mundtot zu machen.


Als Florestans Ehefrau davon Wind bekommt, erschleicht Sie sich als Mann verkleidet unter dem Namen Fidelio das Vertrauen des Kerkermeisters Rocco. So gelangt sie ungehindert in die Katakomben des Gefängnisses, darf sich aber nicht in die Nähe eines besonders abgeschotteten Gefangenen begeben. In Leonore keimt sogleich der Verdacht auf, es könnte sich dabei wohl um ihren Gatten handeln.


Währenddessen plant Don Pizarro die Beseitigung des Häftlings Florestan, da sich der Minister zur Untersuchung des Kerkers angemeldet hat und von dem Versteck des gut gehüteten Inhaftierten nichts mitbekommen darf, da es ansonsten unweigerlich zu einem Enthüllungsskandal kommen würde.


Don Pizarro instruiert Rocco, den Gefängniswärter, sich der Sache anzunehmen und Florestan aus dem Weg zu räumen. Doch der weigert sich seine Finger schmutzig zu machen und den Mord an Florestan zu begehen.

 

©Bill Cooper  / Royal Opera House London

 

Don Pizzaro bittet daher Leonore, die sich als Fidelio verkleidet, das Vertrauen des Intriganten erschlichen hat, ein Grab mit ihr auszuheben. Sie folgt mit banger Angst seinen Anweisungen, unter der Bedingung, den Gefangenen noch einmal lebend zu Gesicht zu bekommen.


Im Kerker selbst erlebt Florestan eine Fiebervision, in der ihm seine Ehefrau Leonore als Engel erscheint.


Als Leonore mit Rocco in die Tiefen des Kerkers absteigt, um dem Gefangenen etwas zu Essen und zu Trinken zu bringen, erkennt sie in dem verängstigten Bündel am Boden ihren Ehemann. In flagranti ertappt, erwischt Don Pizzaro, als er just in den Kerker herabsteigt, die beiden Fluchthelfer Rocco und Fidelio. Während Don Pizzaro noch mit Florestan rangelt und der verzweifelte Versuch Leonores scheitert, ihren Gatten zu retten, erscheint der Minister auf der Bildfläche, der in Florestan sofort seinen besten Freund wiedererkennt.


Glücklich, da gerettet, fallen sich Leonore und Florestan in die Arme. Der Duft der Freiheit ruft. Auch alle anderen Gefangenen werden aus der Haft entlassen. Sieg der Freiheit!

 

Eine Inszenierung zwischen Gestern und Heute: Die Französische Revolution als Projektionsfläche für die kränkelnde, politisch desillusionierte, moderne Gesellschaft

©Bill Cooper /  Royal Opera House London

Man könnte meinen, die beiden Teile der zweiaktigen Oper Beethovens hätten miteinander nichts gemein, so unterschiedlich sind die Bühnenbilder konstruiert.

 

Während Tobias Kratzers Inszenierung noch im ersten Akt historisches Flair auf konventionellste Weise versprüht, so minimalistisch, fast puristisch wirkt die Bühne dann im 2. Akt. Fast kommt einem der Gedanke, es könnte sich dabei um zwei unterschiedliche Opern handeln.

 

©Bill Cooper / Royal Opera House London

Was also hat sich Kratzer nur dabei gedacht. Eindeutig vermittelt der erste Akt das Schicksal zweier Menschen, die sich in den politischen Wirren der Französischen Revolution verirrt haben.


Eine Geschichte, die sich um das Politikum und die Ideologie der Zeit strickt. Zeitgenössische Kostüme in prächtiger Opulenz sowie detailgetreue Kulissen und historische Ereignisse unterstreichen den authentischen Charakter und heben gekonnt den Kern des Themas hervor, der das Gefühl für den revolutionären Zeitgeist in den Vordergrund stellen soll.

 

©Bill Cooper / Royal Opera House London

Im zweiten Akt hingegen, der bühnenbildnerisch einem Museum mit steril weißen Wänden gleicht, ist ein unübersehbarer granitfarbener Felsbrocken in der Mitte der Bühnenfläche aufgestellt, der sinnbildlich das Verlies, in dem Florestan gefangen ist, darstellen soll.


Wie auf dem Präsentierteller harrt der Unschuldige, der sich seiner Freiheit beraubt sieht, stillschweigend und resigniert aus. Das gaffende Volk tut nichts, um den zu Unrecht inhaftierten Bürger aus seiner misslichen Lage zu befreien.


Eher unbeteiligt, mit naiver Gleichgültigkeit und politischem Desinteresse, begegnet das Volk der Situation und reagiert erst, als sich die Lage für Florestan zuspitzt.

 

©Bill Cooper / Royal Opera House London

Sollte Kratzer Parallelen zu unserer modernen Scheuklappengesellschaft gezogen haben, so ist ihm dies mit dieser bewusst provozierenden Inszenierung bestens gelungen.

 

Ob allerdings Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im Kontext der revolutionären Oper allumfassend berücksichtigt wurden, sei szenisch einmal dahingestellt.

 

©Bill Cooper / Royal Opera House London

ein gesanglich ausdrucksstarker Florestan, eine stimmlich betörend schöne leonore

 

Gesangliche und schauspielerische Exzellenz stellen an diesem Abend die unausgewogene, mit Fragezeichen behaftete, szenische Darstellung locker in den Schatten. Lisa Davidsen, die als Leonore alias Fidelio glänzt, punktet sowohl darstellerisch als auch stimmlich mit ihrer vollmundigen, kräftigen, klaren und in den Höhen austarierten Stimme.


Auch Kaufmann, der sichtlich „under the weather" ist und auch sehr unpässlich aussieht, überzeugt insgesamt mit einer gut kontrollierten, über alle Maßen ausgereiften Gesangstechnik. Insbesondere bei seiner Eröffnungsarie zu Beginn des 2. Aktes kommt Kaufmanns dunkelsamtiges Timbre in seiner ganzen Intensität ausdrucksstark zum Einsatz. Gekonntes Überspielen krankheitsbedingter Schwachstellen scheint eine seiner großen Stärken zu sein.

 

Das Dirigat unter der Leitung von Sir Antonio Pappano lässt Beethovens einzige Oper in einem strahlenden, tonal brillanten Licht erleuchten. Mit herausragender Prezision und musikalischer Tiefenschärfe erlebt der Zuhörer an diesem Abend eine orchestrale Wucht, die sich in glatten melodischen Wogen und vorpreschend dynamischen Wellen, mal heroisch aufbrausend, dann wieder sanft verebbend in klanglicher Verdichtung aus den Untiefen des Orchestergrabens erhebt.

 

Der Meister der italienischen Oper beweist auch bei Beethoven, das Perfektion und Leidenschaft seine Antriebsfedern für formvollendete Musikkunst sind.

 


Der aktuellen Gesundheitskrise schuldend, mussten am 17. März 2020 sowohl die Aufführung als auch die Kino-Liveübertragungen abgesagt werden. Bis auf Weiteres bleibt das Royal Opera House in London geschlossen.

 


Weitere Informationen unter:

www.roh.co.uk

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