Jonas Kaufmanns neues Album Doppelgänger: Ein unübertrefflicher Meilenstein im Liedgesang

Rubrik CD-Tipp

©Lena Wunderlich

Liedgesang kann vieles sein: unerträglich langweilig, steif und angestaubt wie ein vergessenes Erbstück im Schrank,  aber auch tiefgründig, sinnlich und in seiner Faszination beinahe magnetisch. Richtig verstanden und in seiner komplexen Tiefe durchdrungen, vermag diese intime Form gesungener Poesie zu verführen, zu berühren und eine unterschwellige Erotik mit vibrierender Intensität zu entfachen.

 

Von Nicole Hacke 

 

Zumindest ergeht es einem genau so, wenn der Startenor Jonas Kaufmann sich dieser Kunstform mit Haut und Haaren verschreibt. Auf seiner neuen CD-Einspielung "Doppelgänger" erlebt der Zuhörer einen Sänger, der gesanglich nicht mit aalglatter Ästhetik um sich wirft, sondern bei jedem Wort und mit jeder Phrase tief in authentische Seelenzustände eintaucht - bedingungslos.

 

Dabei entstehen Momente von kribbelnder Euphorie. Schmetterlingsgleich hebt die Seele ab, nur um wenig später schmerzhaft mit dem eigenen Ich zu kollidieren, was oft im lethargischen Trübsinn endet.

 

So durchlebt der Protagonist in Schumanns Dichterliebe op. 48 immer wieder auf´s Neue eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Eingepfercht zwischen himmelhochjauchzender Liebesfreud und zu Tode betrübender Verzweiflung, nagt und frisst es dem hoffnungslos verlorenen Liebestrunkenen höllisch an der Seele.

 

 

Kaufmann überzeugt dabei in allen emotionalen Aggregatzuständen, nicht ausschließlich, weil er ein so gutes interpretatorisches Verständnis für dichterische Vertonungen hat, sondern insbesondere auch, weil der Mann mit der warmgoldenen Stimme, seine eigenen Erfahrungswerte mit einer Reife paart, die von absoluter Selbstreflexion und Charakterstärke zeugen. 

 

©Lena Wunderlich

Kaum ein anderer Liedinterpret versteht die emotionale Sprache der Dichtung und die Welt des Menschseins und des Menschwerdens  so sehr, wie es Jonas Kaufmann vermag, in seiner höchst persönlichen Ausdrucksweise tonal auf den Punkt zu bringen.

 

Perfektion in Formvollendung drückt sich bei Kaufmann im Liedgesang nie nur über ästhetische Brillanz aus. Sein Markenzeichen ist, dem Wort Bedeutung, Tiefe, Ausdruck und Charakter zu verleihen, auch wenn der Schöngesang dabei oftmals einer seelenintensiven Interpretation weichen darf, die vor allem in der Summe große und wahre Gefühle verspricht und so der Erzählung einer menschlichen Unvollkommenheit zu schlichter Schönheit und kraftvoller Größe verhilft.

 

So tief bewegt wird man wirklich nur, wenn ein Liedinterpret es schafft, sein Publikum zu beseelen, ja, es im besten Wortsinn kathartisch zu stimulieren.

 

In der „Dichterliebe“ erlebt man mit Kaufmann nicht bloß einen romantischen Frühling, erfüllt von Hoffnung und Sehnsucht. Man erlebt auch den Schmerz, das Scheitern, die Wut. In „Ich grolle nicht“ bäumt sich das Timbre mit messerscharfer Präzision auf. Hass, Wut, Rachsucht fransen das Gold der Stimme aus, lassen sie schneidend, fast gefährlich werden.

 

In diesen Momenten wird Kaufmann zum Abgründigen. Zum Gefürchteten. Und man fragt sich: Welche Frau würde diesem Mann in solcher Stimmung noch begegnen wollen.

  

©Monika Ritterhaus

©Monika Ritterhaus

Wie zart, beinahe schwerelos klingt es, wenn Kaufmann in „Ich will meine Seele tauchen“ den Klang in einen kristallklaren, spiegelnden Bergsee verwandelt. Es sind die leisen, die intimen Töne, seine überirdischen Pianissimi, die ihm jenen Klangschmelz verleihen, der sich wie ein feiner Duft auf den Hörer legt.

 

Jedes Stück, jedes Lied dieses besonderen "Schumannschen" Zyklus verpasst Kaufmann seine eigene vokale und interpretatorisch vollkommene Signatur, was durch die baritonale Einfärbung seiner gewachsenen stark gereiften Stimme potenziert wird. Es ist ein Klangzauber, ein erotisches Klangspiel mit diesem dunkelsamtenen Timbre, das im Gehör angenehm weiche Vibrationen erzeugt.

 

Fast schon mächtig und von einer saturierten Wucht erklingen zu guter Letzt  "Die alten bösen Lieder", die sich mit einer wahnsinnigen Resonanzstärke Raum machen.

 

Kaum zu glauben, dass in in diesem Tenor kein Bariton steckt, ist doch das Vokalinstrument des Tenors allein vom Gehöreindruck längst im Stimmfach eines lyrischen Baritons angekommen, was insbesondere in den Kerner Liedern noch deutlicher zu Tage tritt. 

 

Da nämlich gewinnt Kaufmanns Stimme an Saturation, bernsteinfarbener Kontur und klangfarbenreicher Sättigung, die Lust macht auf noch mehr vokale Registertiefen, hört man nur ganz tief rein in "Das Trinkglas eines verstorbenen Freundes".

 

Insgesamt reüssiert Kaufmanns goldene Mittellage, die inzwischen wirklich faszinierend stark ausgeprägt ist, zum Bestseller dieses Albums, das mit dem Siegel "unübertrefflich meisterhaft" versehen werden sollte.

 

©Monika Ritterhaus

Was diesem Album letztendlich aber die Krone des "Unglaublichen" aufsetzt, sind die 6 Bonuslieder aus Schumanns "Dichterliebe op. 48", die der junge Jonas Kaufmann während seiner Studienzeit im Jahr 1994 aufgenommen hat. Aber ist das überhaupt Jonas Kaufmann, der da singt!

 

Klingen tut es jedenfalls ganz und gar nicht nach dem heutigen Startenor.

 

Viel zu hoch und mit einem flackernden Vibrato versehen, das man vom Tenor der Tenöre so gar nicht kennt, vermutet man in dieser jungen Stimme eher einen angehenden Countertenor, mindestens aber einen Belcanto-Tenor, der zwar elegant, höhenintensiv, aber wenig männlich, dafür umso metallisch scheppernder klingt.

 

Sehr gewöhnungsbedürftig ist dieses Bonusmaterial, das man sich aber dennoch mit äußerster Faszination zu Ohr und Gemüte führt, fragt man sich doch ununterbrochen, was wohl zwischen Damals und Heute mit dem weltbesten Tenor stimmlich passiert sein mag?

 

©Monika Ritterhaus

Wie kann aus so einer hohen tenoralen Stimme, ein mittlerweile so gesättigter Klang entschlüpfen? 

 

„Kaum lässt sich ergründen, welche stimmliche Metamorphose zwischen 1994 und heute stattgefunden hat – und wie aus einer fast ätherischen Tenorstimme ein so farbenreicher, stentoraler Klangkörper erwachsen konnte.“

 

Es bleibt allein das Unvermögen, partout nicht begreifen zu wollen, das zwei klanglich völlig konträre Stimmen zu ein und demselben Künstler gehören sollen, so unfassbar klingt die Differenz.

 

Aber unfassbar, weil wunderschön, einzigartig und besonders, ist eben diese gesamte Einspielung, denn vermutlich wird dieses Album auch noch in 100 Jahren nicht nur eine Referenz für das Faszinosum des Liedgesanges sein, sondern auch ein Zeugnis dafür, wie ein Künstler Brücken zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Stimme und Seele, zwischen Mensch und Musik schlagen kann.

 

Nicht das ewig verlorene Lieb, sondern das ewig zeitlose Lied. Vielen Dank dafür Jonas Kaufmann.

 

SENSATIONELLER SCHWANENGESANG  MIT JONAS KAUFMANN ALS "DOPPELGÄNGER" IN AUFSEHENERREGENDER BÜHNENPRODUKTION

Aufsehenerregend! Provokant! Sensationsheischend! Dabei will doch das Kunstlied intim und unaufgeregt konsumiert werden! So wie noch vor 200 Jahren, als sich in adligen Salons zur Biedermeierzeit kleine Gesellschaftskreise um ein Pianoforte versammelten, um dem Künstler an der Klaviatur still und andachtsvoll bei seinem Vortrag zu lauschen.

 

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