26. August 2025
Rubrik Konzert
©Kuro.Simon - Graz Kasematten / La Traviata
Bereits die Anfahrt hinauf zu den Kasematten in Graz hat etwas Erhebendes, denn mit der Schlossbergbahn entfernt man sich langsam, aber stetig von der noch sommerlich überschwänglichen Atmosphäre der pulsierenden Stadt, die bereits auf Entschleunigung und abendlichen Ausklang eingestellt ist.
Während sich unter einem die zauberhaften Häuser der Altstadt im Dämmerlicht aufzulösen scheinen, empfängt einen in den Kasematten ein reduziertes Bühnenbild, das von alten Steinmauern flankiert in ein gedämpft warmes Licht getaucht wird. Es ist ein lauer, besonders angenehmer Sommerabend, zu dem es mehr nicht braucht, außer ein besonderes musikalisches Tête à tête.
Von Nicole Hacke
Heute Abend auf dem Grazer Schlossberg erwartet einen die vielleicht tragischste Liebesgeschichte, die der italienische Komponist Giuseppe Verdi in seiner epischen Oper La Traviata so formvollendet in Musik gegossen hat. Nicht als inszenoratisches Musiktheater, sondern in einer halbszenischen Konzertversion bereiten Thomas Hampson, Xabier Anduaga und Nicole Chevalier dem Publikum einen musikalischen Genusshappen der Superlative.
Voller Spannung erklingen mit der Ouvertüre die ersten leisen Töne, sehnend, klagend, schmerzlich und so tieftraurig, dass man fast im Begriff ist, sich im melancholischen Klangteppich aufzulösen. Doch dann dieser leise Moment der Irritation. Neben mir sitzt eine elegante Erscheinung, die nicht wirklich ins Bild zu passen scheint. Angezogen wie eine Grande Dame der 30er Jahre, spürt man sofort etwas Erhabenes, etwas Unnahbares, etwas das nicht passt und dennoch Sinn ergibt.
Es ist die Protagonistin, Nicole Chevalier, die sich für die Inszenierung unter das Publikum mischt und bewusst dem Bühnengeschehen außen vor bleibt. Schließlich handelt es sich um eine Rückblende, eine verblassende Erinnerung an eine längst Verschiedene, die nicht mehr Teil des Lebens und der trauernden Menschen auf der Bühne ist.
Doch dann schallt es singend aus allen Winkeln der Bühne, die sich plötzlich in einen Raum des Frohsinns verwandelt.
©Kuro.Simon - Graz Kasematten / La Traviata
©Kuro.Simon - Graz Kasematten / La Traviata
©Kuro.Simon - Graz Kasematten / La Traviata
Und mit ihr eine entzückende Nicole Chevalier, die vom ersten Ton an zeigt, was Koloraturkunst so alles kann. Mit einer technischen Brillanz, die nie zur Schau gestellt wirkt, vermag sie es punktgenaue, laserscharfe und kristallklare Koloraturen im rasanten Auf- und Ab-Modus zu produzieren.
In dieser Violetta steckt eine Persönlichkeit, die mit Feuer und Leidenschaft am Werk ist. Wunderschön ist auch Nicole Chevaliers bemerkenswert bernsteinfarbenes Timbre, das weich, warm, durchscheinend, aber mit einer erstaunlich satten Tiefe gesegnet ist. Diese Frau hat keine Scheu vor großen, echten und gelebten Gefühlen. Chevaliers Temperament ist einzigartig, fesselnd.
Ihr letztes Aufbäumen im Schlussakt brodelt wie ein Feuerball intensivster Leidenschaft. Diese Frau brennt, brennt aus und erlischt, was in ihrer feinfühligen Interpretation der Arie "Addio del passato" körperlich beinahe schmerzhaft spürbar wird.
Es ist eine große Kunst, sich gesanglich so weit ins Pianissimo zurückzunehmen und doch mit jedem Ton eine elektrisierende Präsenz auszustrahlen, die ganz sicher den letzten Winkel der Kasematten erfasst.
Und auch Xabier Anduaga, der sich als Einspringer für den erkrankten Joseph Calleja formidabel in den Vordergrund spielt, punktet mit einem hellen, klaren und ausgesprochen stentoralen Tenor, der weiche Lagatolinien ebenso kann wie leidenschaftlich-erruptive Koloraturen.
Seine Stimme hat einen betörenden Glanz, ohne jeglichen Anflug eines metallischen Stichs. Rund und in den exponierten Höhen leicht und mühelos klingend, gelingt auch seine Interpretation der großen Arie im zweiten Akt „De’ miei bollenti spiriti“, formidabel.
Anduaga singt diese Arie nicht nur, nein, er transportiert sie mit einer pulsierenden Energie, die in der Sekunde vom Publikum absorbiert wird. Was für eine magnetische Anziehung, die dieser junge Tenor mit leuchtend, stentoraler Ausdauer und emotionalem Tiefgang zur Schau trägt.
©Kuro.Simon - Graz Kasematten / La Traviata
©Kuro.Simon - Graz Kasematten / La Traviata
©Kuro.Simon - Graz Kasematten / La Traviata
Auch die folgende Cabaletta „O mio rimorso!“ meistert der baskische Tenor mit technischer Brillanz und fast übermenschlicher Kontrolle.
Was oft als reine Glanznummer verpufft, wird an diesem Abend zu einem mitreißenden Moment psychologischer Spannung, die zwischen Triumph, Zweifel und Vorahnung changiert. Anduaga demonstriert sowohl stimmlich als auch schauspielerisch, dass Kraft, emotionale Tiefe und Ausdruck keinen Widerspruch in sich bilden.
Thomas Hampson, der einen grandiosen Giorgio Germont auf die Bühne zaubert, bringt genau das Maß an Autorität und Menschlichkeit mit, das dieser Rolle abverlangt wird . Schauspielerisch zurückhaltend, aber wirkungsvoll, spielt der Bariton den besorgten Vater, der einen inneren Konflikt mit sich ausfechten muss.
Stimmlich durchgehend sonor und mit einer farbenreichen Präsenz versehen, besticht auch das Duett mit Violetta, das Hampson mit eindrücklich kontrollierter Intensität gestaltet, ohne je in Pathos abzurutschen.
Man hört hier nicht nur einem Vater zu, sondern bedauert letztendlich einen Mann, der plötzlich die moralische Konsequenz seines Handelns erkennt.
©Kuro.Simon - Graz Kasematten / La Traviata
©Kuro.Simon - Graz Kasematten / La Traviata
©Kuro.Simon - Graz Kasematten / La Traviata
Doch was wäre all der stimmliche Ausdruck und das schauspielerische Vermögen, würde nicht Marcus Merkel mit dem Grazer Philharmonischen Orchester das klangliche Rückgrat formen.
Mit einem beeindruckend feinen Gespür für Timing führt er mit seinem Dirigat die gesangliche Cast sicher und auf den Einsatz genau durch die Partitur – auch dort, wo Sichtkontakt kaum möglich ist.
Sein Dirigat bleibt transparent, nie plakativ, und entwickelt in den Zwischenspielen wie auch in den Ensemble-Szenen eine durchgehende Spannung. Besonders auffällig: seine Fähigkeit, Dynamik so zu steuern, dass sie den Stimmen nicht im Weg steht, sondern sie quasi fast auf Händen trägt.
Und der Plot Twist: Am Ende stirbt Violetta nicht, wie sonst üblich, auf der Bühne, sondern direkt neben mir auf dem freien Stuhl. Wie eine dem Wahnsinn verfallene klettert Nicole Chevalier zuvor über die ersten Sitzreihen, benebelt vor Schmerz und seelischer Betäubung. Noch im letzten Aufbäumen, mit hochgerissenen Armen, die in der Luft keinen Halt finden können, erschlafft ihr Körper sukzessive, bis er schlussendlich neben meinem Stuhl in sich zusammenfällt.
Es ist eine tief bewegende Szene, die in ihrer Schlichtheit und Intensität tief unter die Haut geht.
FAZIT:
Dieser Abend bleibt ein einmaliges Ereignis, das noch lange, nachdem der Applaus längst schon verklungen ist, in mir nachhallen wird.