30. April 2025
Rubrik Oper
©Royal Opera House Covent Garden
Die erste europäische Oper, die in Griechenland großen Anklang fand, war Donizettis Lucia di Lammermoor. Auch am heutigen Abend legt sich ein vereinnahmender Zauber über das Auditorium der Greek National Opera in Athen, in dessen Reihen ein enthusiasmiertes Publikum sitzt, das sich mit dem Sujet dieser Oper tatsächlich bestens auszukennen scheint.
Doch viel mehr als nur das Genusserlebnis einer hochdramatischen Handlung zu gustieren, fängt man bei der Inszenierung der Katie Mitchell von der ersten Sekunde an Feuer.
Von Nicole Hacke
Packend, spannend, aufregend und nicht zuletzt mit einem aalglatten roten Faden versehen, holpert es in diesem Regiewerk nicht ein einziges Mal. Plausibel und stringent mit viel Detailliebe ausgeschmückt, mäandert die Thriller-ähnliche Handlung zum Blutgefrieren auf den kulminierenden Höhepunkt zu.
In die viktorianische Ära versetzt, erlebt der Zuschauer ein Bühnenbild, das in zwei Szenen unterteilt, parallele Handlungswelten aufleben lässt.
Eine Friedhofs-Szenerie neben dem Ankleidezimmer der Lucia di Lammermoor erzeugt vom ersten Moment an eine düstere Morbidität, die auf das emotionale Stimmungsbild der dramatischen, sich zuspitzenden Handlung einzahlt.
Beschützend wirken dagegen die hochherrschaftlichen, sicheren vier Wände einer im goldenen Käfig gefangenen Lucia, deren schicksalhafte Bestimmung bereits zu Beginn des ersten Aktes lange Schatten vorauswirft, was perfekt und äußerst konturiert durch die zwei in eins Bühnenbildkonstruktion kontrastiert wird.
©Royal Opera House Covent Garden
Ein Zusammenspiel aus Licht und Schatten macht aus dieser Inszenierung ein Meisterwerk stimmungsintensiver, und hochgradig explosiver Dynamiken.
Auch wenn man zuweilen abgelenkt, durch die Handlungsparallelen, immer wieder von links nach rechts und von rechts nach links schauen muss, um bloß ja nicht eine Regung, eine Bewegung im großen inszenatorischen Kaleidoskop dramaturgischer Facetten zu verlieren, so schafft es Katie Mitchell in jeder Sekunde, den Zuschauer hypnotisch an das unvergleichliche Drama zu fesseln.
Aber nicht nur das; mit jedem Detail, jedem Puzzlestück, dass sich von Akt zu Akt und von Szene zu Szene zu einem großen Ganzen plausibel und logisch zusammensetzt, erlebt man die Welt der Lucia di Lammermoor Stück für Stück in sich zusammenbrechen.
Mit dem sozialen Druck, die verhasste Vernunftehe zu Arturo eingehen und sich somit dem Patriarchat des Bruders beugen zu müssen, implodiert die rasende Verzweiflung einer jungen Frau, die sich noch in der Hochzeitsnacht des frisch angetrauten Ehemanns entledigt.
Blutrünstig und so mörderisch gut wie in dem Film "Basic Instinct" wird Lucia zur bestialischen Mörderin und begeht auf hinterhältigste Weise ein Blutbad, das den armen Arturo wie ein abgestochenes Schwein am Boden liegend mausetot zurücklässt.
©Royal Opera House Covent Garden
Ist es da noch verwunderlich, dass nach dieser Tat der Wahnsinn über Lucia hereinbricht. Aber nicht, weil ihr allein der Mord an Arturo zusetzt, sondern vielmehr, weil Lucia kurz darauf einen Abort durchleben muss, der ihr wahrhaft das letzte bisschen Verstand raubt.
Als Strafe ihrer Todsünde verliert sie Enricos Kind und wandelt wie von Sinnen und von allen guten Geistern verlassen im Billardzimmer ihres Bruders wie ferngesteuert umher, nicht achtend der illustren Gesellschaft, die sich um das verrückt gewordene Frauenzimmer versammelt.
Es ist die verrücktestes aller Opernszenen, wie sie nur im Bilderbuch stehen kann.
Doch was dem Drama schlussendlich die schockierende Krone aufsetzt, ist die finale Szene im dritten Akt.
Inszenatorisch oft ausgeblendet, nicht zu Ende gedacht oder einfach der Fantasie der Zuschauer überlassen, inszeniert Katie Mitchell den Selbstmord der Lucia di Lammermoor, die zwar keinen Ton mehr zu singen hat, dafür aber ein schauspielerisches Vermögen an den Tag legen muss, das sich gewaschen hat.
Nachdem die Zofe Alisa für Lucia ein Bad vorbereitet hat, schneidet sich Lucia im warmen Wasser die Pulsadern auf. Mit ihrem Suizid setzt sie ihrem Schicksal ein Statement und rechnet postmortem mit ihrem Bruder ab, die einzige, ihr noch mögliche Form der Selbstbestimmung in einer Zeit konventioneller und patriarchaler Abhängigkeiten.
Was für ein bitteres Ende, einer Frau, die es ohne männliche Doktrin, deutlich leichter im Leben gehabt hätte. Während man noch fassungslos auf das Bild der leblosen Lucia in der Badewanne starrt, schneidet sich mit dem letzten explosiven Akkord der über Lucias Wanne gebeugte Enrico die Kehle durch.
Dieses Blutbad bleibt unvergesslich!
©Royal Opera House Covent Garden
©Royal Opera House Covent Garden
Grandios gesungen und geschauspielert, versteht man auf der Stelle, warum nur die Griechen das Drama so lodernd heiß im Blut haben. Allen voran Vassiliki Karayanni, die als Lucia eine Glanzpartie an diesem Abend bekleidet.
Ihre herrlich weichen, samtsatten Lyrismen, die ausgewogenen Dynamiken, die elastisch-bombastischen Koloraturen, die leicht flatternd, duftig und "immerzart" in den Orbit des Auditoriums entschweben, machen das vokale Erlebnis zu einem absoluten Genusshappen.
Diese Frau überzeugt mir ihrer klangvollen, sphärisch pastellfarbenen Stimme, die golden, warm und glockenhell belcantistisch-dramatische Höhenflüge mit Bravour meistert. Ihr Schauspiel ist umwerfend, dramatisch bis ins Detail ausgereizt und mit einer Authentizität versehen, dass man innerlich mit der griechischen Sopranistin mitleiden muss.
Den Mord an Arturo spielt sie mit einer so niederträchtigen Verzweiflung, dass man fast schon gewillt ist, Verständnis für die sündhafte Tat aufzubringen.
Ihr Selbstmord, der leise, lautlos und mit einer stoischen Entschlossenheit vonstatten geht, rüttelt auf und schockiert zutiefst. Die letzten Japser nach Luft, das letzte pulsierende Aufbeben ihres Körpers bevor Lucia still und stumm wird, lassen einem den Atem stocken. Das ist wahre Schauspielkunst.
Beeindruckend präsentiert sich auch der griechische Bariton Dionysios Sourbis, der als Enrico den dominanten Bruder Lucias gibt. Mit seiner kraftvoll, perfekt austarierten Stimme, die gaumenrund und in bernsteinfarbenen Facetten vokalsatte Tiefen verlauten lässt, beeindruckt er stimmlich sein Publikum.
Umwerfend sind auch seine herrischen Ausbrüche und die leisen Ansätze von Brutalität, die sich in seinem explosiven Wesen widerspiegeln.
©Royal Opera House Covent Garden
Da fliegt dann auch schon mal das Tablett mitsamt Tassen und Tellern krachend durch das Schlafgemach der Lucia. Wenn dieser Mann mit seiner Faust auf den Tisch haut, dann wird es um Mitternacht zappenduster.
Fantastisch machen sich ebenfalls Petros Magoulas als Raimondo, Eleni Voudouraki als Alisa, Yannis Kalyvas als Arturo und Manos Kokkonis als Normanno. Lediglich Yannis Christopoulos vermag mich als Edgardo nicht zu überzeugen.
Mit einem schwachen Stimmbild, matt, gedimmt und nicht sonderlich strahlkräftig, finde ich keinen Zugang zu der Stimme des Tenors, obgleich es an seiner technischen Qualität absolut nicht hapert.
Großartiges Drama erzeugt an diesem besonders eindrücklichen Abend Lukas Karytinos, der sich am Taktstock mit Hingabe, Leidenschaft und Verve verausgabt und dem grausamen Schicksal der Lucia di Lammermoor die passende musikalische Würze verpasst.
Für mich ein Drama der Superlative an einem Haus, das man sich unbedingt auf seine "Opernhaus- Bucket- List" setzen sollte, auch deshalb, weil es so progressiv, modern und futuristisch in die Welt blickt.