Salzburger Festspiele 2025: Dirigent Ingo Metzmacher und Georg Nigl (Jean-Charles) über die Aufführung von Hans Werner Henzes Oratorium DAS FLOSS DER MEDUSA

28. Juli 2025

Rubrik News

©SF / Jan Friese

Die wahre Geschichte eines tragischen Schiffbruchs vor der Westküste Afrikas im Jahr 1816 liegt Hans Werner Henzes Ende der 1960er-Jahre entstandenem Oratorium zu Grunde.

 

Persönlich gut gekannt hat Dirigent Ingo Metzmacher den Komponisten: Dessen Neunte Symphonie und sein Requiem hat er uraufgeführt, seine sechste Symphonie gemeinsam mit ihm revidiert. Erstmals ein Werk von Henze hat er 1994 in dessen Anwesenheit in Köln dirigiert.

 

Über die musikalische und inhaltliche Struktur von Das Floß der Medusa sagt Metzmacher: „Charakteristisch sind die anfänglichen Worte des Erzählers, wenn dieser sagt: ‘Wir reden mit zweierlei Stimmen’ – es gibt eine Welt des Lebens und eine Welt des Todes.

 

Die Toten singen gemäß der Partitur auf der linken Seite zusammen mit den Streichern, die Lebenden auf der rechten Seite werden verkörpert durch das Atmen der Bläser.“

 

In der Felsenreitschule, so Metzmacher, lasse sich dieses räumliche Verhältnis im Gegensatz zur Aufführung in normalen Konzertsälen besonders gut sichtbar machen.

 

©SF / Jan Friese

Angesprochen auf die monumentale Besetzung und das Wesen der von ihm verkörperten Figur des Jean-Charles, sagt Georg Nigl: „Er fungiert als Zeuge der Geschichte. Die intensive Beschäftigung mit dem Stück hat mich sehr berührt, seiner Wirkung und den Themen, die darin verhandelt werden, kann man sich unmöglich entziehen.

 

Tatsächlich geht es während der zwölf Tage auf dem Meer ums blanke Überleben, und ich hoffe, dass die Menschen, die sich die Aufführung anhören, auch etwas von deren Botschaft mitnehmen.“

 

Besonders wichtig findet er das mit Blick auf die Historie: „Henze und sein Librettist haben die Schrecken des Zweiten Weltkriegs noch selbst miterlebt. Sie sind Zeugen einer Zeit, an die die Erinnerung immer mehr verloren zu gehen droht. Gerade deshalb ist dieses Werk so wichtig:

 

Die Katastrophe der Handlung hat sich bereits 1816 ereignet, führt uns aber noch immer unsere menschlichen Unzulänglichkeiten vor Augen.“

 

Über die Struktur des laut Henze-Biograf Jens Rosteck „zwischen Kantate, Bach’scher Passion und zeitgenössisch-zeitloser Parabel“ angesiedelten Werks, sagt Metzmacher weiter: „Am Anfang singen die Lebenden auf der rechten Seit zu den Klängen der Streicher auf Deutsch.  

 

Sobald sich die Personen nach links in Richtung des Todes bewegen, beginnen sie, auf Italienisch Passagen aus Dantes „Göttlicher Komödie“ zu singen. Die Musik wird immer gerade dann besonders schön. Im zweiten Teil ändert sich dann die Aufstellung, hier gibt es einen großen Chor der Toten, eine Art Kammerchor der Sterbenden und einen Chor der Lebenden.

 

Henze geht es nicht nur um die Dokumentation des Schreckens der Geschichte, sondern auch um die Darstellung der uns allen unbekannten Welt des Todes, die von der Solo-Sopranstimme repräsentiert wird.“

 

©SF / Jan Friese

Teil des Stücks ist auch die Person des Erzählers, dessen Rolle Metzmacher so beschreibt: „Er spricht meist in freier Prosa, stellenweise aber auch rhythmisch im Zusammenwirken mit Schlagzeug, durch das er instrumental charakterisiert wird. Die Figur des Jean-Charles repräsentieren die Bläser, die Stimme des Todes die Streicher.“

 

Berühmt geworden sei die Geschichte, so Georg Nigl, vor allem durch das Gemälde von Théodore Géricault aus dem Jahr 1819, das heute im Louvre hängt und das eine wichtige Rolle gegen das Vergessen innehat. Vor dem Hintergrund der Tumulte, die Das Floß der Medusa bei seiner Uraufführung ausgelöst hatte, sieht Nigl die Zielrichtung von Musik allerdings weniger darin, provozieren zu wollen.

 

Ihm geht es um die zentralen darin verhandelten Inhalte und primär darum, Menschen damit zu berühren. Metzmacher ist überzeugt: „Ich glaube fest, dass es Henze bei diesem Stück darum ging, aufzurütteln und auf kritische Zustände hinzuweisen, wie sie auch heute noch existieren: Wenn es kritisch wird, retten sich diejenigen, die können. Die anderen bleiben sich selbst überlassen.“

 

Auf die musikalischen Herausforderungen weisen beide Künstler hin. So sagt etwa Nigl über die Partie des Jean-Charles: „Sie erstreckt sich über zweieinhalb Oktaven und ist sehr schwer zu singen. Die Vorbereitung erfordert viel Zeit.“ Gleichzeitig stehe sie aber für ihn in einer Reihe mit so bedeutenden Werken des 20. Jahrhunderts wie Bergs Wozzeck und Luigi Dallapiccolas Il Prigioniero.

 

Und auch Metzmacher ist der Meinung: „Das Werk ist sehr groß besetzt und anspruchsvoll – die Partitur ist auch vom Format her die größte, die ich besitze.“ Schwierig zu realisieren sei etwa die räumliche Aufreihung der zweigeteilten Stimmen. Hier seien die Aufführungsbedingungen dafür aber günstig: „In Salzburg ist eben alles möglich.“

 

Über die Wesenszüge seiner Rolle sagt Nigl: „In der Person des Jean-Charles wird ein sehr traumatisierter Mensch porträtiert, der letztendlich die Auswahl darüber trifft, wer überleben kann und wer nicht. Gesetze existieren in dieser Konstellation nicht mehr, es gibt im Stück Stellen, die sehr philosophische Fragen stellen. Es geht an die Grenzen der psychischen Kompatibilität mit der Gesellschaft – auch deshalb ist es ein Meisterwerk.“

 

Auch für Intendant Markus Hinterhäuser steht die erstmalige Aufführung des Werks in der Kontinuität neuer Denkräume, in die er den Auftakt der Ouverture spirituelle bewusst vor dem Hintergrund der übergeordneten Fragestellung überführt hat: „Was kann uns Musik über das Menschsein und die Geographie unserer Existenz erzählen?“

 

Quelle: Presse Salzburger Festspiele

 

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