28. Juli 2025
Rubrik News
©SF / Jan Friese
Am 8. August hat Evgeny Titovs Neuinszenierung von Peter Eötvös´ Drei Schwestern nach dem gleichnamigen Drama von Anton Tschechow in der Felsenreitschule Premiere. Über das Verhältnis der literarischen Vorlage zur Oper sagt Titov, der 2019 bereits Maxim Gorkis Sommergäste in Salzburg inszeniert hatte:
„Mit dem Original bin ich bestens vertraut: Bei Tschechow hat das Stück eine klare Struktur und einen klaren Verlauf. Eötvös´ Fassung basiert eher auf den Prinzipien der menschlichen Erinnerung. Es ist eine Anordnung von chronologisch sehr gemischten Szenen – wie Einzelteile eines zersplitterten Spiegels, die zu einem Mosaik zerfallen sind und eine Fläche für Traum, Vergangenheit, Zukunft und Wunschdenken reflektieren.
Und Eötvös´ Musik öffnet zusätzlich ganz neue Räume“. Die Erarbeitung des Stücks in den Proben mache ihm viel Spaß, er sei sehr glücklich über die Begegnungen mit tollen Künstlerkollegen.
Seit seinem Gewinn des Young Conductors Award bei den Salzburger Festspielen 2014 ging der Karriereweg von Dirigent Maxime Pascal steil nach oben: Neben der Leitung seines eigenen Orchesters Le Balcon hat er sich auch als renommierter Experte für Repertoire des 20.
Jahrhunderts etabliert und 2023 u.a. mit den Wiener Philharmonikern die preisgekrönte Aufführung von Martinůs The Greek Passion in der Felsenreitschule dirigiert. Komponist Peter Eötvös hat er persönlich gut gekannt, über seine erste Begegnung mit ihm erzählt er: „Erstmals getroffen habe ich ihn 2013; als ich in Paris seine Oper Le Balcon einstudiert habe. Ich habe ihn damals gefragt, ob ich ihn in Ungarn besuchen dürfe, gemeinsam mit unserem Korrepetitor Alphonse Cemin bin ich dann zu ihm gefahren.
Im Vorfeld war ich etwas nervös, weil mir einige klangliche Veränderungen, wie z.B. die Vervielfältigung einiger Stimmen und die Besetzung der Alt-Partie mit einem Countertenor vorschwebten. Tatsächlich zeigte er sich diesen Ideen gegenüber aber sehr offen. Für ihn selbst spielte der Improvisationsfaktor im Kompositionsprozess eine wichtige Rolle.“ Über die Besetzung sämtlicher Rollen mit männlichen Stimmen, davon vier Countertenöre in der Salzburger Neuinszenierung von Drei Schwestern sagt er:
„Ich finde das eine großartige Idee. Dadurch gewinnt jede Stimme ein besonders individuelles Profil, was wiederum den sehr unterschiedlichen Charakteren Rechnung trägt. Als Eötvös das Stück 1997 schrieb, war es noch schwierig, überhaupt vier Countertenöre für eine einzige Produktion zu finden – die damaligen Sänger waren noch Pioniere ihres Fachs. Das hat sich heute grundlegend geändert. Nicht zuletzt unter diesem Aspekt hat Eötvös damals etwas ganz Neues geschaffen.“
Die Thematik des Stücks beschreibt Evgeny Titov so: „Das Hauptthema ist die Frage nach den Schwierigkeiten des Lebens und wie wir mit unseren leidvollen Erfahrungen umgehen – gleichzeitig ist das eine Frage, die man niemals erschöpfend beantworten kann.
Das einzige, was uns dabei helfen kann, sind Hoffnungen, die wir immer wieder neu schöpfen. Das Stück bildet die Welt ab, wie sie ist“. Er selbst versuche in seiner Arbeit stets, der Musik treu zu bleiben und sich in der Inszenierung davon leiten zu lassen, was das Werk mit ihm mache. Die Bilder entstünden dabei unterbewusst – in diesem Fall hätten sie sich schon nach kurzer Zeit assioziativ eingestellt.
©SF / Jan Friese
Ein besonderes Merkmal des Stücks ist die Verwendung zweier räumlich voneinander getrennter Klangkörper, einer im Orchestergraben, einer unter dem Dach der Felsenreitschule.
Darüber erzählt Pascal: „Eötvös hat zunächst damit begonnen, nur für das kleinere Ensemble und die Singstimmen zu schreiben. Erst danach hat er das größere Orchester hinzugefügt. Aus diesem von zwei Dirigenten synchronisierten Zusammenspiel ist dann so etwas wie ein filmischer Soundtrack mit unterschiedlichen akustischen Ebenen, eine atmosphärische Klanglandschaft entstanden. Dem zweiten Orchester kommt beispielsweise in der von Eötvös so genannten „Feuermusik“ eine wichtige Funktion zu.
Die in diesem klanglichen Wahrnehmungsraum von ihm kreierte Welt beschreibt Titov in Bezug zur Gegenwart so: „Für mich war die aktuelle Realität ein Kontext, den ich nicht ausblenden wollte. Ich versuche, zu zeigen, was menschlicher Schmerz und brutales menschliches Verhalten in der heutigen Zeit bedeuten. Ich betrachte das Leben dabei als eine Reise – ein Nachdenken darüber, welche Auswege es für die Figuren aus ihrer hoffnungslosen Lage gibt.“
Konkrete Zusammenhänge zwischen der Musik und der Charakterisierung der Figuren beschreibt Maxime Pascal: „Für das Publikum – aber auch für die Musiker und die Sänger – entsteht so etwas wie eine instrumental-psychologische Erfahrung: Jeder Figur ist ein Instrument zugewiesen. Bei Olga ist das beispielsweise die Flöte, bei Irina die Oboe. In dieser Art der psychologisierenden Komposition liegt u.a. auch der dauerhafte Erfolg des Stücks begründet, mit dem es Eötvös damals gelang, gleich in seiner ersten Oper etwas ganz Neues und Einzigartiges zu schaffen.“
Weitere Werke, die er bei den diesjährigen Salzburger Festspielen im Rahmen des Themenschwerpunkts „À Pierre“ dirigiert, setzt Pascal mit Musik von Eötvös wie folgt in Beziehung: „Peter Eötvös hat Boulez und Stockhausen gut gekannt und mit ihnen persönlich zusammengearbeitet. Trotz dieser engen Verbindung unterscheidet sich sein Stil aber erheblich von deren Musik.
Bei aller Tragik der Handlung von Drei Schwestern schwingt bei ihm immer die Freude und der Enthusiasmus für die Musik mit. Auch das macht sein Schaffen so besonders.“ Etwas ganz Spezielles sind für ihn immer wieder auch die Salzburger Festspiele: „Die familiäre künstlerische Atmosphäre hier ist einzigartig: Zwischen dem Publikum und den Künstlern entsteht ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl. Dafür, hier arbeiten zu können, bin ich jedes Mal sehr dankbar.“
Quelle: Presse Salzburger Festspiele