Rubrik Oper
©Oper Graz
Schon beim Durchschreiten des eindrucksvollen Foyers fühle ich, dass die Oper Graz mehr ist als eine Institution künstlerischen Schaffens.
Sie ist ein lebendiges Gedicht aus Stein, Licht und Klang, erbaut vor über hundert Jahren von den Stararchitekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer, deren Visionen in der harmonischen Symphonie aus Neobarock und Jugendstil erblühen.
Von Nicole Hacke
Unfassbar, dass dieses architektonische Meisterwerk in weniger als sechzehn Monaten erbaut wurde; ein erstaunlicher Kraftakt, der heute wie ein Märchen klingt und ganz sicher viele Entbehrungen mit sich brachte. So mussten die Bauarbeiter Tag und Nacht an der Vollendung des neoklassizistischen Meisterwerks und damit an den baugewerblichen Vorschriften vorbei arbeiten.
Doch das Ergebnis lässt sich mehr als nur sehen: Ein Haus von solcher Pracht und solch architektonischer Ästhetik, das insbesondere im Detail mit einer tiefen Liebe zur Ornamentik besticht.
Das Innere des Musentempels empfängt mich mit einer überbordenden Schönheit, die auf der Stelle mit allen Sinnen eingesogen werden will. Was für ein majestätisches Foyer, das mit seinen filigranen Stuckaturen und dem Marmorboden wie eine Leinwand glänzt und mich dazu einlädt, den Augenblick bewusst zu genießen. Hier mischt sich die Geschichte mit der Gegenwart, denn schon damals war das Opernhaus nicht nur ein Ort für Aufführungen, sondern auch ein sozialer Treffpunkt, wie das heute ebenso beliebte Café im Haus beweist.
Eingebettet in das Gefüge der formschönen Architektur, bietet es Rückzug ohne Abkehr. Es fungiert als Zwischenraum, in dem das Publikum die Schwelle vom Alltag in die Kunst überschreitet. Begleitet vom Duft eines frisch gebrühten Kaffees, dem leisen Klirren von Besteck auf Porzellan und dem aufgeregten Murmeln gespannter Vorfreude, wandelt sich an diesem Ort das Opernerlebnis in einen Akt der Magie.
©Oper Graz
©Oper Graz
Von Raum zu Raum wandelnd, trete ich nun leise in das pompöse Auditorium und noch etwas näher an die Bühne heran, die momentan wie leergefegt erscheint. Fast friedlich wirken die Bretter der Welt in der Verlorenheit des großen Saales. Doch ich weiß: schon bald werden sie zum Schauplatz großer Emotionen und dramatischer Höhepunkte.
Die Kulisse und der Spielboden, technische Wunderwerke, die sich mit moderner Präzision hinter der historischen Fassade verbergen, warten geduldig auf das Leben, das gleich in ihnen erwachen wird.
Hinter den Kulissen beobachte ich nun reges Treiben. Künstlerinnen und Künstler, die gerade noch die letzten Atemzüge vor dem großen Auftritt nehmen, erwarten mit großer Antizipation die bevorstehende Aufführung von Franz Lehárs Operette "Schön ist die Welt".
Ihre Konzentration und das gespannte Knistern der Vorfreude füllen die Luft mit einer elektrisierenden Energie. Sänger stimmen ihre Stimmen, Tänzer dehnen sich, Kostümbildner arrangieren letzte Details.
Dieses pulsierende Miteinander, das einem Zusammenspiel von Leidenschaft und Professionalität gleichkommt, formt nicht bloß das Herz des Hauses, sondern bildet eindeutig den Resonanzraum für das Unausgesprochene; dort, wo die Aufführung zur Wirklichkeit und die Erwartungen zu Empfindungen werden.
Dabei versteht sich die Oper Graz nicht ausschließlich als Bühne für Opern, Ballett und klassische Konzerte. Ihr Programm ist lebendig und facettenreich:
Schließlich gibt es neben den großen Inszenierungen auch immer wieder innovative Formate, die experimentelle Musik mit traditionellem Repertoire verbinden, sowie Veranstaltungen, die jungen Künstlern Raum geben und interdisziplinäre Begegnungen fördern.
©Oper Graz
©Oper Graz
Das Haus ist somit ein kultureller Magnet, der weit über die Grenzen der Stadt hinausstrahlt. Und doch entfaltet sich seine eigentliche Magie in einem stillen Augenblick, in dem ich allein im Zuschauerraum sitze, umgeben von rotem Samt, goldenem Stuck und kunstvoll gestalteten Deckenmalereien, genau dort, wo ich die einzigartige Poesie dieses Gesamtkunstwerkes ganz unmittelbar zu spüren bekomme.
Die Oper Graz ist wahrhaft ein lebendiges Erbe, ein Ort, an dem Architektur und Kunst miteinander tanzen – ein Raum, der Geschichten erzählt, lange nachdem der letzte Vorhang gefallen ist.
Noch während ich mich langsam zurückziehe, wird mir auf stille Art bewusst, dass die Oper Graz nicht nur ein Haus für Aufführungen ist.
Nein, vielmehr ist sie ein lebendiges Symbol für das Zusammenspiel von Tradition und Innovation, von Kunst und Leben. Ein Ort, der die Zeit nicht anhält, sondern verwandelt – in Bedeutung, in Erinnerung, in sinnliche Gegenwart.