Femme Fatale Carmen an der Wiener Staatsoper mit Elīna Garanča und Piotr Bezcala

15. September 2022

Rubrik Oper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu. Eine Femme fatale namens Carmen bezirzt die Männerwelt, spielt mit dem Feuer und riskiert, dass ganz am Ende sie selbst in ihr eigenes fatales Unglück stürzt.

 

Fernab der pseudospanischen Märchenwelt und ohne das pittoreske Tamtam eines überfrachteten Bühnenbildes tobt sich der spanische Opernregisseur Calixto Bieito auf den Brettern der Wiener Staatsoper mit wenig Requisiten und ausgesprochen minimalistischen Stilmitteln aus.

 

Schnell liegt auf der Hand, dass bei dieser Produktion allein die Akteure auf der Bühne gefordert sind, ihr schauspielerisch Bestes zu geben. Und das gelingt mit einem überdurchschnittlichen Sängercast, der mit Piotr Beczala und Elīna Garanča in den Hauptrollen der spannendsten Amour fou der vieraktigen Bizet-Oper zu filmreifen Thrillerqualitäten verhilft.

 

Dabei spielt sich das Handlungsgeschehen, wie normalerweise üblich, nicht in der Nähe einer Tabakfabrik ab, sondern in einem zwielichtigen Rotlichtviertel, das von Prostituierten und vergnügungssüchtigen Soldaten beständig frequentiert wird.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Ein Abbild der brutalen Realität präsentiert dem Publikum besoffene Soldaten, die sich dauergeil ins erotische Vergnügen stürzen und in deren Mitte eine ebenso spaßliebende Carmen herumtollt, die sich süchtig nach dem pulsierenden Leben in die Arme eines Jeden stürzt, der gerade verfügbar und leicht zu verführen ist.

 

Dabei wirkt die ein oder andere Szene extrem überzogen und so offensichtlich anstößig, dass man sich viel lieber mit subtilen Andeutungen zufriedengegeben hätte.

 

Stattdessen erlebt man plumpe Anmachen ohne erotisch prickelnde Magie, die zwar aufreizend wirken, aber dennoch ein unsensibles, obzönes und billiges Bild einer wenig liebreizenden Carmen porträtieren.

 

Erfahren in Liebesdingen, dominant und fordernd:Die Regeln der Verführungskunst sind bei dieser Inszenierung in jedem Fall das Machwerk einer reifen, sexuell verbrauchten Frau, die längst schon weiß, wo der Hase lang läuft.

 

Und auch die Art und Weise, wie sie sich im ersten Akt nuttenhaft die Blume durch die Beine zieht, bevor sie sie Don José zuwirft, entbehrt jeglich romantischer Illusion, die man sich vielleicht über eine wilde, ungestüme und außerordentlich lebensbejahende, stolze Frau gemacht hätte.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Doch von Stolz kann in dieser Rolleninterpretation wohl kaum die Rede sein.

 

Elīna Garanča spielt die abgeklärte Carmen - eine Frau mittleren Alters - mit absoluter Hingabe. Ein wenig von oben herab, vielleicht sogar ein bisschen männerverachtend, kokettiert sie kaltherzig, gleichgültig und fast schon willkürlich mit den Liebhabern ihrer Wahl.

 

Für das leichte "Mädchen" scheint die Liebe nur ein Katz-und-Maus-Spiel zu sein, ein animalisches Spiel mit grausamen Ausgang.

 

Stimmlich überzeugend zeigt die Mezzosopranistin, wie viel lodernde Expressivität und erotische Wirkkraft in ihr steckt. Vollsamten, tiefdunkel und warm timbriert strahlt das ausdrucksstarke Vokalinstrument mit Verve und so manches Mal auch mit brutaler Grausamkeit.

 

Genau dann, wenn die Stimme ihre hysterischen Krallen ausfährt, Ecken und Kanten hervorblitzen, brodelt es aus dem technisch einwandfreien Schöngesang emotional aufbrausend, unkontrolliert und scharfzüngig.

 

Die fiktive Figur der Carmen erhält erst durch das versierte sängerdarstellende Vermögen Kontur und einen brillantklaren Schliff mit allerfeinsten Facetten.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Perfekt personifiziert Elīna Garanča eine Carmen, die nicht menschlicher und damit auch nicht fehlbarer sein könnte.

 

Piotr Bezcala, der als Don José authentisch mit der Sängerdarstellerin um die Wette glänzt, beweist auf ganzer Linie sein schauspielerisches und gesangliches Können.

 

Unnahbar taut er in der Nähe von Carmen langsam, aber sicher immer mehr auf. Schmachtend knickt er in Liebesdingen vor dem abgebrühten, heißblütigen Vollweib ein, verfängt sich in den Irrungen und Wirrungen der Liebe und kocht derweilen auch so manches Mal vor rasender Eifersucht über.

 

Der Tenor mit der strahlenden Klangbrillanz schafft es an diesem Abend, Leidenschaft auf die Bühne zu bringen und funkensprühend ins Publikum zu projizieren.

 

Hell schimmernd, stentoral in den ritterlich exponierten Höhen, kraftvoll in der eingedunkelten Mittellage - so vollends ästhetisch kann ein schwärmerisch verliebter Antiheld klingen.

 

Ausufernd betörend schöne Phrasierungen, ausgeglichen fein nuancierte Legatobögen. Alles ist dabei, was Gesangstechnik und Gesangsästhetik herzugeben vermögen. Und auch das Gefühl, die große Emotion ganz besonders in der Schlussszene, lassen rein gar keine Wünsche offen.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Nahezu erschüttert erlebt man den grausamen Mord an Carmen, die mit durchgeschnittener Kehle leblos in sich zusammensackt. Daneben stehend ein erstarrter Don José, der am Boden zerstört, seine Tat nicht begreift.

 

In weiteren Rollen brillieren auch Slávka Zámečníková, die sich als verliebtes junges Ding in den irisierendsten aller Klangwelten verliert. Glockenrein und von kristallklarer Brillanz strömt ihre Stimme in die schillerndsten Höhen, wenn sie Don José nur allzu intensiv in die Augen schaut.

 

Und was wäre die eifersuchtmordende Welt der Carmen ohne einen männlichen Rivalen, der sich um die Gunst des geliebten Weibes mit Don José messen muss.

 

Escamillo, der Torero, gespielt und gesungen von Roberto Tagliavini klingt baritonal stolz und erhaben. Über den Dingen stehend, etwas überheblich, aber genau richtig für das machohafte Gehabe eines Stierkämpfers, singt sich der Barde mit der tiefenwirksamen Stimmpotenz mannshoch in die Herzen der allerstolzesten Frauen, Carmen inklusive.

 

Bleibt nur noch der orchestral untermalende Klangteppich, welcher der Oper Carmen durch das Dirigat von Yves Abel eine temperamentvolle, impulsive und vulkanisch eruptive Textur verleiht.

 

Was für eine messerscharfe Carmen. Aufpassen muss Mann, dass er sich bloß nicht an ihr schneidet.


©Wiener Staatsoper / über youtube zur Verfügung gestellt

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©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

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