Im Gespräch mit Nikola Hillebrand: "Was mir immer wichtig sein wird, ist meine stimmliche Freiheit."

29. Oktober 2023

Rubrik Interview

©Miina Jung

Nach ihrem sensationellen Auftritt bei den Salzburger Festspielen im Sommer 2023 treffe ich die junge Sopranistin Nikola Hillebrand zu einem persönlichen Gespräch, in dem sie mir über das Festspielerlebnis, ihre Leidenschaft für den Liedgesang sowie derzeitige Rollen und zukünftige Projekte erzählt.

 

Enthusiastisch klingt es, wenn die charismatische Opernsängerin über ihren Werdegang berichtet, der in den vergangenen 10 Jahren bereits Meilensteine einer beeindruckenden Karriere aufzeigt. Jüngst bei der Schubertiade Schwarzenberg im Liedgesang gefeiert, freut sich die junge Künstlerin bereits auf ihr Debüt in Leonard Bernsteins Operette Candide am Theater an der Wien, wo sie die Kunigunde zum Jahresende 2023 darbieten wird.

 

Was Nikola Hillebrand jedoch bei allem, was sie tut, ganz besonders wichtig ist, hat mir ihrer verzaubernd perlenreinen Stimme zu tun, die auf der Bühne immer  leicht und mühelos klingt.

 

Doch wieviel Arbeit, Ausdauer und Kontinuität bemüht werden müssen, um dieses hohe gesangliche Niveau zu erreichen, genau das steht auf einem ganz anderen Blatt. Disziplin, Leidenschaft und das Brennen für den Gesang bilden den Motor, der Nikola Hillebrand immer wieder zu absoluter Höchstleistung anspornt sowie das fortwährende Streben nach stimmlicher Freiheit.

 

Operaversum: Was macht die Salzburger Festspiele für Dich so besonders? 

  

Nikola Hillebrand: Zum einen ist natürlich die Atmosphäre der Salzburger Festspiele einzigartig, obgleich ich dort ja schon vor 10 Jahren im Ensemble des “Young Singer Project” beim Sommernachtstraum debütiert und auch im letzten Jahr ein Konzert gegeben habe. 

  

Die Salzburger Festspiele schaffen es immer wieder aufs Neue eine fantastisch hohe Qualität abzuliefern. Alle großen Künstler, wirklich alle kommen dorthin. Und dann diese Dichte an musikalischen Highlights in einer so verhältnismäßig kleinen Stadt. Das ist schon sehr speziell. 

  

Wenn man Salzburg beispielsweise im Winter erlebt, ist das im Vergleich zum Sommer ein komplett anderes Gefühl. Im Sommer vibriert es dort. Alles ist so intensiv. An jeder Ecke findet irgendetwas statt. Und dann die Ehre zu haben, als Sängerin dort auftreten zu dürfen, ist etwas ganz Besonderes.  

  

Operaversum: Und auf welches Deiner beiden Mozart-Konzerte hast Du Dich am meisten gefreut? 

  

Nikola Hillebrand: So wirklich kann ich mich zwischen den beiden Mozart-Projekten nicht entscheiden, weil sie doch beide sehr unterschiedlich waren. Das erste Konzert war ja ein geistliches Programm und mein zweiter Auftritt eine konzertante Aufführung einer Mozart -Serenata. Aber grundsätzlich kann man bei beiden Werken von einer unfassbar grandiosen Musik sprechen. 

  

Und Mozart packt mich ehrlicherweise auch immer wieder. Und nicht nur das! Er überrascht mich auch stets aufs Neue, insbesondere wenn ich meine, dass ich beispielsweise die "Zauberflöte" begriffen habe. Meistens ertappe ich mich dann dabei, dass ich von einem bereits bekannten Stück, das ich schon ganz oft gehört und gesungen habe, wieder komplett umgehauen werde. 

 

Wie genial Mozarts Kompositionen sind und wie emotional und pur seine Musik ist. Ja, das Mozart-Repertoire ist für mich noch lange nicht ausgeschöpft.  

  

Dennoch muss ich gestehen, dass für mich “Exultate Jubilate” das Highlight bei den Salzburger Festspielen war. Dieses Werk zu singen, war besonders. Und noch dazu in dem wunderschönen Konzertsaal des Mozarteums mit einem wirklich tollen Orchester und dem wahrhaft großartigen Dirigenten Roberto Gonzalez-Monjas.  

 

Operaversum: Mir ging es aus Publikumssicht ähnlich. Ich war außerordentlich begeistert und habe mir die ganze Zeit gedacht: "Wie macht Sie das nur? Wie schafft Sie es, bei einem Konzert so zu brillieren?" 

  

Muss man sich auf so ein Mozart-Repertoire anders vorbereiten? Und bedeutet das in der Vorbereitung auch im Vergleich zu anderen Fächern mehr Arbeit?  

  

Nikola Hillebrand: Mehr Arbeit würde ich nicht sagen. Selbstverständlich muss man die Koloraturen tendenziell immer etwas mehr, beziehungsweise regelmäßiger üben, denn nur mit Kontinuität kommen sie dann wirklich ins Fließen. So zumindest funktioniert es bei mir. 

  

Ich muss tatsächlich an den Koloraturen arbeiten, was bedeutet, dass ich beim Einstudieren der Partie ganz langsam mit dem Metronom anfange und mich kontinuierlich auf ein schnelleres Tempo steigere. Und so mache ich das jeden Tag, bis ich mein Tempo erreicht habe. 

  

“Exultate Jubilate” hatte ich bereits einige Male gesungen. Insofern musste ich das einfach nur wieder auffrischen. Ich vergleiche so ein "Auffrischen" immer mit dem Bügeln. Wenn man beispielsweise aus Versehen eine Falte in ein Hemd gebügelt hat und sie wieder rausbügeln muss, ist das sehr schwierig. 

  

So ähnlich verhält es sich auch, wenn man wieder mit bekannten Stücken in Berührung kommt und es dann einfach stellen mit “hartnäckiger Faltenbildung” gibt, die man stimmlich wieder rausbügeln muss. 

  

Aber zurück zu Deiner ursprünglichen Frage! Genau kann ich es auch nicht benennen. Ich denke, es war so eine Konstellation aus guter Vorbereitung und purer Freude. Hinzu kam, dass der Konzertsaal voll war und ich mich auch sehr ausgeruht und frisch gefühlt habe. 

 

©Miina Jung

Operaversum: Das hat man absolut gemerkt. Du hast unglaublich frisch gewirkt und dabei unglaublich gestrahlt. Aber sag mal, wie ist das mit dem Publikum? Muss ich mir das Salzburger Publikum irgendwie anspruchsvoller oder gar kritischer vorstellen?  

  

Nikola Hillebrand: Nun ja. Die Salzburger Festspiele liefern einfach über seit Jahrzehnten so eine extrem hohe Qualität. Da glaube ich schon, dass die Leute, die nach Salzburg kommen, einen sehr hohen Anspruch an die musikalischen Darbietungen haben. 

  

Das ist gar keine Frage. Aber abgesehen davon, glaube ich, dass das Publikum immer spürt, wenn etwas von Herzen kommt. Dann nämlich kann man mit seinen Zuhörern auch eine Verbindung herstellen. Und das ist, glaube ich, das Allerwichtigste, wobei das Publikum primär natürlich schon Qualität hören will. Und gerade bei Mozart. 

  

Operaversum: Genau über das Thema Emotionen und über die Relevanz diese ins Publikum zu transportieren, haben wir ja schon mal gesprochen. Und auch die damit einhergehende wechselseitige Resonanz, die doch ziemlich wichtig scheint?  

  

Nikola Hillebrand: Absolut! Aber auch die Freude. Ich hatte so eine Freude und das schwappt dann irgendwie auch ins Publikum über.  

  

Operaversum: Tatsächlich hat es aus Dir gesanglich nur so herausgesprudelt. Was mich allerdings auch sehr neugierig gemacht hat - und da wechseln wir jetzt das Thema - ist Dein Werdegang, den ich mir auf Deiner Website einmal näher angeschaut habe. Von 2015 - 2023 sind dort all Deine beruflichen Erfolge pro Jahr skizziert worden, sodass man ganz klar die Highlights Deines bisherigen Karrierewegs erkennt. 

 

Dabei habe ich mir die Frage gestellt, was diese Entwicklung, wenn Du einmal auf diesen Zeitstrahl zurückblickst, mit Dir macht und in Dir auslöst?

  

Nikola Hillebrand: Das ist ein interessanter Blickwinkel auf meinen Werdegang. Aber es stimmt natürlich, was Du mir gerade vor Augen führen willst. Dennoch denke ich immer, ich stehe noch am Anfang und jetzt geht es eigentlich erst mit meiner Karriere los. 

  

Insofern muss ich mich tatsächlich manchmal daran erinnern, dass ich schon 10 Jahre auf der Bühne stehe. Und natürlich blickt man auf manche Sachen zurück und erinnert sich und denkt "Wow, da bin ich stolz drauf." Oder wie aufregend das war, als Einspringerin bei der konzertanten Fledermaus an der Seite von Jonas Kaufmann singen zu dürfen. Wenn mir das Video manchmal wieder in die Hände fällt, denke ich: "Stimmt! Das war ja ich!" 

  

Und als Jugendliche hatte ich natürlich auch Träume und Wünsche und solche, die sich bisher noch nicht erfüllt haben, wobei ich nie so sehr darauf fixiert war, unbedingt an bestimmten Häusern singen zu müssen. Vielmehr geht es mir um den Prozess, um den Weg und das mir alles, was ich tue, Freude bereitet, ich mit tollen Kollegen auf der Bühne stehen und wirklich gute Musik machen darf. 

  

Das ist für mich das Allerwichtigste. Allerdings hat sich kurz nach den Salzburger Festspielen dann doch ein lang gehegter Traum von mir erfüllt - und zwar mein Debüt bei der Schubertiade in Österreich. Das war tatsächlich immer so ein starker Wunsch, dort einmal singen zu können. 

  

Denn für Liedsänger ist die Schubertiade das Mekka. In dem Moment habe ich mich tatsächlich kurz einmal kneifen müssen. Das war auch so ein tolles Debüt. Und im nächsten Jahr bin ich auch wieder dabei, worüber ich mich sehr freue. Da bin ich schon sehr stolz, mir das erarbeitet zu haben. 

  

Operaversum: Hat es denn, mal ganz abgesehen von Deinen Träumen und Wünschen, jemals ein Bühnenerlebnis gegeben, das für Dich in unvergesslicher Erinnerung geblieben ist? 

 

Nikola Hillebrand: Ja, da gibt es sehr viele unvergessliche Bühnenerlebnisse, von denen ich eigentlich gar keines so sehr herausstellen will. Aber ein ganz tolles Bühnenereignis hatte ich tatsächlich, als ich in Zürich in Richard Strauss Arabella als Zenka eingesprungen bin. Und obgleich das ein Einspringer war, hat alles gepasst, angefangen vom Dirigenten über das Orchester, die Kollegen bis hin zum Publikum und deren Reaktionen.  

  

Und aktuell bereiten wir gerade eine Figaro-Serie an der Semperoper vor, in der ich die Susanna singe. Auch das ist eine Partie, die man als Sopran unbedingt singen möchte. Für mich als Bühnentier ist diese Rolle sowieso ein Traum, weil ich quasi dreieinhalb Stunden non-stop auf der Bühne stehen darf. 

  

Zwar habe ich kurze Abgänge beim Kostümwechsel, aber ansonsten gleicht die Susanna eher einer Marathonpartie, die schon allein deswegen irrsinnig toll ist, weil man so viel Interaktion auf der Bühne hat. Bei der Entwicklung durch diese Oper ist es schon wichtig alle Sopranrollen zu nennen, von der Barbarina zu Susanne über die Gräfin zu Marcellina. Kurzum, es ist einfach so ein Geschenk mit einem Stück auf der Bühne zu stehen, bei dem man genau weiß, da hüpft einem das Herz vor Freude. 

  

Diese Oper ist wirklich mein Favorit, obwohl ich natürlich auch sehr gerne im Rosenkavalier und in der Arabella spiele. 

 

©Miina Jung

Operaversum: Für die Rolle der Susanna haben sie Dich auch mit einem tollen Kostüm und einer ebenso opulenten Perücke ausstaffiert, wie man auf Instagram sehen konnte! 

  

Nikola Hillebrand: Ja, das stimmt. Aber das ist nur eines der vielen Kostüme, die ich trage. Denn in dieser Produktion an der Semperoper durchleben die Protagonisten eine Zeitreise. Es beginnt alles mit der Comedia dell´Arte und entwickelt sich im Laufe der Spieldauer über den Barock bis hin zur Gegenwart. Im finalen Akt stehen plötzlich alle nur noch im Pyjama auf der Bühne.  

  

Operaversum: Das klingt sehr interessant. Liebe Nikola, jetzt würde ich gerne die Gelegenheit nutzen, um nochmal auf den Liedgesang sprechen zu kommen. Du bist ja jemand, der mit dem Liedgesang sehr erfolgreich unterwegs ist und auch viele Liederabende gibt.  

  

Was für eine Herausforderung ist das eigentlich im Liedgesang zu bestehen? Wie etabliert man sich in diesem Genre?  

  

Nikola Hillebrand: Das ist eine gute Frage. So genau habe ich darüber noch nie nachgedacht, wie man sich in diesem Genre etabliert. Ich habe angefangen Lied zu singen, weil das Repertoire, das uns die Komponisten hinterlassen haben, ein so reicher Schatz ist, den ich auf keinen Fall verpassen wollte. 

  

Selbstverständlich muss man sich für den Liedgesang immer extra Zeit freiräumen. Und man muss unbedingt dafür brennen. Wenn man nicht dafür brennt, dann macht man keinen Liedgesang.  

  

Erschwerend hinzu kommt auch, dass man im Vergleich zur Oper beim Lied immer neue Konzepte, sprich Programme konzipieren muss, zumal die Frauenstimmen auch nicht unbedingt auf die drei berühmten Zyklen des Liedgesanges zurückgreifen können. Allerdings ist es schon eine Überlegung wert, diese doch einmal zu singen.  

 

Operaversum: Spielst Du auf die Zyklen von Schumann und Schubert an? 

  

Nikola Hillebrand: Ganz genau. Ich meine die "Dichterliebe", die "Schöne Müllerin" und die "Winterreise". Eventuell auch noch den "Schwanengesang". Diese Zyklen sind wahrhaft genial und deshalb auch zurecht immer wieder auf den Spielplänen zu finden. Aber natürlich tendenziell eher mit Bariton oder Tenor besetzt, wobei auch viele Frauen, wie Brigitte Fassbänder, das Repertoire bereits interpretiert haben. Insofern könnte man sich da auch mal ran wagen. 

  

Aber worauf ich eigentlich hinauswill: Man kann natürlich nicht immer nur das gleiche Liedprogramm singen. Und um sich ein Liedprogramm zu erarbeiten, beziehungsweise es von null zu konzipieren, braucht es Zeit und vor allem Inspiration. 

  

Wenn ich also beginne ein neues Programm zu erstellen, dann geht erst mal die Recherche los, was im Detail bedeutet, dass ich mir verschiedene Lieder anhöre und versuche Liedgruppen ins Programm einzubauen, die ich bereits kenne, damit nicht alles komplett neu ist. 

  

Nur ist es wichtig, dass sich der rote Faden irgendwie durch das Programm zieht. Ist die Arbeit getan, geht es in den Austausch, beziehungsweise in den Schlagabtausch mit meinem Pianisten. Zurzeit mache ich den Großteil mit Helmut Deutsch, der natürlich extrem erfahren und auch sehr gut im Programmieren ist. Diese Zusammenarbeit ist allerdings mit sehr viel Zeit und Energie verbunden. Deshalb kann man sich in den Liedgesang auch nur dann reinknien, wenn einem wirklich ganz viel daran gelegen ist. 

 

Operaversum: Das kann ich mir tatsächlich sehr gut vorstellen. Nur, wie etabliert man sich letztendlich in dem Fach? 

  

Nikola Hillebrand: Das kann ich Dir so nicht beantworten. Ich singe dieses Genre einfach gern und setze mich dafür ein, weil ich der Meinung bin, dass es so kostbar und wunderschön ist und ich auch immer wieder merke, wie positiv das Publikum darauf reagiert. 

  

Dabei versuche ich möglichst auch Lieder in das Repertoire einzubauen, die vielleicht nicht so bekannt sind. Oftmals bekomme ich dann sehr begeistertes Feedback von Zuhörern, was mich persönlich sehr freut. Einen Liedschatz ausgegraben zu haben, der es wert ist gehört zu werden und gleichzeitig damit ein Publikum zu bereichern, ist schon eine besondere und wertschätzende Sache.  

  

Operaversum: Wo liegt denn derzeit Dein Schwerpunkt, wenn es um das Liedrepertoire geht? 

  

Nikola Hillebrand: Meinen Schwerpunkt habe ich aktuelle bei Franz Schubert, Brahms, Robert Schumann, Clara Schumann, Richard Strauss, Hugo Wolf und Mozart gesetzt. Gerne würde ich mich auch noch mit dem französischen Liedrepertoire auseinandersetzen. 

  

Dabei habe ich generell noch nicht einmal fünf Prozent dieses wahnsinnig tollen Liedschatzes ausgegraben, zumal ich ja parallel auch noch an anderen Projekten arbeite. Aber mein Ziel ist es, auf meinen weiteren Karriereweg immer auch am Lied dranzubleiben, eben weil es mir so eine große Freude bereitet. 

 

©Christian Kleiner

Operaversum: Wieviel Persönlichkeit muss Deiner Meinung nach im Lied zum Ausdruck kommen, damit die Interpretation des jeweiligen Gedichts auch beim Publikum ankommt? 

  

Nikola Hillebrand: Sehr viel Persönlichkeit. Allein, wenn es um die Auswahl der Lieder geht, kommt die Persönlichkeit direkt mit ins Spiel. Schließlich kann ich nicht irgendwelche Lieder singen, die mir nichts sagen oder mit denen ich überhaupt nichts anfangen kann. 

  

Und da geht es direkt beim Text los. Ich lese immer zuerst das Gedicht und wenn mir das nichts sagt, fliegt es auch sofort wieder aus dem Programm raus. Alles, was ich programmiere, muss meiner Persönlichkeit entsprechen und sollte in mir auch ein Gefühl auslösen, dass ich das Lied nicht nur erzählen, sondern mich insbesondere emotional in ihm ausdrücken kann. 

  

Natürlich gibt es beim Lied immer auch einen Interpretationsspielraum, genau wie bei der Oper. Nur hat man bei Letzterer noch einen Dirigenten, der interpretatorisch ebenfalls mitentscheidet. Das Schöne am Lied ist, dass man zwar im direkten Austausch mit dem Liedbegleiter steht, aber dennoch seine eigene Interpretation, seine höchst individuellen Emotionen ungefiltert durch das Lied zum Ausdruck bringen kann. 

  

Persönlichkeit spielt beim Liedgesang eine entscheidende Rolle. Außerdem kann man sich beim Lied auch nicht hinter einem Kostüm, einer Maske oder einer Perücke verstecken. Trotzdem singe ich auch gerne die Lieder, bei denen ich in eine Rolle schlüpfen darf. 

  

Die liegen mir oft auch sehr gut, weil ich eben nun mal eine "Opernnudel" bin. Da kann ich dann das Mädchen oder die verlassene Frau sein und ebenfalls durch die Charaktere schnell in die emotionale Welt einsteigen. Und so bringt man bei einem einzigen Liederabend ganz schnell mal 24 Rollen zusammen, was am Ende sehr anstrengend, aber auch beglückend ist. 

 

Operaversum: Eine Reise durchs Leben mitsamt seinen Facetten! 

  

Nikola Hillebrand: Genau.  

  

Operaversum: Gibt es ein Lied, das Dir ganz besonders am Herzen liegt?  

  

Nikola Hillebrand: Es gibt ein paar Lieder, die mich immer wieder begleiten, die ich schon sehr lange singe. Interessant dabei ist, dass sich mit fortschreitenden Jahren der Blick auf das Gedicht ganz oft nochmal verändert. Aber ein Stück, dass auch in meinem Repertoire immer wieder auftaucht, ist das Lied "Morgen" von Richard Strauss. 

  

Jedes Mal, wenn ich das singe, bleibt die Zeit irgendwie stehen. Das ist dann so ein besonderer Moment, in dem man das Gefühl hat, eine Stecknadel fallen lassen zu können. Und dann erst das 1,5-minütige Vorspiel des Pianisten. Ich sage nur: pure Magie! 

  

Operaversum: Hast Du dabei das Gefühl, tatsächlich in dem Moment die Welt mit Deinem Gesang anzuhalten?  

  

Nikola Hillebrand: Nein, das bin nicht ich, die das tut, sondern das Lied hält die Welt an. Ich stelle auch immer den Komponisten vor mich, da ich der Auffassung bin, wir Künstler dienen der Musik und somit dem Komponisten. 

©Christian Kleiner

Operaversum: Liebe Nikola, auf welche kommenden Projekte freust Du Dich am meisten und was ist Dir aktuell für Deine gesangliche Weiterentwicklung besonders wichtig?  

  

Nikola Hillebrand: Ein großes Projekt, auf das ich mich gerade sehr freue, ist die Rolle der Kunigunde in Bernsteins Candide am Theater an der Wien, eine Operette, die nicht so oft auf den Spielplänen der großen Häuser erscheint. Darüber hinaus finde ich es toll, dass ich auf Englisch singen darf. 50 Prozent meines Tages spreche ich sowieso englisch. Auch wenn diese Sprache nicht meine Muttersprache ist, so fühlt sie sich für mich wie eine emotionale Sprache an. Besonders freue ich mich darauf, die Kunigunde mit der Regisseurin Lydia Steiner zu entwickeln, mal ganz abgesehen davon, dass ich zwei Monate in Wien leben werde und dort die Weihnachtszeit verbringen darf. Das ist schon toll. 

  

Operaversum: Was ist Dir für Deine gesangliche Weiterentwicklung besonders wichtig?  

  

Nikola Hillebrand: Nun ja. Was mir schon immer wichtig war, wichtig ist und auch immer wichtig sein wird, ist die stimmliche Freiheit zu suchen. Und wenn man diese dann gefunden hat, sie auch zu behalten. Das aber ist eine immer neue Suche. 

 

Operaversum: Was macht denn die stimmliche Freiheit für Dich aus? 

  

Nikola Hillebrand: Unter stimmlicher Freiheit verstehe ich unter gesangstechnischen Aspekten, wenn sich die Kehle beim Singen frei anfühlt, sprich die Luft auch wirklich ungehindert strömen kann. Das aber muss man jeden Tag aufs Neue suchen, denn fertig ist man mit seiner Stimme nie. Es gibt Tage, an denen ist man superglücklich und Tage, die sich nicht so gut anfühlen. Und das allein ist schon eine Herausforderung für die Stimme. 

  

Insofern fängt man beim Singen immer wieder von vorne an. Diesen Übungsprozess kann man sich wie beim Trainieren für einen sportlichen Wettkampf vorstellen. Und auch der persönliche Reifeprozess verändert die Stimme über die Zeit. Somit muss man seine Gesangstechnik immer mal wieder hinterfragen und gegebenenfalls justieren. Aber das macht mir sowieso sehr viel Spaß. 

 

Operaversum: Liebe Nikola, ich danke Dir ganz herzliche für das sehr informative Gespräch und wünsche Dir für Deine bevorstehenden Engagements ganz viel Spaß und Freude. 


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