Jonas Kaufmann, die polarisierende Hummel unter den Tenören und warum seine STimme so einzigartig ist

23. November 2023

Rubrik Klassik-Stars

©Gregor Hohenberg / Sony Classical - Jonas Kaufmann

Kein Tenor polarisiert derzeit so sehr, wie der deutsch-österreichische Tenor Jonas Kaufmann. Heiß diskutiert auf diversen Internetplattformen klassischer Opernblogs, fragt Mann oder Frau sich: Ist er überhaupt ein Tenor? Und vor allem: Kann Jonas Kaufmann wirklich singen wie ein Tenor? Und hält sein Stimmmaterial den Anforderungen eines großen Tenors auch stand?

 

Kennt man einen Tenor, kennt man sie alle! Nein, ganz so einfach ist das nicht! Eine Biene ist auch nicht gleich eine Biene. Schließlich gibt es davon 20.000 unterschiedliche Arten - eine davon ist die Hummel - und Jonas Kaufmann vielleicht sogar die Hummel unter den Tenören!

 

Wie bitte! Was nochmal?

 

Nun ja, während die Bienen im rasanten Flug mit 250 Flügelschlägen pro Sekunde mit Leichtigkeit durch die Lüfte gleiten und für ihre irritierend zackige Flugakrobatik bekannt sind, scheint sich die Hummel nur schwerfällig in den Luftraum erheben zu können. Gemach, gemach fliegt sie deutlich langsamer und weniger wendig. Schnelle Manöver? Fehlanzeige.

 

Laut physikalischer Gesetzmäßigkeit der Aerodynamik kann die Hummel eigentlich nicht fliegen. Sie ist de facto viel zu schwer für eine höhenrauschartige Himmelstour ins Blaue. 

 

Und dennoch fliegt sie, dank ihres besonderen Flügelmaterials, das aus einem äußerst elastischen und biegsamen Protein besteht, bemerkenswert souverän durch die Weltgeschichte.

 

Was für eine faszinierende Erkenntnis! Ein Faszinosum, das auch den Tenor Jonas Kaufmann zu einem ganz exotischen Vertreter seiner singenden Zunft macht, gehört er doch nicht zu den federleichten Belcanto-Sängern, die sich duftig, hell und strahlend elegant in rauschhafte Höhen erheben, sondern vielmehr gaumenrund, dunkelsamtig und mit baritonal eingefärbter Stimme kraftstemmend das Hohe C anstoßen - ein bestimmt nicht sehr gängiges Ideal eines A-typischen Tenors. Nur was ist wiederum ein A-typischer Tenor?

 

Als künstlich nach unten manipuliert, mit Registerbrüchen versehen, zu guttural, nasal und überhaupt manieriert wird die Stimme des Weltstars Jonas Kaufmann immer gehäufter in den Kritiken bezeichnet. Und ja, Kaufmanns Stimme ist wahrlich keine klassisch jugendliche Tenorstimme - nicht mehr!

 

Hell, strahlend und Laser-scharf klingt der Tenor der Tenöre wahrlich nicht. Auch koloraturintensive Pirouetten wollen nicht über seine Lippen gehen - wollten sie wahrscheinlich noch nie.

 

©Gregor Hohenberg / Sony Classical - Jonas Kaufmann

Jonas Kaufmann und seine Stimme, ein geschaffenes Kunstwerk?

Aber kann es deshalb sein, dass Kaufmanns Stimme ein geschickter Coup künstlich manipulierter Stimmführung ist, nur weil sie so untypisch abgedunkelt, saturiert und warmgolden timbriert klingt?

 

Fakt ist, die physiologischen Merkmale einer Tenorstimme sind mannigfaltig. So spielen Umfang, Färbung, Volumen und Agilität eine genauso entscheidende Rolle, wie die fachspezifische Ausrichtung (lyrisches oder dramatisches Fach) eines Gesangsinterpreten.

 

Dabei wirkt sich auch das Alter ergo die menschliche Reife auf die Stimme eines Opernsängers aus und entscheidet maßgeblich über Qualität und Stimmsubstanz, bei der letztere so plastisch sein kann wie die neuronalen Ausprägungen im menschlichen Gehirn. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die psychologische Verfassung, in der sich ein Sänger befindet, was extreme Auswirkungen auf die klangliche "Beseeltheit" einer Stimme haben kann.

 

Somit ist eine Stimme grundsätzlich immer einem physiologischen sowie psychologischen Wandel unterlegen, verändert sich in ihrer Beschaffenheit und kann natürlich auch in der fachlichen Ausrichtung entsprechend trainiert und geformt werden, je nachdem welche Rollen man gerne bekleiden möchte.

 

Und Kaufmann, der wissbegierige Nimmersatt, singt fast alles, was das Opernrepertoire zu bieten hat, mit Ausnahme der koloraturintensiven Belcanto-Rollen.

 

Macht ihn das aber jetzt zu einem schlechteren Tenor, nur weil er es sich herausnimmt, als multitalentierter Tausendsassa in fast jedem Fach glänzen zu wollen? Ist Vielseitigkeit für einen Tenor ein Manko?

 

Nun, wer sich eine lyrische Stimme bewahren will, der muss gut überlegen, zu welchem Zeitpunkt und ob überhaupt er ins dramatische Fach wechseln will?

 

Denn einmal Drama, immer Drama. Der Weg zurück in die vermeintlich "leichtere Muse" und damit in die jugendlich strahlkräftige Unbeflecktheit bleibt der Stimme, in der vom Publikum ursprünglich erwarteten Qualität, versperrt, was man natürlich merkt, wenn Kaufmann mit seinen 54 Jahren Schumanns Dichterliebe op. 48 darbietet.

 

©Gregor Hohenberg / Sony Classical - Jonas Kaufmann

Welcher Tenor ist JOnas Kaufmann und wieviele?

Denn selbstredend klingt er im gesetzteren Alter nicht mehr wie der "Jüngling an der Quelle". Enttäuschte, unerwiderte Liebe, Wut, Hass und Verzweiflung vermengen sich bei Kaufmann im Lied mittlerweile ganz automatisch mit den Jahren an gewonnener Lebenserfahrung, den persönlichen Schicksalsschlägen, den vielleicht unsichtbaren Narben auf der Seele, die er zu Anfang seiner jungen Karriere nicht auf seinen "Schultern" buckeln musste.

 

Auch fehlten ihm damals augenscheinlich die Falten im Gesicht, ebenso wie die schwindende Stimmbandelastizität, mit denen sein damals deutlich "höher geschraubter" Tenor, mittlerweile einem männlich gereiften altersbedingten "Baritenore" gewichen ist.

 

Oder ist er schon längst im Bariton-Fach angelangt?

 

Zumindest macht er keinen Hehl daraus, mit größter Vorliebe auch mal den Prolog aus Mascagnis Pagliacci mit Inbrunst konzertant darzubieten. Tatsächlich erlebt man dann einen Kaufmann, der eine ozeanische Stimmtiefe an den Tag legt und mehr und mehr wie ein echter Bariton klingt. Wo also kommt der einstige Mozart-Tenor Jonas Kaufmann stimmcharakterlich her und wo geht seine vokale Reise überhaupt noch hin?

 

Tenor ist wirklich nicht gleich Tenor! Dass zeigen auch die klassisch italienischen Fachbezeichnungen, die gleich 6 verschiedene tenorale Ausrichtungen auf den Plan rufen: 

 

Tenore di forza (spinto) – Heldentenor

Tenore lirico spinto – Jugendlicher Heldentenor

Tenore lirico – Schwerer Lyrischer- oder leichter Jugendlicher Heldentenor

Tenore lirico leggero oder tenore di grazia – (eher leichter) Lyrischer Tenor

Tenore leggero oder tenore buffo – Italienischer Spieltenor

Tenore grave oder baritenore

 

Und einige davon hat Kaufmann ganz sicher vokal ausgeschöpft: Angefangen mit dem Tenore di Grazia über den Tenore lirico spinto oder vielleicht sogar den Tenore di forza (spinto) scheint der Ausnahmetenor mittlerweile immer mehr in die Untiefen des Baritenore vorzudringen.  

  

Warum das hohe C von Jonas Kaufmann so einzigartig ist

Bang fragt man sich sogleich, welche Auswirkungen diese Entwicklung wohl auf Kaufmann, den Ritter des hohen C, haben wird?

 

Nun gut. Jonas Kaufmann hat eine lange, eine wirklich sehr lange Stimme. Das hat er einmal mehr als deutlich bewiesen, als er bei einem seiner "L´Opéra-Konzerte" in Jacques Offenbachs Duett "Barcarole" neben der Mezzosopranistin Kate Alridge spaßeshalber den Sopran gegeben hat. 

 

Das ist auf jeden Fall Beweis genug, dass er das Hohe C und einige Töne darüber hinaus technisch problemlos singen kann. 

 

Was aber den eigentlichen unverkennbaren Charme von Kaufmanns hohem C ausmacht, was man so nie von irgendeinem anderen Tenor der Gegenwart zu hören bekommt, dass ist der einzigartige tonale "Hummelflug" unter tausenden von Bienen, die eh schon mühelos in höchsten Höhen herumschwirren, während die Hummel sich mit all ihrer Kraft erst zu den vielen Leichtgewichten emporheben muss.

 

Was ich damit meine?

 

Nun, ich spiele auf den Effekt des mächtigen Tones an, der im Grunde ein kleiner, wenig emotional gesättigter Ton ist und nur aufgrund seiner 3000 Hertz starken Schwingungen den Gehörnerv des Zuhörers so dermaßen reizt, dass sich dabei dessen Gefühlszentrum regt.

 

Ja, noch immer spreche ich vom hohen C, das bei Jonas Kaufmann mit dem "Doppel-Whopper-Effekt" versehen ist. Denn während die hellen und extrem hohen Tenöre meistens schon in ihrer Kopfstimme verhaftet einen relativ unspektakulären Katzensprung auf das Hohe C machen, holt Kaufmann aus den gefühlten Untiefen seiner baritonal eingefärbten Stimme deutlich weiter aus, um zum großen Sprung auf das hohe C anzusetzen.

 

Und das ist ein beeindruckend kraftvoller Löwensprung, der absolut mächtig, voluminös und mega-heroisch wirkt und fast jeden, egal ob Frau oder Mann, vom Hocker reißen müsste.

  

Denn von einer so baritonal gesättigten Tenorstimme würde man doch niemals so ein sensationell aufregend brustsprengendes hohe C erwarten, ebenso wenig wie man von einer Hummel erwarten würde, dass sie qua ihrer physikalisch diagnostizierten Fluguntauglichkeit dennoch fliegen kann. 

 

©Gregor Hohenberg / Sony Classical - Jonas Kaufmann

JOnas Kaufmann und seine differenzierte Dynamik bei zärtelnd leisen Tönen

Und während viele Tenöre mit ihrer großen Stimmpotenz und ihrer gesanglichen Virilität nicht hinterm Berg halten und Kraft ihrer dynamischen Mittel stentorale Akrobatik auf die Bühne zaubern, schafft es Jonas Kaufmann seinem Gesang on top auch noch mannigfaltige Facetten zu verleihen, Dynamiken konturiert herauszuarbeiten und sich auch nicht davor zu scheuen, aus der Stille heraus mit leisen, zärtelnden Tönen zu überzeugen. 

 

Genau das macht ihn auch so ausgesprochen prädestiniert für den höchst charaktervollen Liedgesang, der auf emotionale Temperaturen setzt, die eine sehr differenzierte, kleinteilige Dynamik benötigen.

 

Wer viel zu sagen hat, braucht weder laut schreien noch seine Stimme über alles erheben. Nein, die leise, verhaltene Intensität, die Spannung, die sich aus dem leisen Ton speist, sich still ruhend und dennoch so enorm präsent zeigt, das ist die wahre Magie mehrdimensionaler Gesangskunst, die uns aufmerksam zuhören lässt und sich uns vielleicht sogar in die Seele einbrennt.

 

Und es brennt, fängt Feuer, wenn Jonas Kaufmann seine gesammelte Palette an differenziert reduziert, zartschimmernden Tönen auffährt. Laut kann jeder, aber leise will gelernt und geübt sein? Dafür braucht es Sensibilität, Emotionalität, Selbstreflexion und Interpretationsgeschick.

 

Jonas Kaufmann,"Mr. Emotion" des beseelten Charakterklangs

 

Jonas Kaufmann, den man genau wegen all dieser Attribute auch als Mr. Emotion betiteln könnte, demonstriert immer wieder, dass neben dem reinen Schöngesangs und einer formvollendeten Technik, Gefühle ausschlaggebend sind, um Gesang überhaupt zum Leben erwecken zu können.

 

Was nützt eine technisch perfekt gesungene Arie, wenn nicht ein Funken Emotion mit ihr ins Publikum transportiert wird. Schließlich lebt die Musik im Allgemeinen von Resonanz. Wir alle leben von Resonanz, von einem energetischen Austausch, aus dem heraus menschliche Nähe erzeugt wird.

 

Hat man Jonas Kaufmann einmal bei einem Konzert erlebt, weiß man, was Resonanz bedeutet, wie sie entsteht und welch kollektives Phänomen sie darstellen kann. In einer Kritik hieß es einmal: "Wenn Jonas Kaufmann die Bühne betritt, verändert sich die Luft im Auditorium."

 

Nun, die Luft verändert sich ganz sicher nicht, wenn der Tenor der Tenöre die Bühne betritt. Aber es fließt eine Energie, die zuvor nicht da war und faktisch eine magnetische Anziehung auf das Publikum ausübt.

 

Über die Grenzen der kontrollierten Ekstase hinaus schauspielert Jonas Kaufmann

Ebenso anziehend wie glaubhaft muss ein Tenor schauspielerisches Können an den Tag legen. Wie authentisch das sein kann, zeigte sich 2018 in Kaufmanns Interpretation von Verdis Otello am Royal Opera House in London.

 

Es war die Schlussszene, in der Desdemona von Otello mit einem Kissen erstickt wird. Die Szene war brutal, Kaufmann war brutal, sein Gesicht zu einer Fratze verzerrt, sein Blick abgrundtief böse - bitterböse. Der Akt des Erstickens dauerte, zog sich in die Länge und hörte überhaupt nicht mehr auf. Immer wieder drückte Kaufmann zu, fest und unnachgiebig landete das Kissen im Gesicht der Sopranistin, die sich nach zähflüssig verlaufenden Minuten gegen den Akt der Gewalt nicht mehr wehrte.

 

Die Spannung war zum Zerreißen, das Publikum plötzlich verstummt. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so totenstill war es im Auditorium geworden. Mir hämmerte das Herz, leise Panik kroch mir bis in den Nacken hinauf. Wann hatte dieses Spiel ein Ende?

 

Kurz bevor ich im Begriff war "Stop" auf die Bühne zu rufen, ließ Kaufmann von seiner Gesangspartnerin ab. Sein böser Blick war nun einer verzerrten Trauer gewichen, die sich in Verzweiflung über der vermeintlich toten Desdemona ergoss.

 

Wow, dachte ich nur! Wie weit muss sich ein Künstler über die kontrollierte Ekstase erheben, um etwas auf die Bühne zu bringen, was so verblüffend echt wirkt, dass man einer Täuschung anheimfällt.

 

Bei aller Kritik, ob gut oder schlecht, Jonas Kaufmann bleibt ein Tenor mit einem absoluten Alleinstellungsmerkmal. Vielleicht hinkt der Vergleich mit der Hummel. Vielleicht sollte man besser den Vergleich zu einem guten Wein ziehen. Schließlich reift der mit den Jahren, wird gaumenrunder, entwickelt ein famoses Bouquet und wird an charaktervollen Geschmacksknospen reicher.

 

Manch einer würde hingegen äußern, Jonas Kaufmann wäre, wenn man ihn denn mit einem Wein vergleichen müsste, längst schon gekippt.

 

Ich behaupte jedoch ganz vehement, dass dieser Tenor so saturiert, gehalt- und genussvoll wie ein guter Wein ist, der zwar - und das liegt in der Logik der Sache - mit voranschreitenden Jahren an stimmlicher Leichtigkeit und technischer Versatilität eingebüßt, dafür aber an charakterlicher Tiefe, edler Textur und farbenreicher Substanz dazu gewonnen hat.


Warum JOnas Kaufmann so polarisiert!

Zu gutaussehend für einen Tenor!

 

Dieser Mann sieht einfach viel zu gut aus! Was würde die Männerwelt darum geben, solche Prachtlocken, so eine charismatische Ausstrahlung, ja so ein anziehendes Aussehen zu haben. Sex sells. Aber doch bitte nicht im klassischen Musikgewerbe!

 

Nun, die Anforderungen an einen Superstar sind auch im Klassik-Bereich mittlerweile multidivers. Wer nur gut singt und nicht dafür sorgt, dass auch das Auge beim Zuhören mitessen kann, bleibt ein guter und vielleicht auch beliebter Sänger. Aber Starappeal kennt nur eine Formel:

 

Gesang+Charisma+Optik= Startenor! 

  

Schuster bleib bei Deinen Leisten!

 

Wie kann man sich bloß von seinem Fach entfernen? Als Tenor singt man Opern, gibt Liederabende und Arienkonzerte. Aber man macht doch bitte keine Filmmusik oder zig Weihnachts-CD-Einspielungen mit volkstümlichen bayerischen Weisen. Oder was war das noch für eine Entgleisung, die sich "Mein Wien" nannte. Wiener-Lieder und Operetten. Nun, vielleicht kommen irgendwann sogar noch Wanderlieder ins Repertoire des Tenors. Man gönnt sich ja sonst nichts in seiner künstlerischen Wandelbarkeit.

 

Aber warum sollte ein Tenor nicht genreübergreifendes Repertoire darbieten dürfen? Wer sagt eigentlich, dass ein Tenor nur auf das klassische Fach begrenzt ist, wenn er doch eine Stimme hat, die eben auch italienische Schmonzetten oder aber Wiener Lieder singen kann? Eine Stimme kennt keine Grenzen - Musik kennt überhaupt keine Grenzen, wenn es um tiefe Gefühle geht.

 

Werbetrommel rühr mich nicht!

 

Ja, die Werbetrommel für Herrn Kaufmann wird kräftig gerührt, vielleicht sogar ein wenig zu kräftig und dann eventuell sogar noch an falscher Stelle. Aber bitte. Wie sollen denn Opernsänger einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden, wenn es keine Werbetrommel gibt?

 

Sichtbarkeit entsteht nicht allein durch Auftritte in Opernhäusern oder Konzertsälen. Eine ausgeklügelte Marketingstrategie ist mehr denn je wichtig, um nicht die Opernhäuser, sondern ihre Künstler in den Vordergrund zu rücken. Und leider sieht man bei all den jungen, aufstrebenden Talenten keine dieser Maßnahmen appliziert. Dass für Jonas Kaufmann viel getan wird, hängt nun mal damit zusammen, dass er ein gutes Zugpferd, ein fantastisches Aushängeschild für die Branche ist.

 

Wäre doch schön, wenn davon junge Talente ebenfalls profitieren könnten!

 

On the road too much

 

Viel zu viel unterwegs in allen Herren Länder. Konzerte wie am Fließband, keine Pausen, immer mehr, bis dass der Tenor mal wieder krank wird. Aber wer steckt hinter so einem Terminkalender, der aus allen Nähten platzt. Schuld ist ganz sicher auch die Nachfrage nach mehr Konzerten. Alle verlangen doch nach dem Tenorissimo. Jeder will ihn sehen, egal wo auf der Welt. Einem Tenor, der es allen recht und möglich macht, einen Strick genau daraus zu drehen, dass er zu viel reist, sich zu viel vornimmt und dann auch noch kränkelt, ist ein Paradox in sich.

 

Die "Kaufmann-Show" fällt heute aus!

 

Tja, wer krank ist, sollte im Bett bleiben. Aber wie soll das gehen, wenn man Verträge bis auf 5 Jahre im Voraus abgeschlossen hat, der Terminkalender vollgepackt ist mit Konzertauftritten und alle Welt darauf wartet, dass die "Jonas-Kaufmann-Show" in Gang gehalten wird.

 

Oft hat man Jonas Kaufmann indisponiert auf der Bühne erlebt. Fakt ist: Gegeben hat er dabei immer alles, was möglich war und versucht, sein Publikum glücklich zu machen. Jede Absage wäre doch auch eine große Enttäuschung gewesen. Stattdessen trat er sogar mal mit einer Magenverstimmung auf oder viel schlimmer noch   mit einem gebrochenen Zeh - der sicherlich sehr, sehr schmerzte und stellte sich ganz Profi seinen Aufgaben. Chapeau, wenn das nicht auch Größe zeigt. Nur, wer dankt ihm das schon?


WElchen Tenor hätten sie denn gerne?

©Operaversum Magazine / Nicole Hacke

"Welchen Tenor hätten Sie denn gerne? Den dunkelsamtig timbrierten, den metallisch hell klingenden oder den mit der heroisch vokalen Strahlkraft?"

 

Was für eine Frage, denke ich. "Natürlich den dunkelbraun gelockten, den mit der baritonal eingefärbten schokoladensatten Stimme und der erotischen Ausstrahlung", entgegne ich der scheinbar unwissenden Verkäuferin hinter der verlockenden Auslage energisch.

 

"Das Modell führen wir leider nicht mehr in unserem Sortiment", bedauert die offensichtlich unerfahrene Mitarbeiterin des Ladengeschäftes. "Ein Auslaufmodell, wissen Sie. Mittlerweile wollen unsere Kundinnen doch lieber die etwas leichtere, weniger schwere gesangliche Kost. Gaumig, vollmundig und wie sagten Sie baritonal eingefärbt ist nicht mehr so "en vogue" wie noch vor ein paar Jahren."

 

"Gefragt sind aktuell die hellen, duftigen und tendenziell jugendlich strahlenden Tenöre, also mehr die lyrische Variante. Was sagen Sie? Darf es vielleicht eine Kostprobe davon sein?"

 

Ohne auch nur eine Antwort abzuwarten, legt mir das dreiste junge Ding auch schon die Kopfhörer an meine Ohrmuscheln und träufelt mir, so Gott denn will, ein paar gesangliche Klänge in meinen Gehörgang.

 


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